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Zurück in die 50er-Jahre

Ava Gardner, Clark Gable, Frank Sinatra: Sie alle waren Gäste in der legendären Sloppy Joe's Bar in Havanna. Bis sie vor 48 Jahren ihre Türen schloss. Bis vor Kurzem war die Bar nur eines von vielen verfallenen Gebäuden in der kubanischen Hauptstadt. Nun hat sie wieder geöffnet.

Von Henning von Löwis | 10.06.2013
    Zulueta No. 252 – im Herzen Havannas, keine 100 Meter vom Paseo del Prado entfernt. Jahrzehntelang blicken die Menschen, die hier auf den Bus warten, auf ein repräsentatives Gebäude mit den für Havanna so typischen schatten spendenden Säulengängen, das mit den Jahren immer mehr verfällt, immer unansehnlicher wird. Jetzt reiben sie sich die Augen. Sloppy Joe’s Bar ist auferstanden aus Ruinen.

    Kurz nach neun - noch früh am Abend, doch bei Sloppy Joe geht’s rund. An einem Tisch unweit des Eingangs eine Gruppe ausgelassener junger Leute. Amerikaner?

    "No, from Canada!"

    Die Kanadier sind das erste Mal in Sloppy Joe’s Bar – und total begeistert von den Speisen und Getränken, die hier angeboten werden.

    Sie erzählen, dass sie nicht als Touristen nach Kuba gekommen sind, sondern um zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen seien anders als in Kanada. Doch sie hätten hier einen Traumjob. Und was ist so traumhaft daran?

    Lautes Gelächter.

    Die Mädchen seien preiswerter. Man könne abends hier in die Bar gehen und erst am nächsten Tag zur Arbeit. Und Bier trinken. Hier koste das Bier einen Dollar - in Kanada sechs.

    Und was tun die kanadischen Gastarbeiter, wenn sie nicht Bier trinken in Sloppy Joe’s Bar?
    Sie bauten ein Kraftwerk, sorgten dafür, dass die Lichter angehen auf Kuba. Zwei Jahre wären sie auf der Insel tätig, fügt die einzige Frau in der Runde hinzu.
    Und wie auf Stichwort geht plötzlich das Licht aus. Jetzt müssten sie arbeiten, sagen die Kanadier. Aber das sei ja ganz romantisch. Kaum gesagt, geht das Licht auch schon wieder an. Und die Barfrau an der langen Mahagoni-Theke kann fortfahren mit dem Mixen von Mojitos.

    Die besten Mojitos von ganz Havanna sollen es sein - besser zubereitet als in der berühmten Hemingway-Kneipe "Bodeguita del Medio".

    Wer zählt die Namen der prominenten Amerikaner, die einst an diesem originalgetreu rekonstruierten Bartresen Mojito, Daiquiri, Pina Colada, Tequila Sunrise oder Cuba Libre orderten?

    "Rock Hudson, Ava Gardner, Errol Flynn, Clark Gable, Spencer Tracy, Nat King Cole, Frank Sinatra. Viele Prominente. Alle sehr berühmt. In den zwanziger Jahren gab es die Prohibitionsgesetze in den USA - Alkohol war verboten. Viele Amerikaner kamen nach Kuba, um sich in den Nightclubs zu amüsieren. Und Sloppy Joe’s Bar war damals ein sehr bekannter Treffpunkt."
    Ernesto Iznaga Coldwell, junger dynamischer Manager von Sloppy Joe’s Bar, gerät ins Schwärmen, wenn er an die goldenen Zeiten erinnert, als diese Bar ein must war für jeden Amerikaner, der in Havanna vor Anker ging. Und dem Vernehmen nach soll es nicht wenige Amerikaner gegeben haben, die in Havanna nur zielgerichtet Sloppy Joe ansteuerten und alles andere links liegen ließen.

    Sloppy Joe kann man wahlweise essen - eine Art Hamburger mit Hackfleisch, Schinken und Käse - oder trinken als Cocktail gemixt aus Brandy, Cointreau, Portwein und Grapefruit-Saft.

    Über 50 verschiedene nationale und internationale Cocktails offeriert Sloppy Joe’s Bar.

    In Glasvitrinen Batterien von Flaschen: Nobelmarken von allen Kontinenten – nicht zu vergessen wertvolle Karaffen mit kubanischem Rum zu Preisen, die sich kein gewöhnlicher Kubaner leisten kann.

    Sloppy Joe’s Bar setzt vor allem auf Touristen.
    Es kämen aber auch einige Kubaner in die Bar, betont der Manager. Und Touristen aus den USA, Deutschland, Frankreich, Italien – aus der ganzen Welt. Amerikaner sind noch in der Minderheit, dürfen Kuba nur mit Ausnahmegenehmigung oder als Kulturtouristen in Gruppen besuchen. Der nicht mehr ganz junge, und sichtlich – hörbar - vergnügte Mann am Tresen, der gerade seinen Mojito genießt, kommt von der Ostküste, aus New Hampshire, wie er erzählt.

    "I’m Chuck Weed - Weed like grass, bad grass…"

    Charles F. Weed, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, ist zum ersten Mal in Sloppy Joe’s Bar und zum zweiten Mal in Kuba. Spürt er etwas vom Wind der Veränderung?

    "Mehr Lächeln, glücklichere Menschen, mehr Objekte, die man mieten kann - Privatquartiere. Mehr private Restaurants. Und in den Läden gibt es ein größeres Angebot an Softdrinks und ausgezeichnetem Bier. Aber insgesamt ist Kuba so schön wie immer."

    Der Politikwissenschaftler aus New Hampshire ist alles andere als ein Castro-Fan, doch für die Kuba-Politik der USA hat er wenig Verständnis:

    "Wir verstehen nicht, dass amerikanische Bürger nicht die Freiheit besitzen, diese wundervolle Insel zu besuchen. Andererseits bin ich sehr froh darüber, denn ich glaube das Land würde ruiniert werden, wenn die amerikanischen Hoteliers und Reiseveranstalter wahrnehmen würden, was Kuba bietet. Es ist wirklich wunderbar, dass Kuba auf diese Weise authentischer bleibt - aber es ist verrückt, die Amerikaner daran zu hindern nach Kuba zu reisen."

    Über die Flachbildschirme von Sloppy Joe’s Bar flimmern Filme aus dem Havanna der Fünfzigerjahre, dazu passend die musikalische Untermalung: Songs aus jener Zeit, in der Amerikaner auf der Zuckerinsel den Ton angaben.

    "Wir betrachten das als Versuch, an die Tradition der fünfziger Jahre anzuknüpfen. Doch die Bar ist einfach noch zu neu, zu prächtig, zu schön. Das verklärt den Blick. Davon hörten wir. Und darum sind wir hierhergekommen."

    Back to the Fifties!
    In Sloppy Joe’s Bar nicht ein einziges Foto von Fidel, von Che oder anderen Heroen des neuen Kuba. Vorrevolutionäre Traditionspflege in einem sozialistischen Land. Ist das kein Problem?
    Bar-Manager Ernesto Iznaga schüttelt den Kopf.

    "Ich glaube, dass unsere Regierung und das kubanische Volk jede neue Chance, die sich eröffnet, nutzen wollen, im Interesse der Entwicklung des Landes."
    DLF-Reporter Henning Löwis mit Bar-Manager Ernesto Iznaga Coldwell
    DLF-Reporter Henning Löwis mit Bar-Manager Ernesto Iznaga Coldwell (Henning Löwis)