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Zum Stand der deutsch-französischen Kulturbeziehungen

Neben den Jubelfeiern zum 40. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrags gab es auch kritische Stimmen. Die des französischen Philosophen André Glucksmann zum Beispiel, der der Deutschen Presse-Agentur gesagt hat, das gegenseitige Interesse beider Nationen aneinander habe nachgelassen, heute ignorierten sich beide Länder. Und tatsächlich lernen in beiden Ländern beispielsweise immer weniger Schüler die jeweils eigene Sprache.

Fragen an den Politikwissenschaftler Alfred Grosser in Paris |
    Koldehoff: Teilen Sie Glücksmanns Meinung?

    Grosser: Nein, ich würde sagen, es muss weiterhin erweitert werden, denn auf allen Gebieten zum Beispiel des Universitätslebens, der Wissenschaftlichkeit usw. funktioniert die Sache gut - es gibt Hunderte von genauen Projekten zwischen den Universitäten. Die deutsch-französische Universität hilft da mit, aber in Wirklichkeit war schon viel da. Ich glaube, es müsste auch in der Kultur einbezogen werden. Zur Kultur gehört auch das kennenlernen der Gesellschaft, der Politik des anderen, und da versagt ARTE zum Beispiel total.

    Koldehoff: Wo sehen Sie das versagen?

    Grosser: Dass sie ihre Aufgabe nicht erfüllen, über das andere Land zu informieren. Um ein Beispiel zu geben, wir haben jetzt ein Beginn einer möglichen Streikwelle der Beamtenschaft. Das Problem Streik in beiden Ländern ist ein Problem, das sehr interessant wäre. Das Problem Rente ist in beiden Ländern brennend interessant. Die Gewalt in beiden Ländern ist ein sehr interessantes Thema, und in meinem letzten Buch habe ich versucht zu zeigen, was ähnlich und was nicht ähnlich ist. Geistige Dinge sind vorhanden, aber es genügt nicht.

    Koldehoff: Nun sprechen wir ja auch über die Kulturpolitik, nicht nur über Fernsehsender und Hochschulen. Frankreich ist ein zentralistisch ausgerichteter Staat. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es die föderale Hoheit, die Hoheit der Länder über die Kulturpolitik. Würden Sie sich eine stärkere zentrale Ausrichtung der Kulturpolitik auch in Deutschland wünschen, um auf einer Augenhöhe mit Frankreich sein zu können?

    Grosser: Das nicht. Zunächst gibt es viel mehr Dezentralisierung in Frankreich als vor zehn oder 20 Jahren. Wir haben auch Gäste in der Provinz, die aus Paris Zuschüsse bekommen. In Deutschland müsste Berlin etwas mehr geholfen werden. Es scheint, dass die Museen jetzt Bundeszuschüsse bekommen. Berlin soll nicht so sein wie Paris, das viel zu viel aufsaugt, zum Beispiel an Musikkrediten oder Kunstkrediten, aber der Bund tut zu wenig für Berlin. Es sind nationale Güter, die in Berlin liegen, und nicht nur Berliner Güter.

    Koldehoff: Welche Rolle spielen denn private Einrichtungen wie beispielsweise Stiftungen, die das kulturelle Leben in beiden Ländern fördern. Ist es möglich, dass private Einrichtungen, auch private Mäzene inzwischen die Rolle übernommen haben, die beim Abschluss des Ellysée-Vertrages ursprünglich mal den Staaten oder den Politikern selbst vorbehalten waren?

    Grosser: Leider in Deutschland ja, in Frankreich nein. Also bei uns läuft es ganz langsam an, dass es Stiftungen gibt, aber bis wir so etwas haben wie zum Beispiel die Robert-Bosch-Stiftung, die Bertelsmann-Stiftung und die Volkswagen-Stiftung, ist es noch ein weiter Weg. All diese deutsche Stiftungen tun eine Unmenge von Dingen, und wir haben solche Stiftungen einfach nicht.

    Koldehoff: Das heißt Deutschland könnte da Vorbild für Frankreich sein?

    Grosser: Ja, unbedingt, und so wird es auch von einer ganzen Reihe von Franzosen gesehen. Um ein Beispiel zu nennen, die jungen französischen Journalisten werden ständig durch die Robert-Bosch-Stiftung durch Deutschland geführt und schreiben dann völlig vernünftige Artikel, aber ohne die Robert-Bosch-Stiftung würden sie nicht fahren.

    Koldehoff: Ist denn Frankreich inzwischen so weit, dass es da Ratschläge von Deutschland annehmen würde?

    Grosser: Ja, das ist kein Problem. Da sind wir glücklicherweise etwas weiter, und die Antwort ist Ja.

    Koldehoff: Zu den Einrichtungen, die unmittelbar mit dem Ellysée-Vertrag von Anfang an verknüpft waren gehörte das Deutsch-Französische Jugendwerk, also eine Einrichtung, die sich ganz speziell an junge Franzosen und an junge Deutsche gerichtet hat. Wird da Ihrer Meinung nach im Moment genug getan, dass das Verständnis beider Länder füreinander anhält?

    Grosser: Es wird enorm viel getan, und was in Deutschland völlig übersehen wird, als die Wiedervereinigung kam, war das Jugendwerk in Ostdeutschland lange bevor sich die meisten Organisationen dazu entschlossen haben.

    Koldehoff: André Glücksmann hat ebenfalls in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur gesagt, wenn man die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern im 20. Jahrhundert mit heute vergleicht, dann muss man feststellen, dass das gegenseitige Interesse nachgelassen hat; heute ignorieren sich beide Länder. Können Sie diese Sichtweise nachvollziehen?

    Grosser: Nein, keineswegs. Ich finde zum Beispiel, dass Habermas einen viel zu großen Platz in Frankreich einnimmt und Sloterdijk leider noch mehr.

    Koldehoff: Das heißt also, um Ihre Einstellung zusammenzufassen, eigentlich alles in Ordnung, es kann so weitergehen wie bisher?

    Grosser: Nein, es kann mehr geschehen, aber ich fand es nicht gut, die Zeit, wo nach dem Krieg, als es in Deutschland längst überholt war, plötzlich Hegel entdeckt wurde und die ganzen französischen Philosophen Hegelianer wurden und die französische Philosophie des 19. Jahrhunderts vernachlässigten, und Heidegger der Philosoph des Jahrhunderts war, obwohl kein Franzose ihn verstehen konnte.

    Koldehoff: Sie sind ja in beiden Ländern ein gesuchter Gesprächspartner und auch häufiger Gast in Deutschland. Würden Sie denn sagen, dass das Thema deutsch-französische Kulturpolitik in beiden Ländern gleichermaßen auf Interesse stößt, oder haben Sie das Gefühl, die Deutschen machen sich mehr Sorgen darum, als es vielleicht die Franzosen tun?

    Grosser: Ich würde nie sagen, die Deutschen und die Franzosen. Deutsche und Franzosen, die sich über Kulturpolitik Sorgen machen, sind sowieso in beiden Ländern eine kleine Minderheit, und ich finde, momentan ist die Kulturpolitik schlechthin in beiden Ländern bedroht, von der Volkshochschule bis zu den Opern, der rote Stift wird in beiden Ländern eingesetzt.

    Koldehoff: Ausschließlich aus finanziellen Gründen oder möglicherweise weil man eine bestimmte Notwendigkeit nicht mehr sieht?

    Grosser: Es ist immer leichter. Die Kulturleute gehen dann nicht auf die Straße. Also es ist ungefährlich, sie mit roten Farben anzumalen und zu streichen. Außerdem sind sie nicht so zahlreich, also kann man es machen.

    Koldehoff: Vielen Dank für das Gespräch.

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