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Zukunftsvisionen der Kunst

Wenn der Bau bei Nacht weithin sichtbar blau erstrahlt, hat das im letzten Jahr neu eröffnete beeindruckende Lentos Kunstmuseum selbst etwas von einem elektronischen Bauteil. Im zweiten Jahr seiner Existenz kooperiert es mit der Ars Electronica und zeigt die Ausstellung "Digitale Avantgarde”, die mit großem Erfolg schon in New York zu sehen war. Einige schon klassisch zu nennende Werke der Medienkunst, allesamt mit Preisen des Wettbewerbs der Ars Electronica ausgezeichnet, sind hier versammelt, so die Installation "Die lesbare Stadt” von Jeffrey Shaw aus dem Jahre 1990.

Von Wolfgang Neuhaus |
    Allein sieben Ausstellungen kann der medienkunstbegeisterte Interessent in diesem Jahr bei der Ars Electronica besuchen. Zum Jubiläum hat dieses weltweit einmalige Festival für die Medienkünste seine bisher größte Veranstaltung organisiert. Während andere Medienkunstfestivals verschwunden sind oder an mangelnder finanzieller Ausstattung leiden, stellt die Ars Electronica mittlerweile eine Organisation dar, die auf verschiedenen Schwerpunkten beruht. Das Festival existiert seit Ende der siebziger Jahre, 1987 kam ein Wettbewerb für die digitalen Künste hinzu. Das 1996 eröffnete Ars Electronica Center versteht sich allerdings nicht als Kunstmuseum, sondern als aufwändig eingerichtete Vermittlungsplattform für die neuen Medien.

    Der Untertitel des Festivals, ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu sein, deutet es aber an: die Ars Electronica hat sich nie als reines Kunstfestival verstanden, sondern von Anfang an technologische und soziale Fragestellungen einbezogen. Neben den Präsentationen und Aufführungen beschäftigen sich Symposien mit den großen Themen der Zeit aus Technik und Kultur. Hier bietet sich die Gelegenheit, die Stars des internationalen Diskurses der Technokultur live zu erleben. In diesem Jahr beispielsweise den Publizisten Howard Rheingold, der über virtuelle Gemeinschaften und Flash Mobs geschrieben hat, die Psychologin Sherry Turkle, bekannt durch ihr Buch über die Wunschmaschine Computer, oder den Schriftsteller Bruce Sterling, Wortführer der einflussreichen Cyberpunk-Bewegung in der Science Fiction.

    Die Ars Electronica hat früh aufkommende internationale Diskussionen in Europa vorgestellt. 1990 war es die Virtuelle Realität, zwei Jahre später die Nanotechnologie, darauffolgend die Forschungsrichtung des so genannten Künstlichen Lebens. Anfang des neuen Jahrtausends waren die Biotechnologie, Fragen um die Manipulationen des menschlichen Körpers, das Thema. Sich mit den modernen Technologien und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen auseinanderzusetzen, ist für den künstlerischen Leiter des Festivals, Gerfried Stocker, unerlässlich:

    Wenn die Kunst jetzt nicht darauf eingeht, dass wir mit unseren Medizintechniken, mit unseren Pharmatechniken etwas in unsere Kontrolle übernehmen, das bisher nicht in unserer Kontrolle war, dann bleibt die Antwort, die sie geben kann, eine nur oberflächliche, eine scheinbare. Sie kann nicht mehr genügen. Wenn die Kunst sich auf diese technischen Realitäten nicht einlässt, wird sie die Fragen nicht befriedigend beantworten können.

    Doch viele der gezeigten Werke können einen Vorwurf nicht entkräften, der der Medienkunst beziehungsweise der Spielart, die bei der Ars gezeigt wird, gemacht wird. Dass die Medienkunst in seltenen Fällen als Kunst akzeptabel sei, schreibt Hans Peter Schwarz, Rektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, in einem Katalogbeitrag. Sich allzusehr auf den Reiz der technischen Neuerung verlassend, werden inhaltliche Fragen vernachlässigt, und alles bleibt ein oberflächliches Spiel, zugegeben, auf der Höhe der technischen Möglichkeiten. Symptomatisch dafür sei hier eine Arbeit aus dem Wettbewerb erwähnt, die einen Preis in der Kategorie "Interaktive Kunst" erworben hat: die Arbeit "Ah_Q" des jungen chinesischen Künstlers Feng Mengbo. Menbo hat dazu das populäre Computerspiel "Quake” modifiziert. Er hat die Kämpferfiguren nach seinem Vorbild gestaltet, ausgestattet mit einer touristischen Bewaffnung, einer Digitalkamera, und dem üblichen Waffenarsenal der Spielwelt. Ansonsten geht es blutig zu, wie gewohnt. Wer möchte, kann das das als ironisches Spiel mit Versatzstücken der zeitgenössischen Popkultur bewundern, das zudem aus einer anderen Kultur stammt. Gar die Massaker am Tiananmen Platz vom Juni 1989 werden herbeizitiert, um dem Werk einen Resonanzboden in der jüngeren chinesischen Geschichte zu geben. Das ist jedoch eine völlige Überschätzung dieser Arbeit, die eher einen schalen Beigeschmack hinterlässt.

    "Experiment" heißt das Zauberwort, das in diesem Zusammenhang gerne gebraucht wird. Doch dahinter lässt sich einiges verstecken. Oft ist den bei der Ars Electronica präsentierten Künstlern die Nähe zur Computerindustrie nicht bekommen – sowieso unter den Sponsoren des Festivals reich vertreten. Aber die Medienkünstlern können sich langsam aus den Notwendigkeiten kostspieliger Installationen befreien und von den geringeren Kosten der Hardware profitieren. Die technischen Fähigkeiten, die sie haben, sind nicht zu bezweifeln. Dazu Stocker:

    Was hier eine ganz besondere Qualität, vielleicht auch das Neue an der Medienkunst sein kann, ist diese Kompetenz und diese Expertise, die hier Künstler haben, diese Technologien nämlich nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern in einer kritischen Praxis einzusetzen. Das heißt, dass der Einsatz dieser Mittel mit dieser notwendigen kritischen Distanz, aber auch aus einer gleichzeitig sehr intimen Kenntnis dieser Technologie erfolgt.

    Zu dieser Kompetenz muss aber noch die Anstrengung des Begriffs, die Arbeit an Konzepten hinzukommen, um auf breiterer Basis eine überzeugende Medienkunst der Zukunft zu schaffen. Auf das nach weiteren fünfundzwanzig Jahren bei der Ars Electronica die Meisterwerke der vergangenen Jahrzehnte gezeigt werden.
    Gerfried Stocker, Leiter der Ars Electronica
    Gerfried Stocker, Leiter der Ars Electronica (rubra / AEC Ars Electronica Center Linz Museumsgesellschaft mbH)