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"Zu wem redet man, wenn man zu sich selber redet?"

Nach berühmten Kollegen wie Amos Oz und Susan Sontag hat der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson gemeinsam mit Pascal Mercier die 19. Tübinger Poetik-Dozentur inne. "Zu wem redet man, wenn man zu sich selber redet?" fragte Gustafsson, um den poetischen Prozess zu verdeutlichen.

Von Christian Gampert |
    Einer Poetikdozentur liegt normalerweise die Vereinbarung zugrunde, der eingeladene Schriftsteller möge aus seiner Werkstatt berichten, er möge Reflexionen über seinen Werdegang, seine ideologischen und handwerklichen Bezugspunkte, seinen Schreibprozess zu einer Art persönlichen Ästhetik verdichten. Dieser doch auch strengen Anforderung ist bei der Tübinger Poetik-Dozentur in den letzten Jahren nicht recht nachgekommen worden; die Vorlesungen bestanden oft genug aus freundlicher, gebildeter Plauderei, von schönen Ausnahmen wie Amos Oz einmal abgesehen.

    Der jetzt eingeladene Lars Gustafsson sollte als professioneller Philosoph - der Nietzsche-Spezialist lehrt in Austin/Texas - über seine literarische Produktionsweise sprechen; und in der Tat betrachtet Gustafsson die Literatur ja in der Hauptsache als Erkenntnismittel, das einen anderen Zugang zur Wirklichkeit verschafft als der quasi alltagsgereinigte philosophische Abstraktionsprozess. Demzufolge bieten die meisten seiner Romane ein Netzwerk vorsichtiger Wahrnehmungen, Gedankenexperimente und Stimmungen, die immer neu verknüpft werden und beim Leser das Gefühl hinterlassen, er sei, ebenso wie der Autor, fremd in der Welt, und die Welt selbst sei vielleicht nur eine seltsame Fiktion. Der in Schweden aufgewachsene Gustafsson hat in den 1970iger Jahren in Berlin gelebt und spricht gut deutsch; seine damals geleistete Trauerarbeit, die ausbeuterischen westeuropäischen Gesellschaften betreffend, hatte nichts gemein mit der dogmatischen Linken, sondern war differenzierte, oft biographisch grundierte Seelenkunde, Wahrnehmungsarbeit.

    Auch seine neuesten Gedichte, etwa der bei Hanser erschienene "Auszug aus Xanadu", sind ganz reduziert und schmal, lakonische, eremitische Reflexionen mit einem sarkastischen Humor. "Aber wenn ich existiere - muss Ich dann wirklich / darüber informiert werden, dass dies der Fall ist?" fragt Gustafsson listig und bewegt sich in Totengesprächen und Traumlandschaften, in Gräserschatten und Schneephantasien.

    Vor großem Publikum die Frage "Was ist ein Gedicht?" philosophisch zu klären, schien für Gustafsson allerdings eine Überforderung. Sein stockender Vortrag bewegte sich von T.S. Eliots Diktum "Poetry must communicate before it is understood" über Borges und Goethe zu Hölderlin, über "undenkbare Textmassen" und den "Leerraum zwischen den Zeichen", Leibniz’ Traum von der Universalsprache und heutigen computerisierten Super-Sprachen hin zu poetischen "Sprech- und Denkakten", denen ein Subjekt als Sinngeber innewohne. Soweit die Preliminarien. Alsdann die ironische Mitteilung, dass er schon Ende der 50iger Jahre in einem Seminar in Uppsala den Unterschied zwischen Gedicht und Prosa formallogisch geklärt habe, um fünf Minuten später festzustellen, dass es auch Prosagedichte gebe.

    Gustafsson überraschte das Publikum mit der Frage "Wo befindet sich das Gedicht?" und der Antwort, es habe eben keinen Raum - ebenso wenig wie die Symphonie, die auch nicht "im Orchester" zu finden sei. Das Problem sei vielmehr: wo ist das Gedicht, bevor es geschrieben wird? Da hätte man weitermachen können. Aber Gustafsson beschied uns, er wolle die Poesie nicht schlechthin verteidigen, schließlich gebe es nicht nur misslungene, sondern auch rechtsradikale Gedichte, es gebe Schlagertexte und Nationalhymnen.

    Nach kurzem Schwenk über platonische und romantische Kunstauffassungen dann die überraschende Mitteilung: das Gedicht gehorche einer anderen Logik als der vernünftige Alltags- und Wissenschaftsdiskurs. Es sei irrational, ästhetisierend, prozesshaft, vieldeutig, schwebend, es öffne dem Leser einen "begehbaren Raum" bei größtmöglicher Authentizität des Autors.

    Bei Licht besehen sind dies natürlich intellektuelle Plattitüden. Vielleicht hatte Gustafsson auch einfach keine Lust und wollte sich nur eine gewiss anregende Reise nach Tübingen sponsern lassen. Andererseits mutet es fast sympathisch an, dass sich da einer dem Medienzirkus verweigert und versponnen und völlig in sich gekehrt vor Publikum ein wenig daherredet. Vielleicht sind das die wahren Dichter, die die unterhaltsame Performance einfach nicht können. "Zu wem redet man, wenn man zu sich selber redet?" fragte Gustafsson, um den poetischen Prozess zu verdeutlichen. "Kann man zu anderen reden, als redete man zu sich selbst?" Nach dieser Vorlesung muss man sagen: man kann - nicht nur im Gedicht.