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Zurück zu den Wurzeln

Er hat sie alle fotografiert: Michael Jackson, David Bowie, Angelina Jolie und Lady Gaga. In seiner neuen Ausstellung in der Kestnergesellschaft Hannover besinnt sich der Glamour-Fotograf David LaChapelle auf seine Wurzeln.

Von Carsten Probst | 27.02.2011
    David LaChapelles Erfolg als Hoffotograf der Pop-Prominenz war immer schon das Resultat seiner ungewöhnlichen Bildsprache, die er dann im Verlauf seiner Karriere stetig verfeinert und weiter reflektiert hat. Die bewusste Über-Überinszenierung der Bilder betrifft dabei nicht nur die Farben, sondern auch die geradezu uferlose Arbeit an den Arrangements, die schließlich zu einem Überborden der Accessoires, der Bildzitate und der Bildebenen und schließlich zu einer totalen Verfremdung führen.

    Schonungslos werden die Prominenten selbst zu Mitspielern einer künstlichen Dingwelt, die nur aus dem einzigen Grund zu existieren scheint, um ihre durch und durch künstliche Persönlichkeit offenzulegen. Auffallend ist dabei immer wieder die ungeheure Energie und die extreme technische Raffinesse, mit der sich LaChapelle an diesen Ikonen abarbeitet, getrieben vom offenkundigen Verlangen, diese tausendfach fotografierten Figuren gerade durch die Geläufigkeit ihrer Erscheinung psychologisch zu zerlegen. David Bowies Gesicht, dieses Klischee des zwitterhaften Aliens, schaut bei LaChapelle aus einer Wand mit lauter Kirmesmasken. Angelina Jolie ist frontal vor einer wie für Alpenmilchwerbung ausgeleuchteten Blumenwiese beim Orgasmus zu sehen und Courtney Love als Muttergottes in einer lasziven Pietá mit einem blonden Jesus, der vielleicht doch nicht so rein zufällig, wie LaChapelle behauptet, ihrem Ex-Mann Kurt Cobain ähnelt. Die Oberfläche der Darstellung wirkt stets einladend-plakativ, der zweite Blick jedoch befremdet schnell.

    Klar, er hatte sie alle vor der Linse, die Pop- und Filmikonen der achtziger und neunziger Jahre, von Madonna über Michael Jackson, Paris Hilton, David Bowie, Courtney Love bis zu Leonardo Di Caprio, Angelina Jolie oder Lady Gaga. Er baute Filmtrailer für "Desperate Housewifes", fotografierte Mode für Tommy Hilfiger, später dann auch für L'Oreal, H&M und sogar Burger King, und wer das Getue um seine Pressekonferenz in der kestnergesellschaft Hannover mitbekommen hat, dem ist klar, dass David LaChapelle immer noch selbst wie ein Star daherkommt, obwohl er sich von all dem seit einigen Jahren einigermaßen angewidert zurückgezogen hat. Doch auch der Rückzug ist mehr als nur die Eitelkeit eines, der längst ausgesorgt hat und sich zum Schluss noch den großen alten Traum aller Werbedesigner und Gebrauchsfotografen erfüllen will: als Künstler zu gelten. Vielmehr sieht es nach einer kritischen Selbstrevision aus.

    Er habe damit für sich eine "Klärung" versucht, sagt er, nachdem er das Gefühl gehabt habe, er hätte mit Bildern nichts mehr zu sagen. Vielleicht sind ihm die geklonten Star-Renegaten seiner Bildfantasien einfach zuviel geworden. Eines der Ergebnisse ist die jetzt in Hannover zu sehende Serie von großformatigen Stillleben, die auf den ersten Blick vor allem die farbenprächtige holländische Blumenmalerei des 17. Jahrhunderts zitieren. Doch deren komplexe Symbolik aus Farben und Blumenauswahl reichert LaChapelle mit einigen schrulligen Beigaben aus der Popkultur an: Gummipuppen, Handys, Plattencover, Dildos, halbaufgegessene Zuckertorten und allerlei sonstige Spaßartikel. Scheinbar stille, strenge Kompositionen, die jedoch als puristische Fortsetzungen seiner Promi-Inszenierungen genau LaChapelles bisheriger, durchaus zupackender Methode entsprechen, klassische Sujets durch die surreale Mühle zu drehen. Ähnlich wie die früher schon in der kestnergesellschaft gezeigten Arbeiten Anton Corbijns oder Chris Cunninghams stehen auch David LaChapelles Fotografien für eine Position von praktizierter Fusion von Kunst und Design, die in den allermeisten Fällen weitaus schwächer für die Kunst-Seite ausfällt.