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Zoologie
Social Distancing im Tierreich

Nicht nur wir Menschen sind von Infektionskrankheiten betroffen. Auch Tiere haben mit gefährlichen Erregern zu kämpfen. Und auch bei ihnen spielt dabei das Social Distancing eine wichtige Rolle. Welche unterschiedlichen Formen das annehmen kann, haben Forschende jüngst im Fachmagazin "Science" zusammengefasst.

Von Lucian Haas | 22.03.2021
Zwei Waldameisen tasten einander ab
Soziale Insekten wie die Waldameise praktizieren Social Distancing, wenn sich Krankheiten ausbreiten (dpa)
Abstand halten. Das ist eine der Grundregeln, um sich in Corona-Zeiten möglichst nicht mit SARS-CoV-2 anzustecken und um die weitere Verbreitung des Virus in der Gesellschaft auszubremsen. Dem Biologen und Verhaltensforscher Sebastian Stockmaier von der University of Texas ist das Social Distancing schon länger ein Begriff.
"Also es ist nicht wirklich ein rein menschliches Verhalten. So wie bei uns sind Tiere auch dauernd irgendwelchen Krankheitserregern ausgesetzt. Und es ist nicht überraschend, dass sie dann eben halt auch dieses Verhalten entwickelt haben, um sich vor diesen Infektionen zu schützen."
Sebastian Stockmaiers Spezialgebiet sind Vampir-Fledermäuse. Sie leben in großen Kolonien. Bei seinen Feldstudien beobachtete er, dass kranke Tiere von sich aus den Kontakt zu anderen Fledermäusen ihrer Kolonie einschränken. Wahrscheinlich ist es ein Nebeneffekt der Schwäche und Lethargie, die sich als eine Folge der Infektion ergibt. Passive Selbstisolation nennt er das Verhalten.
Angeregt durch die Corona-Pandemie und Diskussionen mit Kollegen fragte sich Sebastian Stockmaier, welche sonstigen Strategien des Social Distancing bei Tieren zu finden sind. In einer Überblicksstudie im Fachmagazin Science fasste er den Kenntnisstand systematisch zusammen – unterteilt in Verhaltensweisen, die mal von kranken, mal von den gesunden Tieren ausgehen. Letztere setzen zum Beispiel häufig auf die Strategie der Vermeidung.

Hausgimpel meiden kranke Artgenossen

"Das heißt, wenn ich jemanden erkenne, der infiziert ist, dann vermeide ich Kontakt mit dem. Und ich meine, das sehen wir ja jetzt gerade auch wenn wir im Supermarkt sind oder wenn jemand niest neben uns, dann versuchen wir die Person zu vermeiden."
Als typisches Beispiel aus dem Tierreich nennt Sebastian Stockmaier den Hausgimpel, eine Singvogelart in Nordamerika:
"Die haben so eine bakterielle Infektion, die relativ häufig ist. Die löst Ausschläge aus. Die gesunden Artgenossen erkennen das. Und dann vermeiden sie die infizierten Artgenossen, um eben eine Infektion zu vermeiden."
Eine andere Social-Distancing-Strategie ist die der aktiven Selbstisolation. Dabei entfernen sich wiederum kranke Individuen aus eigenem Antrieb von ihrer Gruppe, um diese zu schützen. So ein Verhalten wurde bei Ameisen und Bienen beobachtet.
Zwei Schimpansen sitzen in den Baumwipfeln eines Regenwaldes.
Studie zu Infektionskrankheiten aus der Tierwelt
Ebola, SARS, Zika: Mehr als die Hälfte der Infektionskrankheiten wird vom Tier auf den Menschen übertragen. Auch beim Coronavirus spricht vieles dafür. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen warnt jetzt: Solche Infektionskrankheiten können weiter zunehmen – wegen der massiven Ausbeutung unserer Umwelt.

Soziale Insekten verhalten sich ähnlich wie Menschen

Überhaupt sind bei den in Völkern lebenden, sozialen Insekten die vielfältigsten Varianten des Social Distancing zu finden. Sie weisen die größten Parallelen zu dem auf, was wir Menschen in Corona-Zeiten tun. Bei Waldameisen beispielsweise wurde untersucht, wie nah sich die Tiere kommen, wie viele Kontakt sie untereinander pflegen, und ob Krankheiten das Sozialverhalten beeinflussen. Die Ergebnisse waren eindeutig.
"Wenn eine infizierte Ameise sich der Gruppe nähert, dann betreiben alle anderen Artgenossen dieses Social Distancing. Die Distanz zwischen den einzelnen Ameisen, die nicht infiziert sind, wird größer. Sie machen sowas, was wir gerade auch machen."

Keine Masken im Tierreich

Also: Abstand halten. Ein anderes, im Tierreich zu beobachtendes Verhalten kommt bei uns Menschen glücklicherweise nicht oder nur in einer abgemilderten Form der Quarantäne vor – und zwar: Infizierte werden aktiv isoliert, ausgeschlossen, und sogar ausgestoßen. Bienen gehen da mit ihren infektiösen Kranken zuweilen sehr rigoros um.
"Also die Bienen, die greifen diese virus-infizierten Artgenossen, ziehen die aus dem Nest und werfen die aus dem Nest."
In mancher Hinsicht haben Menschen den Tieren etwas voraus. Sie können sich schützen – mit Impfungen oder Masken. Oder gibt es etwa auch Beispiele von Tieren, die vergleichbare Hilfsmittel nutzen, Herr Stockmaier?
"Nicht, dass ich wüsste. Das wäre natürlich cool. Aber nicht, dass ich wüsste."