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Zum Klauen schön

Sofia Coppolas Kino heißt zeigen, nicht erzählen. Bilder statt Erklärungen, Musik statt Worte."The Bling Ring" basiert auf einer wahren Geschichte. Eine Mädchengang bricht in die Villen von Hollywoodstars ein - nur so zum Spaß. "Ein sehr, sehr schöner Film", meint Deutschlandfunk-Kinokritiker Rüdiger Suchsland.

Von Rüdiger Suchsland | 11.08.2013
    Die Geschichte erschütterte vor ein paar Jahren die Promiwelt von Los Angeles und ereignete sich im Großen Ganzen tatsächlich genauso, wie sie hier erzählt wird: Eine Gruppe von Highschool-Schülern, die meisten von ihnen Mädchen und aus wohlhabenden Verhältnissen, war über Monate immer wieder in die Villen von Glitzerstars wie Paris Hilton und Lindsay Lohan eingedrungen und hatte dort teuerste Markenklamotten, Schmuck und Geld mitgehen lassen. Von Einbruch möchte man trotz allem kaum sprechen, denn zu den vielen Merkwürdigkeiten dieses Falls gehört, dass nie ein Fenster eingeschlagen oder sonst wie Gewalt angewandt wurde, und nie heulte irgendeine Alarmsirene.

    Die Promis gingen mit ihrem Hab und Gut offenbar überaus leichtsinnig um: Bei Paris Hilton zum Beispiel lag der Schlüssel einfach unter der Fußmatte, bei andern standen Fenster oder Türen einfach offen. Per Google hatten die Kids, die viele ihrer Opfer verehrten, und vor allem deswegen stahlen, um durch ein Designerstück ihrer Lieblinge diesen noch näher zu kommen, die Adressen erfahren. Und wann ihre Bude sturmfrei war, das posteten die Stars gleich selbst auf Facebook.

    Coppola erzählt alles daher auch aus Sicht der einbrechenden Kids, die Ernst und Spaß nicht unterscheiden können und das Einbrecherdasein als Gang in den Candy-Store erleben, mit mehr als einem Hauch von "Bonnie & Clyde" – und doch ist "The Bling Ring" noch mehr eine sarkastische Satire auf Konsumrausch, Medienkultur und Promiwahn. Da die Regisseurin Coppola vor allem ein Genie der Schauwerte und der Oberflächen ist, stellt "The Bling Ring" auch die Obszönität des Luxus mancher Superreicher aus: Immer wieder sieht man wohnzimmergroße Kleiderschränke mit Haute Couture, Kisten voller echtem Schmuck, champagnerflaschengroße Flacons mit Edelparfüm - Qualität in Quantität, und zwar in einem Ausmaß, das einen König Midas neidisch machen muss.

    Wenn die Rede auf Sofia Coppola kommt, begegnet man immer wieder starken Reserven: Sie habe es halt leichter als andere, aber am Ende sei sie vor allem die Tochter ihres Vaters - so lautet eines der bösesten unter den vielen bösen Sätzen und Vorurteilen, die wohl jeder schon mal über sie gehört hat.

    Und wenn es mal einer gut meint, wie der Redakteur einer "Süddeutschen Tageszeitung", dann schreibt er von "angeborenen Adel", "Tüten von Chanel und Hermès" und dem kleinen Schwarzen. Hm.

    Warum ist es eigentlich so schwer, Sofia Coppola einfach als gute Filmemacherin zu sehen?

    Schönheit steht unter Verdacht. Was schön ist, das muss wohl böse sein, oder zumindest oberflächlich und seicht. Das Gute, Kluge, künstlerisch Wertvolle hat hart zu sein und schwer, es muss errungen werden. Wer nie sein Brot mit Tränen aß...

    Das kann Sofia Coppola nicht bieten.

    Die eigentliche Provokation von Coppolas Art des Filmemachens liegt aber woanders: darin, dass diese Regisseurin die Inhalts- und Themenlastigkeit, das Content- und Plotdogma des zeitgenössischen Kinos einfach nicht akzeptiert.

    Ihr Kino heißt zeigen, nicht erzählen. Bilder statt Erklärungen, Musik statt Worte. Worte sind überbewertet. Genau darum sind ihre wort- und erklärungskargen Filme, wie "The Virgin Suicides", "Marie Antoinette" und jetzt "The Bling Ring" auch die deutlich interessanteren, weil radikaleren, ohne Zugeständnisse an die Freunde des Kunsthandwerks.

    Immer wieder stellt Coppola in ihren Filmen implizit eine zentrale und wichtige Frage: Wie erzählt man von Inhalten ohne Plot? Ohne Psychologie? Ohne Moralisieren? Coppola akzeptiert die Differenz von Sein und Schein, von Form und Oberfläche nicht, sondern sie ebnet sie ein. Das wirkt dann so, als seien ihre Filme reine Oberfläche, nur noch Form. Es wirkt wie Ästhetizismus. Tatsächlich aber setzt sie beides gleich, parallelisiert, entdeckt sie im Sein den Schein und im Schein das Sein.

    Moralfragen bleiben in dem hochgradig unterhaltsamen "The Bling Ring" weitgehend außen vor. Die Jugendlichen werden zwar irgendwann erwischt und verurteilt; Coppola selbst aber urteilt nicht, sondern zeigt uns einfach, wie die Kinder unserer Wohlstandsgesellschaft ihre Tage verbringen. Der Blick auf sie ist so neidisch wie fassungslos.

    Coppola zeigt eine Handvoll Menschen, die sich nehmen, was sie wollen. Damit feiert sie aber keineswegs ruchlose Kapitalisten, sondern Hedonisten. Sie zeigt Gesten und Posen, zu denen die der Coolness ebenso gehören, wie die des Genuss, der Lust, der Gegenwärtigkeit, des Ästhetizismus, der Moral-Kritik. Die Kids, die im Zentrum des Films stehen, sind Outsider und von Anfang an Verlorene. Das, was sie ihrer Gegenwart, ihren Eltern, Moral und Recht ihrer Gesellschaft entgegenhalten, ist die schon von vornherein ohnmächtige Utopie des Schönen.

    "The Bling Ring" ist ein sehr sehr schöner Film.