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Zum Tod von Jürgen W. Möllemann

06.06.2003
    Engels: Am Telefon ist nun der langjährige Bundesaußenminister, ehemalige FDP-Vorsitzende und politische Förderer von Jürgen Möllemann. Guten Morgen, Hans-Dietrich Genscher.

    Genscher: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Herr Genscher, Sie haben über Jahrzehnte mit Jürgen Möllemann zusammengearbeitet. Zuletzt hatte er sich in seinem Buch "Klartext" auch kritisch zu Ihrer Person geäußert. Welches Bild überwiegt bei Ihnen, wenn Sie sich Jürgen Möllemann in Erinnerung rufen?

    Genscher: Ich glaube, dass zu wenig gesagt ist, wenn man sagt, wir haben über Jahrzehnte zusammengearbeitet. Das war schon eine sehr enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit, aus der dann auch eine persönliche Freundschaft entstanden ist. Das ist vielleicht gar nicht anders möglich, wenn man auch Höhen und Tiefen gemeinsam durchschritten hat, schwere Stunden der FDP, aber auch Stunden der großen Freude, wie am Wahlabend der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Das alles, die Erinnerung daran, der Umgang miteinander in dieser langen Zeit, das ist es, was das Bild eines Menschen, der nun nicht mehr unter uns ist, für mich bestimmend ist und auch hoffentlich insgesamt bestimmen wird. Nicht die Zeit, in der sich unsere Wege getrennt haben. Das ist auch heute, einen Tag danach, noch etwas, was ich ganz zur Seite lege und wo ich mich an das erinnere, was uns verbunden hat und was in seiner Wirkung auch das Bild von Jürgen Möllemann in meiner Erinnerung nicht verblassen lässt.

    Engels: Dennoch die Frage: Wie erklären Sie sich im Rückblick, dass er sich zuletzt so stark von seiner Partei und auch von Ihnen entfernt hat?

    Genscher: Ich kann es Ihnen nicht erklären. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dass ich mir diese Frage immer wieder gestellt habe. Nicht erst seit gestern, sondern vor einem Jahr um diese Zeit. Manchmal habe ich damals geglaubt, er habe sich verändert. Aber auch das ist etwas, was heute zu untersuchen - und noch dazu öffentlich - unangemessen ist. Aber die Frage hat mich bewegt, das kann ich hier sagen, und sie bewegt mich auch. Natürlich gerade jetzt.

    Engels: Sie haben also nicht mehr persönlich mit ihm darüber sprechen können?

    Genscher: Nein, es ergab sich ja, dass ich mich unmittelbar nach der Bundestagswahl einer ganz schweren Operation unterziehen musste. Ich bin dann viele Wochen vollkommen für mich gewesen, um das überhaupt zu überwinden. Wir haben dann miteinander telefoniert. Aber zu dem großen, ausführlichen, von mir auch gewünschten Gespräch ist es nicht gekommen.

    Engels: Jürgen Möllemann hat inner- und außerhalb seiner Partei immer wieder heftige verbale Attacken geführt, auch persönliche, zum Beispiel gegen Parteichef Guido Westerwelle. Wird denn Ihrer Einschätzung nach nun die FDP Ihren Frieden machen können mit Jürgen Möllemann?

    Genscher: Ich will es hoffen, dass das so sein wird, weil ja niemand in der FDP auch die Zeit der Zusammenarbeit mit ihm wird vergessen können und vor allen Dingen auch nicht, dass er nicht nur ein großer Kämpfer war, sondern eben auch ein großer Kämpfer für die FDP und dass er für den Weg der FDP, für die Erfolge der FDP auch einen großen Teil für sich zu einem großen Teil beanspruchen kann. Natürlich ist das Verhältnis von Kollegen in der FDP ganz unterschiedlich. Das kann auch gar nicht anders sein. Das war nicht nur bei Jürgen Möllemann so. Das ist bei jedem so, der in einer politischen Partei, der im öffentlichen Leben - aber das gilt im Grunde auch für das private Leben - eine hervorstechende Position hat, dass es Gegnerschaften gibt. Es müssen nicht immer gleich Feindschaften sein, aber doch Gegnerschaften. Auf der anderen Seite auch Freundschaften und enge Zusammenarbeit. Wenn ein Leben so tragisch - und es ist ja eine Tragödie, was wir jetzt erlebt haben - zu Ende geht, dann schweigt das alles, und das andere bleibt.

    Engels: Die Todesursache steht noch nicht fest, doch viele Wegbegleiter beschreiben Möllemann als einen "Vollblutpolitiker", der nach dem Prinzip "ganz oder gar nicht" gelebt habe. Kennen Sie Ihn als eine Persönlichkeit, der ein solcher Schritt wie ein Selbstmord zuzutrauen wäre?

    Genscher: Ich habe natürlich auch die Meldungen gehört und im Fernsehen diejenigen gesehen, die mit ihm gesprungen sind, sich auskennen mit dem Fallschirmspringen. Da können solche Vermutungen nahe liegen. Mir will das aber nicht recht in das Bild passen, das ich von Jürgen Möllemann habe, denn er war eine Kämpfernatur. Er hat ja nie aufgegeben, sondern wenn er einen Rückschlag erlitten hatte - und das ist nicht nur einmal geschehen - hat er wieder angefangen, hat neu begonnen, hat auch die Fähigkeit gehabt, sich mit den Gegnern von gestern auszusprechen und zusammen einen neuen Anfang zu versuchen. In das Bild eines solchen Menschen passt schlecht die Vorstellung, dass er dann plötzlich gesagt hat: "Nein, ich will nicht mehr kämpfen". Das passt für mich nicht zusammen. Ich kann Ihnen da aber auch keine Antwort geben. Wer könnte das?

    Engels: Jürgen Möllemann galt als politisches Talent, aber auch als Enfant terrible. Ist Jürgen Möllemann letztlich an sich selbst gescheitert?

    Genscher: Was seinen Tod angeht, ganz sicher nicht. Das würde uns wiederum in den Bereich der Spekulierungen führen. Da sage ich noch einmal, dass die Vorstellung, dass er selbst seinem Leben ein Ende gesetzt hat, nicht für mich zur Persönlichkeit passt. Wir werden das aber vielleicht noch erfahren. Er war natürlich jemand, der Unglaubliches auf die Beine stellen konnte, der Dinge durchsetzen konnte, und der dann auch immer wieder einen Fehler gemacht hat, der manches zunichte machte, was er vorher selbst aufgebaut hatte. Es würde mir nur mal daran liegen, dass man heute, wenn man über Möllemann spricht, nicht vergisst, dass er in staatlichen Ämtern, die er innehatte, Beachtliches geleistet hat. Als er Bundesbildungsminister war, war das für viele auch ein Überraschungseffekt, die auch ein vordergründiges Bild von ihm gehabt hatten und die nun plötzlich jemanden erlebt haben, der der Bildungspolitik, so weit der Bund dafür zuständig ist, wirklich neue Impulse gegeben hat. Der es auch fertig brachte, in einer damals schon angespannten Haushaltslage Mittel für die Hochschulen bereit zu stellen, der sich nicht scheute, Unpopuläres in großen Studentenversammlungen zu vertreten. Das war dieser Jürgen Möllemann, der keine Angst gehabt hat, in eine solche Veranstaltung zu gehen. Als er Wirtschaftsminister war, hat er ja im Abbau von Subventionen auch einen ganz deutlichen Schritt tun können. Das war für den Landesvorsitzenden der FDP in Nordrhein-Westfalen nicht leicht, gerade bei den Kohlesubventionen für einen Abbau zu kämpfen. Die Widerstände waren ja nicht nur solche in der Opposition, sondern auch in der eigenen Regierungskoalition. Auch in der eigenen Partei gab es welche. Er hat da ein beachtliches Maß an Reduzierung durchgesetzt. Wer damals - Sie haben das ja dem Fernsehen, Rundfunk, der Presse entnehmen können - erlebt hat, wie er auch im Ruhrgebiet bei Veranstaltungen diese Position vertreten hat, der hat das mit großem Respekt zur Kenntnis genommen.

    Engels: Herr Genscher, zu jeder Zeit hat es in der Politik Charaktere wie Jürgen Möllemann gegeben, die selbst streitbar waren - Sie sprachen es gerade selbst noch einmal an - umgekehrt auch hart attackiert wurden. Dennoch: Hat sich der Umgangston in der Politik und auch in den Medien im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit verschärft?

    Genscher: Ich glaube nicht zu der Zeit. Die liegt noch zu kurz zurück. Ich kann auch nicht übersehen, ob es nun grundlegend anders geworden ist. Ich würde mir trotzdem einen fairen Umgang auch mit den Gefühlen nicht nur der unmittelbar Handelnden sondern auch der Familien wünschen. Man darf ja, wenn man über Jürgen Möllemann spricht, nicht vergessen, was seine Familie mitgemacht und in diesen Tagen durchzustehen hat. Ich würde mir insgesamt beim Umgang der Politiker untereinander, beim Umgang Politiker mit den Medien und umgekehrt vielleicht doch ein höheres Maß an Einfühlungsvermögen wünschen.

    Engels: Das gilt auch an die Adresse der FDP gerichtet?

    Genscher: Das gilt insgesamt für die Auseinandersetzungen in der Politik und im öffentlichen Leben.

    Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Hans-Dietrich Genscher, dem langjährigen FDP-Vorsitzenden und Bundesaußenminister. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio