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Zwei Jahrzehnte an der Macht
Für immer Wladimir Putin

Vor 20 Jahren gewann Wladimir Putin seine erste Präsidentenwahl in Russland. Nun könnte das Coronavirus seine weiteren Pläne gefährden: Denn sein Zeitplan für eine Verfassungsreform, die ihm zwei weitere Amtszeiten ermöglichen soll, steht dadurch auf der Kippe.

Von Thielko Grieß | 26.03.2020
Russlands Präsident Wladimir Putin steht an einen Stuhl gelehnt im Kabinettsaal im Kremel.
Seit zwei Jahrzehnten regiert Wladimir Putin das Land (dpa / picture alliance / Dmitry Astakhov / Sputnik)
Ein Fernsehsender meldet das vorläufige Endergebnis: Wladimir Putin gewinnt die Wahl mit mehr als 52 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das Amt des Präsidenten zwar schon einige Monate inne, übernommen von Boris Jelzin, aber öffentlich sichtbares Profil hatte der damals 47-Jährige als Politiker noch kaum – vor allem für Betrachter aus Westeuropa.
Als Wladimir Putin im Herbst 2001 im Bundestag eine Rede hält, beginnt er sie zunächst auf Russisch und wechselt später ins Deutsche. Wer seine Worte heute, fast zwei Jahrzehnte später nachliest, dem springt ein Schwerpunkt ins Auge, der sich im Reden und Handeln durch die folgenden Jahre zieht, bis heute: Sicherheit.
"Das Sicherheitssystem, welches wir in den vergangenen Jahrzehnten erschaffen haben, wurde verbessert. Eine der Errungenschaften des vergangenen Jahrzehnts wurde die beispiellos niedrige Konzentration von Streitkräften und Waffen in Mitteleuropa und der baltischen Region."
Nachbarstaaten in Abhängigkeit
Als eben diese Regionen sich entschlossen, der NATO beizutreten, betrachtete Putin ihm wichtige Linien als überschritten und entwarf eine Politik, von der er sich fortan größere Sicherheit versprach: Außenpolitische Sicherheit zum Beispiel, indem er Nachbarstaaten entweder in Abhängigkeit hält, wie etwa Belarus, oder sie auch militärisch unter Druck setzt, beispielsweise die Ukraine oder Georgien. Das Militär wird nachhaltig modernisiert. Die Sicherheitsdienste im Innern sind hochgerüstet.
"Das Hauptziel der Innenpolitik von Russland ist vor allem die Gewährleistung der demokratischen Rechte und Freiheit, des höheren Lebensniveaus und der Sicherheit des Volkes."
Eine bereinigte politische Landschaft
Der höhere Lebensstandard im Vergleich zum Jahr 2000 ist erreicht, wenngleich die Entwicklung für die meisten Russen seit mehr als einem halben Jahrzehnt auf der Stelle tritt. Die Sicherheit im Innern, die sich zum Beispiel in sinkender Straßenkriminalität ausdrückt, hat jedoch viele Kehrseiten: Demokratische Rechte und Freiheiten sind massiv eingeschränkt.
Der Bundestagsabgeordnete Gernot Erler (SPD) spricht am 24.04.2015 im Deutschen Bundestag in Berlin anlässlich der Debatte zu den Massakern an Armeniern 1915/16. Foto: Britta Pedersen/dpa (zu dpa "Erler: Deutschland will Türkei und Armenien bei Versöhnung helfen" vom 24.04.2015) | Verwendung weltweit
"Putin inszeniert und das macht er durchaus eindrucksvoll"
Wladimir Putin werde in Russland zugute gehalten, dass er für Ordnung und Stabilität stehe und für die Bedeutung Russlands in der Weltpolitik sorge, sagte der langjährige Russland-Koordinator der Bundesregierung, der SPD-Politiker Gernot Erler, im Dlf. Das sichere ihm weiter die Zustimmung in der Bevölkerung.
Wladimir Putin am Rednerpult im Parlament
Der ewige Präsident
Eine Verfassungsänderung soll es Wladimir Putin ermöglichen, auch nach dem Ende seiner vierten Amtszeit wieder zu kandidieren. Putin selbst sieht sich als Garant für Stabilität. Gegenüber den vielen klugen Köpfen, die Russland bereichern, eine Zumutung, meint Thielko Grieß.
Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter - auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen.
Seinen sicheren Verbleib im Amt garantiert dem Präsidenten die auf seinen Wunsch hin von ernsthafter Konkurrenz bereinigte politische Landschaft. Im Ergebnis kam, von einem kurzen Zwischenspiel Dmitrij Medwedjews abgesehen, nach Putin immer nur einer: er selbst.
Es war eine verwinkelte Formulierung, mit der er vor kurzem das Parlament de facto aufforderte, ihm weitere Amtszeiten zu ermöglichen – der Präsident könnte bis 2036 im Amt bleiben. Die weiteren Pläne für den Frühling sahen vor: Volksabstimmung über die dazu notwendige Verfassungsänderung im April, dann die große Militärparade zum Tag des Sieges im Mai.
Coronavirus auch in Russland
Aber nun erkranken auch in Russland Menschen durch das Coronavirus. Über Wochen hatte der Kreml zwar den Eindruck erweckt, als gehe ihn das Thema gar nichts an. Doch gestern sah sich Wladimir Putin dann doch gezwungen, sein Land mit dem Ernst der Lage zu konfrontieren:
"Es kann alle betreffen. Und das, was heute in vielen westlichen Ländern, in Europa und in Übersee geschieht, kann auch unsere Zukunft werden."
Die Volksabstimmung, erklärte er, sei auf unbestimmte Zeit zu vertagt.
Das ist ein Einschnitt. Diesem Präsidenten gelang politisch aus seiner Sicht zuletzt fast alles, was ihm in vielen Kreisen der russischen Gesellschaft zu stabiler Popularität verholfen hat. Nun lässt ein kleiner Erreger und dessen Verbreitung die Machtmaschine auch in Moskau stottern. Das Virus setzt Stabilität und Sicherheit unter Druck. Für Putin ist das ein neues Szenario. Der wichtigste Unterschied: Es ist nicht seins.