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Zum Tod des Philosophen Robert Spaemann
Kein Denken ohne Gott

Im Alter von 91 Jahren ist Robert Spaemann gestorben. Der Philosoph hat sich zeitlebens auch für die ganz konkreten Fragen der Gesellschaft interessiert und engagiert. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie gehörte zu seinen kritischen Wegbegleitern.

Claus Leggewie im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 11.12.2018
    Der Philosoph Robert Spaemann vor einer efeubewachsenen Wand
    Der Philosoph Robert Spaemann (1927-2018) (dpa / picture alliance / Marijan Murat)
    Maja Ellmenreich: Robert Spaemann war Philosoph und bekannt als Papstfreund. Er hat lange Jahre als Professor geforscht und gelehrt - in Heidelberg zum Beispiel und in München, er hat sich als Umweltschützer und Atomkraftgegner in aktuelle Debatten eingebracht.
    Sich selbst aber hat Robert Spaemann - der gestern mit 91 Jahren in Stuttgart gestorben ist – wohl in allererster Linie als Gottgläubigen verstanden:
    "Ich kenne keine Zeit, wo ich nicht an Gott geglaubt habe. Das war mir so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Und ich habe darüber zunächst als Kind nicht reflektiert, sondern das war so. Und erst später habe ich mir diesen Glauben bewusst angeeignet und habe über manche Fragen und Zweifel hinweg doch gefunden, dass es etwas Vernünftigeres als den Glauben – und zwar im Sinne des christlichen und sogar des katholischen Glaubens – das Vernünftigste ist, was ein Mensch tun kann."
    Das Vernünftigste, was ein Mensch tun kann. Robert Spaemann über seinen selbstverständlich-kindlichen und seinen späteren angeeigneten katholischen Glauben. Über Robert Spaemann habe ich mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie gesprochen. Dieser offensichtlich unumstößliche Glaube von Robert Spaemann – hat man den aus allen seinen Argumentationen herausgehört, Herr Leggewie? War der immer präsent?
    Claus Leggewie: Der war immer präsent, in seinen Schriften, in seiner Autobiographie, in den Gesprächen, die ich zum Beispiel auch mit ihm führen durfte.
    Ellmenreich: An wen haben sich diese Schriften gewendet?
    Glaube an die Kraft der Aufklärung
    Leggewie: An ein größeres Publikum. Er glaubte an die Kraft der Aufklärung und hat sich adressiert an ein gebildetes Publikum, hat aber auch Stellung genommen zu aktuellen politischen Fragen. Er ist auch aufgetreten bei Hearings. Er hat auch gelegentlich, obwohl er da eine große Distanz bewahrt hat, Politiker beraten. Und er hat sehr gerne auch in Essays und in Debatten in die breitere Öffentlichkeit hineingewirkt.
    Ellmenreich: Die Kraft der Aufklärung auf der einen Seite und der große Gottglaube. Ist das für Beobachter, womöglich auch Kritiker ein Widerspruch gewesen?
    Leggewie: Ja, heute ist es für die meisten ein Widerspruch. Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe großer Denker, gerade auch ausgezeichnete Naturwissenschaftler, die beides sehr wohl miteinander vereinbart haben, weil es schon verschiedene Erfahrungsebenen und auch verschiedene Ebenen der Vernunft sind. Für ihn war das Natürliche das Vernünftige, und das war bei ihm sehr stark, wie wir eben gehört haben, im christlich-katholischen Glauben angelegt.
    Was mich an Spaemann immer fasziniert hat, der ich ja aus einer anderen Ecke kam und zum Beispiel, was den Katholizismus betrifft, vielleicht den Glauben an Gott, aber nicht die Verbindung zur Kirche aufrechterhalten habe, war immer die große moralische Überzeugungskraft, die von diesem Mann ausging. Auch da, wo ich beispielsweise in Fragen seiner radikalen Ablehnung, zum Beispiel der Freigabe von Abtreibung, sogar der sozialen Indikation, ganz anderer Meinung war, hat mich immer sehr beeindruckt, wie gut er seinen Standpunkt jeweils begründet hat.
    Wenn man einen anderen hat oder haben wollte, war es immer außerordentlich gut, sich an jemanden wie Spaemann dann auch zu reiben und die eigene Argumentation an ihm zu stärken.
    "Schnittflächen zwischen Schwarz und Grün"
    Ellmenreich: War er demzufolge ein kompromissbereiter, ein verständiger Gesprächspartner? Oder stand seine Meinung, wenn sie erst mal stand?
    Leggewie: Ja, er war nicht in dem Sinne kompromissbereit, dass er seine Meinung hätte fallen lassen. Aber er war immer sehr konziliant im Umgang mit einer gegnerischen oder abweichenden Meinung. Das heißt, es war ausgesprochen angenehm, mit ihm zu reden.
    Wir haben uns kennengelernt Mitte der 80er-Jahre, als uns beiden so schwante, dass es doch eine ganze Reihe von Schnittflächen zwischen Schwarz und Grün gab. Also zwischen dem, was er Bewahrung der Schöpfung und Lebensschutz meinte, und dem, was die damals aufziehende ökologische Bewegung zum Beispiel gegen Atomkraftwerke, aber auch überhaupt gegen Naturzerstörung einzuwenden hatte. Und er meinte das nicht in einem ganz vordergründig politischen Sinne als Schwarz-Grün in einer politischen Koalition – da hat ja damals so gut wie noch niemand dran glauben können -, sondern er sah da Schnittflächen.
    Er kam selber aus einer Protestbewegung, ganz als Kind und Jugendlicher gegen Hitler. Es war für ihn völlig klar, dass man gegen diesen Mann sein musste. Und er hat auch Menschen kennengelernt, die damals einfach das Richtige getan haben, weil sie wussten, was das Richtige ist. Das waren nicht nur gläubige Menschen, sondern auch ungläubige Menschen, und das hat ihm das Richtige beigebracht.
    Die zweite Etappe seines politischen Engagements war dann eigentlich eher da, wo man landläufig gesagt hätte, auf Seiten der Linken, beispielsweise mit Heinrich Böll zusammen gegen die Atombewaffnung, überhaupt auch gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland. Und er hat sich dann auch immer sehr stark gemacht gegen die sogenannte zivile Nutzung der Atomenergie. Er hat sich stark gemacht gegen Stammzellforschung. Er hat sich stark gemacht gegen Genmanipulation, gegen Tierversuche, also allerhand Schnittflächen zu den Grünen – mit dem sehr, sehr großen Unterschied, dass er nun da ein sehr umfassender und radikaler Lebensschützer war. Das heißt, für ihn war aus denselben Gründen Abtreibung nicht erlaubt. Und das hat er den Grünen gewissermaßen auch immer vorgeworfen, dass sie nur einen halben Lebensschutz vertreten.
    Antimoderner Einzelgänger
    Ellmenreich: Man kann seine Überzeugung nicht als parteipolitisch deuten, sondern eher als eine Grundüberzeugung, die besagte, das Gottgeschaffene darf nicht angerührt, darf nicht verändert werden?
    Leggewie: Genau. Das hat ihn auch unterschieden von den anderen Angehörigen der sogenannten "Ritter-Schule". Er kam ja wie zum Beispiel Hermann Lübbe, Udo Markwardt, Günter Rohrmoser und viele, viele andere aus einer philosophischen Schule in Münster von Joachim Ritter, die anfangs durchaus auch Neigungen zum Marxismus hatte – anfangs heißt Ende der 40er-Jahre – und die sich dann sehr weit ausdifferenzierte. Der Unterschied zu dem Kompensationsgedanken, dass man die Schäden der Modernisierung durch Geisteswissenschaften oder durch Kultur oder durch konservatives Nachdenken ausgleichen könnte, diesen Funktionalismus hat Spaemann nie mitgemacht.
    Vor einigen Monaten hat er mir noch in einem Brief geschrieben, als ich ihn zur "Ritter-Schule" befragen wollte, mit einem Brecht-Zitat geantwortet: "In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen." Das ist aus den Betrachtungen "An die Nachgeborenen" von Bert Brecht. Das hat er auf sich bezogen. Er war in einer bestimmten Art und Weise gerade durch seinen katholischen Glauben, durch dieses Antimoderne, was er gepflegt hat, da war er absolut ein Einzelgänger, und er hat daran festgehalten, aber wie gesagt einer, der einen jetzt nicht heißspornig bekehren wollte. Er hat gesagt, zum Christentum, zu allen Religionen gehört das Missionarische, aber das geht nicht zwanghaft, sondern nur durch Überzeugung.
    Zarte Persönlichkeit
    Ellmenreich: Schwingt in diesem Brecht-Zitat auch etwas Unberechenbares mit?
    Leggewie: Unberechenbar würde ich weniger sagen als überraschungsfähig. Wenn man von ihm bestimmte Antworten erwartete, kam immer eine sehr modifizierte und nuancierte Antwort. Es war jemand, der, wie gesagt, von seinem ganzen Habitus her sehr aufgeschlossen und freundlich war. Er war im Übrigen, falls ich das sagen darf, eine sehr zarte Persönlichkeit, die mich immer ein bisschen auch an seine Mutter, die ich nicht selber kannte, aber ich wusste, dass sie Tänzerin war, erinnerte. Er hatte etwas gedanklich-geistlich Tänzerisches und war immer ausgesprochen diskussionsfreudig.
    Wo wir am meisten Unterschiede hatten, war im Grunde genommen die Haltung zur Kirche. Er war sehr papsttreu, insbesondere dem Papst Benedikt gegenüber, weniger dem heutigen Papst Franziskus gegenüber. Den hat er sehr gerügt für viele Reformansätze. Er war zum Beispiel dagegen, dass Frauen eine Bedeutung in der Katholischen Kirche spielen. Er hat das dann eigentlich wie ein katholischer Fundamentalist immer auf die Heilige Schrift zurückbezogen. Hier war er gewissermaßen sehr wortgläubig und hat hier eine sehr radikale Version auch von Kirchentreue bewahrt, bis hin zu seinem Widerstand gegen den neuen Ritus, weg vom lateinischen Ritus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.