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Zwei Mal "Buddenbrooks" im Vergleich

Thomas Mann hat den Literaturnobelpreis 1929 für die "Buddenbrooks" erhalten. Die Familiensaga hatte er 30 Jahre früher geschrieben und sie ist als sein nachhaltigster Erfolg in die Geschichte eingegangen. Allerdings: die Bühne tut sich mit Thomas Manns ironisch-distanzierter, dabei süffig-ausladender Schreibweise eher schwer. Jetzt haben sich gleich zwei Theater auf dieses dialogische Experiment eingelassen.

Von Christiane Enkeler |
    "Hände aus den Hosentaschen!", herrscht Thomas Buddenbrook seinen Sohn in der Dortmunder Inszenierung an: Es ist die berühmte Szene des Romans, in der der kleine Hanno ein Gedicht aufsagen soll und versagt. Wobei in Dortmund allerdings auch Tom oft mit den Händen in den Hosentaschen herumläuft. Sollte das Absicht sein, verrät es nicht viel von inneren Kämpfen.

    Es muss schon was Wichtiges sein, das die "Buddenbrooks" so aktuell macht, dass sie in Düsseldorf und Dortmund fast gleichzeitig Premiere feiern und bald auch noch in der nächsten Verfilmung begriffen sind.

    Das erste, was auffällt im Roman, ist das ewige Gerede ums Geld: Bei Buddenbrooks wird alles berechnet, um Tochter Tony wird regelrecht geschachert, Ausgaben werden gegen Einnahmen gestellt - in einer Zeit, in der man im Fernsehen Menschen dabei zusehen kann, wie sie aus den Schulden herauszukommen versuchen, ist uns das nicht gerade fremd.
    Antonie, die sich zweimal scheiden lässt, ist die erste Hauptfigur in John von Düffels Dramatisierung.

    Die zweite ist ihr Bruder Thomas, der die Firma übernommen hat und der zunehmend an dem Abgrund leidet zwischen dem, was er fühlt: eine Leere, und dem, was er darstellen "muss". Im Buch steigert sich sein Zwang, mehrmaliges Umziehen am Tag wird die Regel. Es ist eine Identitätskrise, in die er gerät, auch wenn er zum Beispiel seinem Bruder Christian gegenüber zugibt, sein Charakter habe sich aus dem Versuch ergeben, sich von ihm, seinem verlotterten Bruder, abzugrenzen, der hauptsächlich für die Betrachtung seiner eigenen Zipperlein lebt. Christian bildet mit seinen beiden Geschwistern den Kern, um den sich John von Düffels Dramatisierung dreht. Er trägt das Privateste nach außen, während Tom immer mehr Probleme mit seiner erstarrten "Maske" bekommt - ebenfalls zwei Verhaltensweisen, die wir kennen.

    Das sind vermutlich die persönlichsten Punkte, die einen Zuschauer berühren können. Zur aktualisierenden Bearbeitung nennt John von Düffel in den Programmheften noch die "zwei Stichworte" "Werte" und "Ökonomie" - es ist ihm jedenfalls gelungen, die "Buddenbrooks" auf die markanteste Figurengeneration zu konzentrieren, ohne dass man das Gefühl hat, etwas Wesentliches zu vermissen.

    Im Stück zieht sich Tom nicht ständig um, aber es gibt einen damit zusammenhängenden Monolog: Er sieht sich als "Schauspieler", aber innerlich leer, ohne Interesse.

    Es ist sinnfällig, dass Manuel Harder als Tom in Hermann Schmidt-Rahmers Dortmunder Inszenierung dabei Kuchen isst, Tom frisst ja so einiges in sich hinein, und sein Vorgänger auf dem Senatorenstuhl hatte sich regelrecht "tot gefressen". Auf der anderen Seite mutet es unglaubwürdig an, wenn jemand an überflüssiger Produktion zerbricht und dabei für seine Verhältnisse maßlos konsumiert - wie überhaupt die Dortmunder Inszenierung im Vergleich zur Düsseldorfer an einigen Punkten weniger gut durchdacht wirkt.

    Beide Inszenierungen beginnen mit der Salonszene mit der ganzen Familie, und in Dortmund sitzen sie dabei auf Sesseln, wie aufgereiht auf einer Kette.

    "Wir sind nicht lose, unabhängige und für sich bestehende Einzelwesen, sondern Glieder einer Kette...", wiederholen in Düsseldorf unter der Regie von Michael Talke immer wieder verschiedene Familienmitglieder: Zwang ist hier Wiederholung bei Tunnelblick. Wollte man aber Talkes Inszenierung in ein Bild fassen, so wäre es wohl der "Knoten": Zu Beginn fällt das Wort vom "Familienkreis", dabei stehen sie doch alle auf einem Haufen, streng angeordnet wie zu einer traditionellen Familienfotografie. Markus Scheumann als Christian ist so ein loses Knotenende - er hängt so rum, orientierungslos und ohne Halt - und Tom wird im Körper von Matthias Leja immer mehr zum Knoten; seine Ausbrüche enden, indem er sich völlig abwehrend zusammenkrümmt, um sich daraus wieder gestärkt aufzurichten.

    Toms Einsamkeit ist schmerzhaft, wenn er in Düsseldorf, mit heraushängendem Hemd und einem Hosenbein in der Socke, vorsichtig den Vorhang lüftet, hinter dem seine Frau Gerda mit dem Leutnant musiziert, und die kleine Bühne, die sich oben dreht, damit Christian seine Show und Gerda ihren Rückzug antreten kann, braucht Tom nicht, wenn er mechanisch Sieger- und Begrüßungsposen immer wieder wiederholt, während seine Kräfte dahinter erlahmen und er Hannos misslungenen Gedichtvortrag nur bruchstückhaft fortführen kann: "Ich bin allein auf weiter Flur..."

    Die gesamte Düsseldorfer Inszenierung ist von hoher Klarheit, Gesten und Blicke sind sorgfältig choreographiert - diszipliniert und frei gleichzeitig. Stimmige Figuren und tiefer Humor liegen in der Fähigkeit von Schauspielern, die ihre Figuren ernst nehmen und doch oft jeden Satz vor sich hinstellen können.

    Warum diese Menschen zerbrechen, ist hier absolut nachfühlbar - aber diesen Schmerz sieht man sich, so gesehen, sehr gern an.