Archiv


Zur Verteidigung der Pornographie

Was immer Bill Clinton getan oder nicht getan haben mag, er wird es schwer haben. Denn er ist der Präsident eines Landes, dessen puritanische Wurzeln bis heute wirken. Das Verdachtskonzept der sexuellen Belästigung ist überall wirksam, fast jede Geste kann in diese Richtung ausgelegt werden. Nadine Strossen berichtet vom Fall des Schülers aus North Carolina, der 1996 für einen Tag vom Unterricht und von einer Schulfeier suspendiert wurde, weil er nach einem Spiel im Klassenzimmer eine Mitschülerin auf die Wange geküßt hatte. Der Knabe war sechs Jahre alt, seine Gespielin im gleichen Alter. Der Vorwurf: sexuelle Belästigung.

Jochen Schimmang |
    Das gehört natürlich zu den Absurditäten, über die man am liebsten nur lachen möchte. Der Hintergrund aber ist sehr viel ernster. Zwei Namen stehen seit Ende der siebziger Jahre für eine vorgeblich feministische Strömung, die sich mit den ultrakonservativen Fraktionen Amerikas aufs Beste verträgt: die Juristin Catherine MacKinnon und die Schriftstellerin Andrea Dworkin. Eine feministisch-fundamentalistische Achse nennt das Nadine Strossen, ihrerseits Juraprofessorin an der New York Law School. Diese Achse hat sich zum Ziel gesetzt, auf gesetzgeberischem Wege jede sexuell anschauliche Darstellung in Wort, Bild oder Schrift zu unterbinden. Pornographie ist kein deutlich definierter Begriff, schon gar nicht juristisch. MacKinnon und Dworkin, von denen der entsprechende Gesetzentwurf stammt, machen den Versuch, den Begriff zu besetzen. Von Pornographie sind sie derart besessen, daß sie sie überall wittern, auch etwa in Broschüren zur sexuellen Abtreibung, zur Verhütung oder zur Bekämpfung von AIDS. Dies alles würde, setzte diese Fraktion sich durch, unter das Pornographiegesetz fallen.

    Im Klartext: Es geht um massive Zensur, um die Einschränkung der im First Amendment zur Verfassung garantierten Redefreiheit. Das macht die Allianz zwischen den Prozensur-Feministinnen und den Ultrakonservativen so plausibel, auch wenn MacKinnon und Dworkin dies nicht verstehen mögen. Wenn man Frauen wie Kinder behandelt und sie vor Sexualität beschützen zu müssen glaubt, wenn man sie also entmündigt, hat man natürlicherweise solche Verbündeten.

    Nadine Strossens Buch stellt die nun bald zwanzig Jahre währende Pornographiedebatte mitsamt ihren brisanten politischen Dimensionen eingängig dar. Man muß nicht das amerikanische Rechtssystem auswendig gelernt haben, um zu verstehen, daß es bei dieser Debatte nicht um eine Nischenauseinandersetzung geht, sondern um Grundrechte. Immer durch Empirie belegt, zerpflückt Strossen Stück für Stück die Positionen der Prozensurfraktion. Sie zeigt deren zutiefst anti-emanzipatorischen Gestus, der sich mit dem der fundamentalistischen Erweckungsprediger Amerikas selbstverständlich bestens verträgt. Sie widerlegt die Legende, daß die Mehrzahl der Darstellerinnen in pornographischen Filmen zu ihrer Tätigkeit gezwungen und ausgebeutet werden, während in Wahrheit die Verdienstmöglichkeiten hier überdurchschnittlich sind. Sie bestreitet empirisch überzeugend den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Pornographiekonsum und sexueller Gewalt. Und sie analysiert vor allem den Grundfehler von Dworkin und MacKinnon, die Verwechslung von Bild, Wort und Tat nämlich. Die Prozensurfraktion lebt in einer virtuellen Welt, in der der Film oder das Buch für die Realität genommen werden. Die Psychoanalyse weiß, daß diese Verhaftung an das Imaginäre Kennzeichen eines frühen Stadiums in der kindlichen Entwicklung ist.

    In Kanada, wo eine leicht geänderte Version des Gesetzentwurfes von Dworkin und MacKinnon sich durchgesetzt hat, sind konsequenterweise unter anderem zwei Bücher von Andrea MacDworkin beschlagnahmt worden. Sie enthalten sexuell explizite und sogar gewaltsame Darstellungen, und nach dem Gesetz ist es völlig unerheblich, in welchem Kontext diese stehen. Andrea MacDworkin ist hier Opfer ihres eigenen Fundamentalismus geworden.

    Nadine Strossens kompetentes Buch ist im übrigen überaus lesbar. Ihr Bemühen um redliche Absicherung ihrer Argumentation führt zwar manchmal zu Wiederholungen, dies ist aber auch der einzige Mangel. Mit seiner Fülle von Beispielen ist das Buch zudem sehr unterhaltsam. Ebenfalls in Kanada wurde vom Zoll aufgrund des Gesetzes ein Buch mit dem Titel "Scharf, schärfer, am schärfsten" eingezogen. Das beschlagnahmte Objekt war im Wortsinn äußerst pikant. Es handelte sich um ein Kochbuch für scharf gewürzte Gerichte.