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Zirzensischer Komödien-Klamauk

Mit komödiantischer Derbheit bringt Herbert Fritsch als Regisseur von Carlo Goldonis "Diener zweier Herren" frischen Wind ins deutsche Theater. Man springt und stürzt, tanzt und tobt, rennt gegen Wände oder hechtet in Logen, geht sich gruppenweise an die Wäsche oder einzeln an den Hals.

Von Hartmut Krug | 24.05.2011
    Herbert Fritsch war als Schauspieler an Frank Castorfs Volksbühne ein komödiantischer Virtuose in der Veräußerlichung und Verkörperlichung von inneren Haltungen und Gefühlen. Eben dieser Stil, verbunden mit einer Spielweise, bei der alle Mittel des Theaters bewusst vorgeführt und ausgestellt werden, bei der Theater also vor allem komödiantisches Schauspielerspiel bedeutet, macht den überwältigenden Erfolg des 60-jährigen Jungregisseurs Herbert Fritsch aus.

    Bei seinen Inszenierungen mit experimentier- und spielfreudigen Ensembles von Provinztheatern spielt die soziologische oder soziale Bedeutsamkeit der Stücke und ihrer Figuren keine sonderliche Rolle. Aber sie bringt mit viel äußerlicher Spielastik den puren Spaß auf die Bühne zurück. Auf eine Bühne, die noch immer stark bestimmt ist von vor allem dramaturgisch bastelnden Regisseuren und ihren ausgetüftelten, scheinbar realistischen Erklärkonstruktionen.

    Carlo Goldonis "Der Diener zweier Herren", Höhe- und Endpunkt der "Commedia dell' arte", bietet keine Erklärungen, sondern Situationen. Es gibt feste Typen, komische Zwischenspiele, schauspielerische Nummern, sogenannte lazzi, viel Musik und ein Hauptthema: die Liebe mit all ihren Verwicklungen.

    Deshalb beginnt Herbert Fritschs Schweriner Goldoni-Inszenierung auch mit einem "Amore"-Lied des gesamten Ensembles, das als buntes Typenarsenal aufmarschiert.

    Wiederholung, Überdeutlichkeit, Tempo und Spiel mit Klischees bestimmen Fritschs Inszenierungsstil. Ein Liebespaar wird zueinander geschubst, dreimal zieren sich die beiden, dann verschmelzen sie im Kuss. Die Geliebte im rosa Babydoll, der Liebhaber als Föhntollen-Schönling mit Strohhut, sein blondierter dunkelhäutiger Konkurrent gorillahaft wütend: hier wird nichts erklärt, sondern es wird stets durch alle Darstellungsmöglichkeiten der jeweiligen Haltung eines Traurigen, Liebenden, Gierigen oder Wütenden getobt.

    Augen und Münder sind immer aufgerissen, der Ton ist schrill und überschlägt sich oft, die maskenlosen Gesichter verzerren sich zu Grimassen und die Figuren erscheinen als komödiantisch gebrochene Typen. Man springt und stürzt, tanzt und tobt, rennt gegen Wände oder hechtet in Logen, geht sich gruppenweise an die Wäsche oder einzeln an den Hals und lässt sich dabei vom Pianisten den Takt vorgeben. Für ein Theater, das Zitate über Zitate nutzt: die Marx-Brothers kommen zu Ehren, Dean Martin und wohl auch Jerry Lewis singen oder hampeln vorbei. Mal sind wir im Musical, mal in der Operetten-Parodie. Und da Truffaldinos Hunger wie auch die Standesunterschiede keine Rolle spielen, sondern nur Leidenschaften, ist Musik die Hauptnahrung für das wilde Spiel:

    Jakob Krazes Diener Truffaldino ist von gummiartiger Beweglichkeit und grimassiert sich wie ein wild gewordener Wiedergänger von Didi Hallervorden durch das Geschehen. So weit, so ungemein unterhaltsam. Das Problem des Regisseurs Fritsch aber ist, seine gleich auf höchster Erregungsstufe lostobenden Inszenierungen als Gagfeuerwerk immer wieder steigern zu müssen und so über die Zeit zu bringen. Doch das heftige Spiel sinkt immer wieder in sich zusammen und dröhnt nur noch leer; als Zuschauer hat man manchmal all die Zappelei satt.

    Die zentrale Szene, in der der Diener Truffaldino zwei Herren in zwei Räumen beim Essen bedient, wirkt sehr beiläufig und flau, obwohl sie doch, wie bei Giorgio Strehlers Jahrzehnte durch Europa reisender Inszenierung, eigentlich der artistische Höhepunkt sein müsste. Wo einst Giorgio Strehler komödiantisch kunstvoll inszenierte, da arbeitet Herbert Fritsch heute mit bewusster komödiantischer Derbheit und bringt so frischen Wind in die deutsche Theaterlandschaft.