"Ich kann mir das durchaus vorstellen auch hier zu bleiben, wenn ich hier Perspektiven sehe. Und so schwarz malen muss man da auch nicht, gibt es hier auch Perspektiven – auf alle Fälle."
"Gerne würde ich in Deutschland bleiben und arbeiten, aber so viele Chancen hat man da, glaube ich, nicht unbedingt, deswegen könnte ich mir auch vorstellen in Neuseeland oder in Südamerika zu arbeiten"
"Also nicht unbedingt in und um Zittau?"
"Nee, ich glaube, da sieht es ganz schlecht aus."
Caroline Bobet studiert Biotechnologie an der Fachhochschule Zittau/Görlitz und Mike Rotter Umwelttechnik am Internationalen Hochschulinstitut in Zittau. Beide gehören zu genau den jungen Leuten, die in den östlichen Bundesländern so händeringend gesucht werden: gut ausgebildete Fachleute. Denn schon in wenigen Jahren soll es dort gerade für sie jede Menge Arbeit geben. Bis jetzt aber verlassen die meisten gut qualifizierten Jugendlichen den Osten - entweder gleich nach der Schule oder nach Ausbildung und Studium. Der Wirtschaftssoziologe Michael Behr von der Universität Jena erklärt, warum junge Menschen weggehen:
"Es gehen junge Leute weg, weil sie in Westdeutschland bessere Ausbildungsmöglichkeiten haben - oft auch Frauen -, schon sehr früh. Und es gehen Frauen wie junge Männer - vor allem nach einer guten, qualifizierten Berufsausbildung weg eigentlich ausschließlich, weil sie im Westen die beruflichen Möglichkeiten finden, die sie hier nicht haben."
Ein zentrales Problem für den langfristigen Aufbau Ost. So sieht es auch der zuständige Minister von der SPD - Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Bei der Vorstellung seines alljährlichen Berichts zum Stand der Deutschen Einheit sagte er:
"Die großen zentralen Herausforderungen beim Aufbau Ost sind die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern, die 2005 bei gut 1,6 Millionen oder 18,7 Prozent lag – rund doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Ein weiteres Problem: Das geringe gesamtwirtschaftliche Wachstum. Im Jahr 2005 stagnierte die ostdeutsche Wirtschaft sogar bei 0,1 Prozent. Und die demografische Entwicklung: Rückgang der Bevölkerungszahlen um rund 100.000 pro Jahr seit 2002."
Besonders junge Frauen aus Ostdeutschland seien noch schneller bereit, anderswo ihre berufliche Zukunft zu suchen als junge Männer, sagt Arbeitsmarktexperte Buscher. Dieses wissenschaftliche Ergebnis spiegelt sich in einer kleinen Umfrage unter Schülern auf Lehrstellensuche in der Agentur für Arbeit in Zittau:
"Ich hatte zwei Vorstellungsgespräche, aber ist nichts draus geworden. Industriemechaniker wollte ich werden."
"Was machen Sie, wenn das hier nicht klappt?"
"Dann mache ich ein Jahr Berufsschule in Zittau für Technik."
"Ich mache momentan Fachoberschule und will nachher einen Beruf Richtung Gestaltung."
"Wie sieht das aus in der Gegend? Findet man da was?"
"Ich glaube es eher nicht."
"Was machen Sie, wenn Sie hier nichts finden?"
"Na dann gehe ich weg."
"Wohin?"
"Dahin, wo ich was kriege."
"Mit der Folge, dass hier Frauen in dem Alter, wo man Familie gründen kann, nicht vorhanden sind, sondern im Westen sind. Und es ist dann immer eine Frage der Zeit, wann die Männer hinterher wandern","
sagt Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher. Männer, die den Frauen nicht hinterher wandern und im Osten bleiben wollen, haben es immer schwerer, eine gleichaltrige Partnerin zu finden, meint auch Michael Behr aus Jena.
""Bei den jungen Leuten, den 18-25-Jährigen wandern deutlich mehr junge Frauen ab als junge Männer. Das ist ein Trend, den wir schon seit Jahren beobachten, so dass die Geschlechtersymmetrie im Osten in vielen Regionen kippt. Auf 100 junge Männer im Alter zwischen 18 und 28 kommen nur noch 80 Frauen in diesem Alter."
Und die Frauen, die wegen der Arbeit in den Westen gegangen sind, finden dort oft einen Partner. Meistens kommen sie dann nicht mehr zurück. Während sie sich im Westen ihr Leben aufbauen, bleibe die Situation auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt für alle jungen Leute sehr hart, sagt Wirtschaftssoziologe Michael Behr. Viele hätten kaum Chancen, weil hier seit Jahren viele ältere Arbeitnehmer in den Vorruhestand geschickt werden und Nachwuchs nicht eingestellt wird. In Ost und West werde dies fälschlicherweise für völlig normal gehalten, sagt der Wirtschaftssoziologe. Dass die Jungen gehen, sei also verständlich, doch die Folgen seien fatal. Denn je mehr junge Menschen fehlen, desto weniger Kinder werden geboren. Mit jedem Mensch, der beispielsweise in Sachsen-Anhalt fehle, fehlten auch 2500 Euro monatlich in der Landeskasse. Dass müsse zum Beispiel durch den Länderfinanzausgleich aufgefangen werden. Bislang gelingt es nur wenigen ostdeutschen Städten und Regionen, neue Bürger anzuziehen.
Ein positives Beispiel hierfür ist Jena. In die Universitätsstadt ziehen besonders viele gut ausgebildete junge Leute – auch aus dem Westen. Noch gebe es aber zu wenige solche Boom-Regionen. Doch bald schon würden Fachleute überall gebraucht, prophezeit Michael Behr, denn in den nächsten zehn Jahren werden in Ostdeutschland viele Hochqualifizierte in Rente gehen.
"Bei den Maschinenbau-Ingenieuren sind 40 Prozent über 50, bei qualifizierten Physikern, Chemikern, Mathematikern ist bereits jeder zweite älter als 50. Ich denke, der Facharbeitermangel bei den Ingenieuren ist heute bereits da. Wir haben in Chemnitz ganz konkret, wo der Maschinenbau wieder richtig gut anläuft, Situationen, wo man die Facharbeiter nach Hause schickt, weil man die Konstrukteure nicht findet, die Ingenieure, die die Vorleistung erbringen. In Fläche werden wir das in fünf bis zehn Jahren erleben. Sie müssen sich mal klar machen, dass bis 2015 der Anteil des Erwerbspersonenpotenzials in den neuen Bundesländern – vor allen Dingen auch in Sachsen um 20 Prozent zurückgeht. Das heißt, wir haben eine ganz neue Konstellation – eine ganz neue Chancenstruktur: Wir werden in zehn Jahren eigentlich jeden, der eine qualifizierte Berufsausbildung hat oder ein qualifiziertes Studium, händeringend brauchen."
Bei diesen Vorhersagen dürften sich die Schüler um ihre Zukunft eigentlich keine Sorgen machen. Doch in der Realität sieht das ganz anders aus. Behr hat Schüler aller Schularten in und um Chemnitz und im Erzgebirge zu ihren beruflichen Erwartungen und zu ihrem künftigen Wohnort befragt:
"Uns hat das schon ein bisschen erschüttert, wie viele junge Leute den Zustand der letzten Jahre für den Normalzustand halten - und die Chancen, die Perspektiven in der Region, die durchaus vorhanden sind. Wir haben eine sehr breite Unternehmensbefragung gemacht. Es handelt sich hier um einen der dynamischsten Wachstumsräume überhaupt in Deutschland - diese Chancen nicht gesehen werden, weil sie eher die negative Kolportage, eher den Regionalpessimismus in sich aufsaugen und dann auch davon ausgehen, weil sie hier keine Arbeit finden, leider Gottes in den Westen gehen zu müssen."
Und das, obwohl die Schüler viel lieber zu Hause leben und arbeiten würden, weil sie mit ihren Beziehungen in der Familie, zu Freunden und Nachbarn sehr zufrieden sind. Wirtschaftssoziologe Michael Behr findet es tragisch, dass die Schüler ihre Zukunftschancen nicht wahrnehmen, weil sie stark von den schlechten Erfahrungen ihrer Eltern geprägt seien - und das nicht nur in Chemnitz sondern fast überall in Ostdeutschland:
"Nicht wenige sind arbeitslos. Viele sind aber auch Gewinner der Wende. Aber es ist eben so, dass die Eltern in Berufen arbeitslos geworden sind, von denen die Söhne und Töchter nicht glauben, dass sie zukünftig wieder Potenzial haben. Es ist aber so. Wer im Chemiedreieck um Bitterfeld als Chemiefacharbeiter oder Diplomchemiker vor 15 Jahren arbeitslos geworden ist, der kann sich möglicherweise mit einer Situation konfrontiert sehen, wo sein Sohn, wenn er Chemie studiert, jetzt wieder exzellente Chancen hat."
Das können sich bislang weder die Jungen noch deren Eltern vorstellen. Und so hält vor allem bei den Jugendlichen der Trend an: Lieber wegziehen als auf der Strecke bleiben. Währenddessen entwickelt sich bei denen, die ihr Berufsleben hinter sich haben, ein gegenläufiger Trend.
Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher vom IWH beobachtet, dass immer mehr Rentner sich einen Altersruhesitz an einem idyllischen Fleckchen in Ostdeutschland suchen.
"Wenn man die Statistiken ansieht, hat man eine Nettozuwanderung bei den über 60-Jährigen. Das können Leute sein, die früher in der DDR gewohnt haben, dann in den Westen gegangen sind und jetzt mit der Verrentung wieder zurückkommen in ihre Heimat, die die Gegend hier attraktiv finden und auch von der Preissituation her sagen: Okay, hier kann man sehr gut leben."
In Waltersdorf hat sich zum Beispiel Gabriele Großhans mit ihrem Mann niedergelassen. Sie wurde ganz in der Nähe als Pfarrerstochter geboren und ging Ende der 50er Jahre zur Ausbildung nach Hamburg. Dort blieb sie, bis sie sich Anfang 2000 entschied, ein für die Oberlausitz typisches Umgebindehaus zu kaufen und zu restaurieren. Inzwischen wohnt sie mit ihrem Mann in dem Haus in der friedlichen Stille des Zittauer Gebirges. Der Ort ist neben Hamburg ihr zweites zu Hause geworden:
"Es war dann so, dass wir letztlich schon alleine hier waren. Aber es war wunderschön, und wir wussten ja, dass wir hin und her reisen können. Wie es mal wird, wissen wir nicht, denn als wir damals nach Waltersdorf zogen, da hatten wir noch eine Bank, da hatten wir noch einen Kaufmann so ein Edeka-Laden. Da war noch die Post und so weiter. Und ich sage, jetzt, für unser schütteres Haar haben wir nur noch einen Friseur, mehr nicht. Ja. Also eindeutig: Es ist eine Vergreisung. Das sagen wir auch für uns, damit wir uns da nichts vormachen. Wir fühlen uns wohl. Wir wohnen in einer wunderschönen Gegend."
Auch wenn Familie Großhans dem Osten keinen Nachwuchs mehr schenken kann, ist sie davon überzeugt, dass sie der Region etwas gibt. Immerhin profitiert man von der Kaufkraft der Rentner und von deren Engagement im Denkmalschutz.
Auch Wolfgang Hanke lebt seit einigen Jahren hier. Kürzlich wurde er 70 und macht sich noch immer in der Gegend nützlich. 2002 siedelte er mit seiner ganzen Firma – der Hanke Crimp Technik von Meckesheim in Baden-Württemberg ins Zittauer Gewerbegebiet um – auch weil er dafür Geld aus dem Fördertopf Ost bekam. Sein 45-Mann-Betrieb stellt Maschinen, Werkzeuge und Anlagen für die kabelverarbeitende Industrie her. Inzwischen betreibt sein Sohn die Geschäfte, der Senior behält aber den Überblick:
"Ich glaube, dass der Osten besser ist, wie er allgemein beschrieben oder gemacht wird. Das muss man mal so sagen. Ich kenne einen Haufen Firmen, mit denen ich zu tun habe. Die sind zufrieden, die sind optimistisch, nur darf man eins nicht vergessen: Wenn Zittau mit der Wende 3000 Industriearbeitsplätze verloren hat, indem hier Fabriken platt gemacht worden sind - das Produkt ließ sich nicht mehr verkaufen -, dann ist das natürlich nicht über Nacht aus dem Boden zu stampfen. Da hängt das eigentliche Problem."
"Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, die Sozialtransfers sind notwendig und demotivieren die Menschen, die das Geld lieber mit ihren Händen und ihrem Kopf erarbeiten wollen. Wir haben eine desolate Finanzsituation, die wird schwieriger durch das Abschmelzen der Gelder, und uns fehlt in weiten Teilen eine Forschungs- und Entwicklungsstruktur an den mittelständischen Strukturen, die tragfähig ist","
sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee dem Deutschlandfunk. Trotz guter Wirtschaftszahlen für das erste Halbjahr 2006 rechne er damit, dass es noch 15 bis 20 Jahre dauern werde, bis man von einem selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung in Ostdeutschland sprechen könne.
Dieses Problem sehen auch die ostdeutschen Landeschefs ganz deutlich. Sie wollen deshalb, dass die finanzielle Wirtschaftsförderung Ost noch möglichst lange erhalten bleibt.
Teil dieser Aufbau-Arbeit könnten auch die so genannten Rückholinitiativen sein. Seit einigen Jahren gibt es in verschiedenen ostdeutschen Regionen Büros und Webseiten, die versuchen, gut ausgebildete Fachkräfte im Osten zu halten und bereits Abgewanderte nach Hause zurückzuholen. Dieser Kampf um die besten Köpfe wird meistens von den Ländern, dem Bund und der EU mitfinanziert. Dennoch meint Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, dass solche Aktionen allein nicht all zu viel bringen:
""Ich glaube, dass dieser Prozess im Wesentlichen ökonomisch gesteuert wird. Deswegen ist das nicht nur mit Rückwanderung zu beantworten, sondern mir sind genauso lieb andere, die meinetwegen, weil wir gute Hochschulen haben - Chipindustrie - in Dresden hängen bleiben, meinetwegen aus Bayern oder BW oder aus Amerika oder aus Taiwan kommen. Ist mir alles recht."
Auch sein sachsen-anhaltinischer Amtskollege Wolfgang Böhmer ist vom Erfolg dieser Rückholaktionen nicht überzeugt.
"Ich finde sie sympathisch, aber ob sie sinnvoll sind, wird davon abhängen, ob wir den jungen Leuten, ordentliche Arbeitsplätze anbieten können. Das ist das A und O. Ich erwarte von niemandem, dass er nur mir zuliebe zurückkommt und ich kann dann hier keinen Arbeitsplatz anbieten und deshalb ist die wirtschaftliche Entwicklung das eigentlich wichtigste. Das andere kommt dann auch ohne solche Aktionen. Aber sie sind sympathisch und beweist, dass das Land ein Interesse daran hat."
Wohl deshalb wird vom Arbeitsministerium Sachsen-Anhalt die Rückholinitiative "JuKaM - Junge Karriere Mitteldeutschland" in Halle mitfinanziert. Auch die EU und die Energiewirtschaft geben Geld dazu. Das Resultat: Jukam betreibt eine professionelle Homepage, auf der derzeit fast 200 anspruchsvolle Stellen angeboten werden. Sucht ein Arbeitgeber einen neuen Mitarbeiter, dann selektiert Jukam auf Wunsch schon mal vor und testet die Bewerber nach einem eigenen Verfahren. Seit Start der Initiative im Jahr 2004 wurden über 4000 Kontakte zwischen Bewerbern und Firmen hergestellt. Diese reichten von der festen Stelle bis hin zum Platz für eine Diplomarbeit oder ein Praktikum. Die Betreiber wollen aber nicht nur junge Leute nach Sachsen-Anhalt holen, sondern zum Beispiel auch in den Wirtschaftsraum Halle-Leipzig. Denn auch wenn sie nach Sachsen und Thüringen vermitteln, wird der Osten wieder lebendiger. Die Frage ist aber, ob solche Erfolge den Einsatz staatlicher Mittel rechtfertigen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer jedenfalls ist dagegen:
"Wir werden auch in Zukunft nicht mit solchen Maßnahmen werben, weil dann alle kritischen Beobachter sagen würden, was macht Ihr mit unserem Geld?"
Vielleicht kommt er zu diesem Schluss, weil Rückholinitiativen inzwischen fast wie Pilze aus dem Boden schießen.
Ein Beispiel ist die durch die Medien bekannte Aktion mit der Magdeburger Heimatschachtel – eine Art Schuhkarton gefüllt mit Werbebeigaben diverser regionaler Firmen, die an abgewanderte Magdeburger verschickt wurde. Die Idee dazu hatte Christiane Dienel. Damals lehrte sie noch an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal und führte die Studie "Menschen für Ostdeutschland" durch, in der unter anderem nachgefragt wurde, warum Magdeburger ihre Stadt verlassen und wieder zurückkommen. Ein Ergebnis der Studie war die Empfehlung der Gründung einer Rückholinitiative. Inzwischen ist Christiane Dienel in Sachsen-Anhalt Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheit und Soziales. An der Heimatschachtel hält sie noch immer fest:
""Also die Heimatschachtel war eine der billigsten Aktionen, die in der Hinsicht gemacht wurden. In der Heimatschachte sind sehr schöne Dinge drin, Krimis - Magdeburger Mordgeschichten, Burger Knäcke, ein Gutschein für die Online-Ausgabe der Volksstimme, Kugelschreiber, Kartenspiel. Hier sind so Gutscheine, Heimatmagnet. Aber wir haben in unserem Forschungsprojekt 2000 Euro eingeplant. Der Rest kam von Sponsoren. 300 Kisten waren geplant, mit Sponsoren sind es nun 1000."
Bis Ende Oktober sollen sie alle verschickt sein. Geld vom Land Sachsen-Anhalt gibt es dafür nicht. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat eine klare Meinung zu Schachtel und Studie:
"Das Land Sachsen-Anhalt hat das nicht bezahlt. Das war eine Maßnahme, die der Bundesminister für Ostdeutschland, Herr Tiefensee, finanziert hat. Ich muss mal sagen: Geld hätte ich dafür nicht ausgegeben."
Wenn es tatsächlich so kommt, wie der Wirtschaftssoziologe Michael Behr von der Universität Jena vorhersagt und spätestens in fünf bis zehn Jahren reichlich Top-Jobs im Osten zu besetzen sind, müsse man im Westen um Fachkräfte werben. Die Agentur MV4You in Schwerin macht das - so wie Jukam in Halle - schon recht aktiv. Sie hält via Internet den Kontakt zu den Abwanderern und vermittelt Stellen bei Firmen in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem hilft sie bei der Wohnungssuche und bei der Suche nach der passenden Schule für die Kinder. In knapp fünf Jahren hat die Agentur rund 300 Leute zurückgekehrt. Allein in diesem Jahr waren es 74. Projektleiterin Sabine Ohse erzählt von einem ihrer Vermittlungserfolge:
"Wir haben eine Frau zurückholen können, die jetzt im Raum Rostock tätig ist. Das ist eine so spezielle Stelle mit einer so speziellen Ausbildung, dass es für das Unternehmen keinen Sinn machen würde, das großflächig auszuschreiben. Gleichzeitig hat die Rückkehrerin gesagt, da hätte ihr auch ihr Netzwerk hier nicht mehr helfen können. Sie ist jetzt absolut glücklich, dass sie diese Stelle gefunden hat, die einen Freund hat, der auch aus MV stammt und dann auch über uns eine Stelle gefunden hat."
Der 23-jährige Mike Weber und seine Lebensgefährtin Nicole Nikolaus sind auch ohne die Hilfe einer Rückholinitiative in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie sind in Zittau zusammen zur Schule gegangen, sind sich aber erst während ihrer Lehrzeit in Fürstenfeldbruck bei München näher gekommen. Seit kurzem wohnen sie gemeinsam in Mittelherwigsdorf nahe Zittau. Sechs Jahre lebten sie fern der Heimat. Die ganze Zeit über war für sie klar, dass sie eines Tages zurückgehen:
"Freunde hat man drüben nicht so viele und wenn, dann waren es auch welche aus dem Osten, die auch wieder zurück sind. Wir wollten eben wieder zu den Eltern nach Hause. Die Leute, die sind sehr egoistisch eingestellt, was ich kennen gelernt habe. Ich will das nicht alles über einen Kamm scheren, auf keinen Fall, aber die Leute hier sind viel aufgeschlossener und gehen auf einen auch zu und herzlicher, habe ich das Gefühl zumindest."shalb sind beide froh, dass sie endlich zu Hause Arbeit gefunden haben und finanziell nicht schlechter stehen, als bisher.
"Gerne würde ich in Deutschland bleiben und arbeiten, aber so viele Chancen hat man da, glaube ich, nicht unbedingt, deswegen könnte ich mir auch vorstellen in Neuseeland oder in Südamerika zu arbeiten"
"Also nicht unbedingt in und um Zittau?"
"Nee, ich glaube, da sieht es ganz schlecht aus."
Caroline Bobet studiert Biotechnologie an der Fachhochschule Zittau/Görlitz und Mike Rotter Umwelttechnik am Internationalen Hochschulinstitut in Zittau. Beide gehören zu genau den jungen Leuten, die in den östlichen Bundesländern so händeringend gesucht werden: gut ausgebildete Fachleute. Denn schon in wenigen Jahren soll es dort gerade für sie jede Menge Arbeit geben. Bis jetzt aber verlassen die meisten gut qualifizierten Jugendlichen den Osten - entweder gleich nach der Schule oder nach Ausbildung und Studium. Der Wirtschaftssoziologe Michael Behr von der Universität Jena erklärt, warum junge Menschen weggehen:
"Es gehen junge Leute weg, weil sie in Westdeutschland bessere Ausbildungsmöglichkeiten haben - oft auch Frauen -, schon sehr früh. Und es gehen Frauen wie junge Männer - vor allem nach einer guten, qualifizierten Berufsausbildung weg eigentlich ausschließlich, weil sie im Westen die beruflichen Möglichkeiten finden, die sie hier nicht haben."
Ein zentrales Problem für den langfristigen Aufbau Ost. So sieht es auch der zuständige Minister von der SPD - Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Bei der Vorstellung seines alljährlichen Berichts zum Stand der Deutschen Einheit sagte er:
"Die großen zentralen Herausforderungen beim Aufbau Ost sind die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern, die 2005 bei gut 1,6 Millionen oder 18,7 Prozent lag – rund doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Ein weiteres Problem: Das geringe gesamtwirtschaftliche Wachstum. Im Jahr 2005 stagnierte die ostdeutsche Wirtschaft sogar bei 0,1 Prozent. Und die demografische Entwicklung: Rückgang der Bevölkerungszahlen um rund 100.000 pro Jahr seit 2002."
Besonders junge Frauen aus Ostdeutschland seien noch schneller bereit, anderswo ihre berufliche Zukunft zu suchen als junge Männer, sagt Arbeitsmarktexperte Buscher. Dieses wissenschaftliche Ergebnis spiegelt sich in einer kleinen Umfrage unter Schülern auf Lehrstellensuche in der Agentur für Arbeit in Zittau:
"Ich hatte zwei Vorstellungsgespräche, aber ist nichts draus geworden. Industriemechaniker wollte ich werden."
"Was machen Sie, wenn das hier nicht klappt?"
"Dann mache ich ein Jahr Berufsschule in Zittau für Technik."
"Ich mache momentan Fachoberschule und will nachher einen Beruf Richtung Gestaltung."
"Wie sieht das aus in der Gegend? Findet man da was?"
"Ich glaube es eher nicht."
"Was machen Sie, wenn Sie hier nichts finden?"
"Na dann gehe ich weg."
"Wohin?"
"Dahin, wo ich was kriege."
"Mit der Folge, dass hier Frauen in dem Alter, wo man Familie gründen kann, nicht vorhanden sind, sondern im Westen sind. Und es ist dann immer eine Frage der Zeit, wann die Männer hinterher wandern","
sagt Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher. Männer, die den Frauen nicht hinterher wandern und im Osten bleiben wollen, haben es immer schwerer, eine gleichaltrige Partnerin zu finden, meint auch Michael Behr aus Jena.
""Bei den jungen Leuten, den 18-25-Jährigen wandern deutlich mehr junge Frauen ab als junge Männer. Das ist ein Trend, den wir schon seit Jahren beobachten, so dass die Geschlechtersymmetrie im Osten in vielen Regionen kippt. Auf 100 junge Männer im Alter zwischen 18 und 28 kommen nur noch 80 Frauen in diesem Alter."
Und die Frauen, die wegen der Arbeit in den Westen gegangen sind, finden dort oft einen Partner. Meistens kommen sie dann nicht mehr zurück. Während sie sich im Westen ihr Leben aufbauen, bleibe die Situation auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt für alle jungen Leute sehr hart, sagt Wirtschaftssoziologe Michael Behr. Viele hätten kaum Chancen, weil hier seit Jahren viele ältere Arbeitnehmer in den Vorruhestand geschickt werden und Nachwuchs nicht eingestellt wird. In Ost und West werde dies fälschlicherweise für völlig normal gehalten, sagt der Wirtschaftssoziologe. Dass die Jungen gehen, sei also verständlich, doch die Folgen seien fatal. Denn je mehr junge Menschen fehlen, desto weniger Kinder werden geboren. Mit jedem Mensch, der beispielsweise in Sachsen-Anhalt fehle, fehlten auch 2500 Euro monatlich in der Landeskasse. Dass müsse zum Beispiel durch den Länderfinanzausgleich aufgefangen werden. Bislang gelingt es nur wenigen ostdeutschen Städten und Regionen, neue Bürger anzuziehen.
Ein positives Beispiel hierfür ist Jena. In die Universitätsstadt ziehen besonders viele gut ausgebildete junge Leute – auch aus dem Westen. Noch gebe es aber zu wenige solche Boom-Regionen. Doch bald schon würden Fachleute überall gebraucht, prophezeit Michael Behr, denn in den nächsten zehn Jahren werden in Ostdeutschland viele Hochqualifizierte in Rente gehen.
"Bei den Maschinenbau-Ingenieuren sind 40 Prozent über 50, bei qualifizierten Physikern, Chemikern, Mathematikern ist bereits jeder zweite älter als 50. Ich denke, der Facharbeitermangel bei den Ingenieuren ist heute bereits da. Wir haben in Chemnitz ganz konkret, wo der Maschinenbau wieder richtig gut anläuft, Situationen, wo man die Facharbeiter nach Hause schickt, weil man die Konstrukteure nicht findet, die Ingenieure, die die Vorleistung erbringen. In Fläche werden wir das in fünf bis zehn Jahren erleben. Sie müssen sich mal klar machen, dass bis 2015 der Anteil des Erwerbspersonenpotenzials in den neuen Bundesländern – vor allen Dingen auch in Sachsen um 20 Prozent zurückgeht. Das heißt, wir haben eine ganz neue Konstellation – eine ganz neue Chancenstruktur: Wir werden in zehn Jahren eigentlich jeden, der eine qualifizierte Berufsausbildung hat oder ein qualifiziertes Studium, händeringend brauchen."
Bei diesen Vorhersagen dürften sich die Schüler um ihre Zukunft eigentlich keine Sorgen machen. Doch in der Realität sieht das ganz anders aus. Behr hat Schüler aller Schularten in und um Chemnitz und im Erzgebirge zu ihren beruflichen Erwartungen und zu ihrem künftigen Wohnort befragt:
"Uns hat das schon ein bisschen erschüttert, wie viele junge Leute den Zustand der letzten Jahre für den Normalzustand halten - und die Chancen, die Perspektiven in der Region, die durchaus vorhanden sind. Wir haben eine sehr breite Unternehmensbefragung gemacht. Es handelt sich hier um einen der dynamischsten Wachstumsräume überhaupt in Deutschland - diese Chancen nicht gesehen werden, weil sie eher die negative Kolportage, eher den Regionalpessimismus in sich aufsaugen und dann auch davon ausgehen, weil sie hier keine Arbeit finden, leider Gottes in den Westen gehen zu müssen."
Und das, obwohl die Schüler viel lieber zu Hause leben und arbeiten würden, weil sie mit ihren Beziehungen in der Familie, zu Freunden und Nachbarn sehr zufrieden sind. Wirtschaftssoziologe Michael Behr findet es tragisch, dass die Schüler ihre Zukunftschancen nicht wahrnehmen, weil sie stark von den schlechten Erfahrungen ihrer Eltern geprägt seien - und das nicht nur in Chemnitz sondern fast überall in Ostdeutschland:
"Nicht wenige sind arbeitslos. Viele sind aber auch Gewinner der Wende. Aber es ist eben so, dass die Eltern in Berufen arbeitslos geworden sind, von denen die Söhne und Töchter nicht glauben, dass sie zukünftig wieder Potenzial haben. Es ist aber so. Wer im Chemiedreieck um Bitterfeld als Chemiefacharbeiter oder Diplomchemiker vor 15 Jahren arbeitslos geworden ist, der kann sich möglicherweise mit einer Situation konfrontiert sehen, wo sein Sohn, wenn er Chemie studiert, jetzt wieder exzellente Chancen hat."
Das können sich bislang weder die Jungen noch deren Eltern vorstellen. Und so hält vor allem bei den Jugendlichen der Trend an: Lieber wegziehen als auf der Strecke bleiben. Währenddessen entwickelt sich bei denen, die ihr Berufsleben hinter sich haben, ein gegenläufiger Trend.
Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher vom IWH beobachtet, dass immer mehr Rentner sich einen Altersruhesitz an einem idyllischen Fleckchen in Ostdeutschland suchen.
"Wenn man die Statistiken ansieht, hat man eine Nettozuwanderung bei den über 60-Jährigen. Das können Leute sein, die früher in der DDR gewohnt haben, dann in den Westen gegangen sind und jetzt mit der Verrentung wieder zurückkommen in ihre Heimat, die die Gegend hier attraktiv finden und auch von der Preissituation her sagen: Okay, hier kann man sehr gut leben."
In Waltersdorf hat sich zum Beispiel Gabriele Großhans mit ihrem Mann niedergelassen. Sie wurde ganz in der Nähe als Pfarrerstochter geboren und ging Ende der 50er Jahre zur Ausbildung nach Hamburg. Dort blieb sie, bis sie sich Anfang 2000 entschied, ein für die Oberlausitz typisches Umgebindehaus zu kaufen und zu restaurieren. Inzwischen wohnt sie mit ihrem Mann in dem Haus in der friedlichen Stille des Zittauer Gebirges. Der Ort ist neben Hamburg ihr zweites zu Hause geworden:
"Es war dann so, dass wir letztlich schon alleine hier waren. Aber es war wunderschön, und wir wussten ja, dass wir hin und her reisen können. Wie es mal wird, wissen wir nicht, denn als wir damals nach Waltersdorf zogen, da hatten wir noch eine Bank, da hatten wir noch einen Kaufmann so ein Edeka-Laden. Da war noch die Post und so weiter. Und ich sage, jetzt, für unser schütteres Haar haben wir nur noch einen Friseur, mehr nicht. Ja. Also eindeutig: Es ist eine Vergreisung. Das sagen wir auch für uns, damit wir uns da nichts vormachen. Wir fühlen uns wohl. Wir wohnen in einer wunderschönen Gegend."
Auch wenn Familie Großhans dem Osten keinen Nachwuchs mehr schenken kann, ist sie davon überzeugt, dass sie der Region etwas gibt. Immerhin profitiert man von der Kaufkraft der Rentner und von deren Engagement im Denkmalschutz.
Auch Wolfgang Hanke lebt seit einigen Jahren hier. Kürzlich wurde er 70 und macht sich noch immer in der Gegend nützlich. 2002 siedelte er mit seiner ganzen Firma – der Hanke Crimp Technik von Meckesheim in Baden-Württemberg ins Zittauer Gewerbegebiet um – auch weil er dafür Geld aus dem Fördertopf Ost bekam. Sein 45-Mann-Betrieb stellt Maschinen, Werkzeuge und Anlagen für die kabelverarbeitende Industrie her. Inzwischen betreibt sein Sohn die Geschäfte, der Senior behält aber den Überblick:
"Ich glaube, dass der Osten besser ist, wie er allgemein beschrieben oder gemacht wird. Das muss man mal so sagen. Ich kenne einen Haufen Firmen, mit denen ich zu tun habe. Die sind zufrieden, die sind optimistisch, nur darf man eins nicht vergessen: Wenn Zittau mit der Wende 3000 Industriearbeitsplätze verloren hat, indem hier Fabriken platt gemacht worden sind - das Produkt ließ sich nicht mehr verkaufen -, dann ist das natürlich nicht über Nacht aus dem Boden zu stampfen. Da hängt das eigentliche Problem."
"Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, die Sozialtransfers sind notwendig und demotivieren die Menschen, die das Geld lieber mit ihren Händen und ihrem Kopf erarbeiten wollen. Wir haben eine desolate Finanzsituation, die wird schwieriger durch das Abschmelzen der Gelder, und uns fehlt in weiten Teilen eine Forschungs- und Entwicklungsstruktur an den mittelständischen Strukturen, die tragfähig ist","
sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee dem Deutschlandfunk. Trotz guter Wirtschaftszahlen für das erste Halbjahr 2006 rechne er damit, dass es noch 15 bis 20 Jahre dauern werde, bis man von einem selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung in Ostdeutschland sprechen könne.
Dieses Problem sehen auch die ostdeutschen Landeschefs ganz deutlich. Sie wollen deshalb, dass die finanzielle Wirtschaftsförderung Ost noch möglichst lange erhalten bleibt.
Teil dieser Aufbau-Arbeit könnten auch die so genannten Rückholinitiativen sein. Seit einigen Jahren gibt es in verschiedenen ostdeutschen Regionen Büros und Webseiten, die versuchen, gut ausgebildete Fachkräfte im Osten zu halten und bereits Abgewanderte nach Hause zurückzuholen. Dieser Kampf um die besten Köpfe wird meistens von den Ländern, dem Bund und der EU mitfinanziert. Dennoch meint Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, dass solche Aktionen allein nicht all zu viel bringen:
""Ich glaube, dass dieser Prozess im Wesentlichen ökonomisch gesteuert wird. Deswegen ist das nicht nur mit Rückwanderung zu beantworten, sondern mir sind genauso lieb andere, die meinetwegen, weil wir gute Hochschulen haben - Chipindustrie - in Dresden hängen bleiben, meinetwegen aus Bayern oder BW oder aus Amerika oder aus Taiwan kommen. Ist mir alles recht."
Auch sein sachsen-anhaltinischer Amtskollege Wolfgang Böhmer ist vom Erfolg dieser Rückholaktionen nicht überzeugt.
"Ich finde sie sympathisch, aber ob sie sinnvoll sind, wird davon abhängen, ob wir den jungen Leuten, ordentliche Arbeitsplätze anbieten können. Das ist das A und O. Ich erwarte von niemandem, dass er nur mir zuliebe zurückkommt und ich kann dann hier keinen Arbeitsplatz anbieten und deshalb ist die wirtschaftliche Entwicklung das eigentlich wichtigste. Das andere kommt dann auch ohne solche Aktionen. Aber sie sind sympathisch und beweist, dass das Land ein Interesse daran hat."
Wohl deshalb wird vom Arbeitsministerium Sachsen-Anhalt die Rückholinitiative "JuKaM - Junge Karriere Mitteldeutschland" in Halle mitfinanziert. Auch die EU und die Energiewirtschaft geben Geld dazu. Das Resultat: Jukam betreibt eine professionelle Homepage, auf der derzeit fast 200 anspruchsvolle Stellen angeboten werden. Sucht ein Arbeitgeber einen neuen Mitarbeiter, dann selektiert Jukam auf Wunsch schon mal vor und testet die Bewerber nach einem eigenen Verfahren. Seit Start der Initiative im Jahr 2004 wurden über 4000 Kontakte zwischen Bewerbern und Firmen hergestellt. Diese reichten von der festen Stelle bis hin zum Platz für eine Diplomarbeit oder ein Praktikum. Die Betreiber wollen aber nicht nur junge Leute nach Sachsen-Anhalt holen, sondern zum Beispiel auch in den Wirtschaftsraum Halle-Leipzig. Denn auch wenn sie nach Sachsen und Thüringen vermitteln, wird der Osten wieder lebendiger. Die Frage ist aber, ob solche Erfolge den Einsatz staatlicher Mittel rechtfertigen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer jedenfalls ist dagegen:
"Wir werden auch in Zukunft nicht mit solchen Maßnahmen werben, weil dann alle kritischen Beobachter sagen würden, was macht Ihr mit unserem Geld?"
Vielleicht kommt er zu diesem Schluss, weil Rückholinitiativen inzwischen fast wie Pilze aus dem Boden schießen.
Ein Beispiel ist die durch die Medien bekannte Aktion mit der Magdeburger Heimatschachtel – eine Art Schuhkarton gefüllt mit Werbebeigaben diverser regionaler Firmen, die an abgewanderte Magdeburger verschickt wurde. Die Idee dazu hatte Christiane Dienel. Damals lehrte sie noch an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal und führte die Studie "Menschen für Ostdeutschland" durch, in der unter anderem nachgefragt wurde, warum Magdeburger ihre Stadt verlassen und wieder zurückkommen. Ein Ergebnis der Studie war die Empfehlung der Gründung einer Rückholinitiative. Inzwischen ist Christiane Dienel in Sachsen-Anhalt Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheit und Soziales. An der Heimatschachtel hält sie noch immer fest:
""Also die Heimatschachtel war eine der billigsten Aktionen, die in der Hinsicht gemacht wurden. In der Heimatschachte sind sehr schöne Dinge drin, Krimis - Magdeburger Mordgeschichten, Burger Knäcke, ein Gutschein für die Online-Ausgabe der Volksstimme, Kugelschreiber, Kartenspiel. Hier sind so Gutscheine, Heimatmagnet. Aber wir haben in unserem Forschungsprojekt 2000 Euro eingeplant. Der Rest kam von Sponsoren. 300 Kisten waren geplant, mit Sponsoren sind es nun 1000."
Bis Ende Oktober sollen sie alle verschickt sein. Geld vom Land Sachsen-Anhalt gibt es dafür nicht. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat eine klare Meinung zu Schachtel und Studie:
"Das Land Sachsen-Anhalt hat das nicht bezahlt. Das war eine Maßnahme, die der Bundesminister für Ostdeutschland, Herr Tiefensee, finanziert hat. Ich muss mal sagen: Geld hätte ich dafür nicht ausgegeben."
Wenn es tatsächlich so kommt, wie der Wirtschaftssoziologe Michael Behr von der Universität Jena vorhersagt und spätestens in fünf bis zehn Jahren reichlich Top-Jobs im Osten zu besetzen sind, müsse man im Westen um Fachkräfte werben. Die Agentur MV4You in Schwerin macht das - so wie Jukam in Halle - schon recht aktiv. Sie hält via Internet den Kontakt zu den Abwanderern und vermittelt Stellen bei Firmen in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem hilft sie bei der Wohnungssuche und bei der Suche nach der passenden Schule für die Kinder. In knapp fünf Jahren hat die Agentur rund 300 Leute zurückgekehrt. Allein in diesem Jahr waren es 74. Projektleiterin Sabine Ohse erzählt von einem ihrer Vermittlungserfolge:
"Wir haben eine Frau zurückholen können, die jetzt im Raum Rostock tätig ist. Das ist eine so spezielle Stelle mit einer so speziellen Ausbildung, dass es für das Unternehmen keinen Sinn machen würde, das großflächig auszuschreiben. Gleichzeitig hat die Rückkehrerin gesagt, da hätte ihr auch ihr Netzwerk hier nicht mehr helfen können. Sie ist jetzt absolut glücklich, dass sie diese Stelle gefunden hat, die einen Freund hat, der auch aus MV stammt und dann auch über uns eine Stelle gefunden hat."
Der 23-jährige Mike Weber und seine Lebensgefährtin Nicole Nikolaus sind auch ohne die Hilfe einer Rückholinitiative in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie sind in Zittau zusammen zur Schule gegangen, sind sich aber erst während ihrer Lehrzeit in Fürstenfeldbruck bei München näher gekommen. Seit kurzem wohnen sie gemeinsam in Mittelherwigsdorf nahe Zittau. Sechs Jahre lebten sie fern der Heimat. Die ganze Zeit über war für sie klar, dass sie eines Tages zurückgehen:
"Freunde hat man drüben nicht so viele und wenn, dann waren es auch welche aus dem Osten, die auch wieder zurück sind. Wir wollten eben wieder zu den Eltern nach Hause. Die Leute, die sind sehr egoistisch eingestellt, was ich kennen gelernt habe. Ich will das nicht alles über einen Kamm scheren, auf keinen Fall, aber die Leute hier sind viel aufgeschlossener und gehen auf einen auch zu und herzlicher, habe ich das Gefühl zumindest."shalb sind beide froh, dass sie endlich zu Hause Arbeit gefunden haben und finanziell nicht schlechter stehen, als bisher.