Über dem Domplatz in Riga scheint die Sonne. Die Straßencafés sind voll. Lettische, russische, englische, hier und dort auch deutsche Wortfetzen sind zu hören. 15 Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit scheint Riga erneut die offene Stadt, die sie zu Zeiten der Hanse zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert schon einmal war.
Doch die Offenheit täuscht, zumindest wenn man Tanya Bogushevitch fragt. Nur wenige hundert Meter vom Domplatz entfernt sitzt die junge Politologin in einem Büro des Parlamentsgebäudes. Dort arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin eines russischsprachigen Abgeordneten:
"Sie lesen unterschiedliche Zeitungen, sehen unterschiedliche Fernsehsender und besuchen unterschiedliche kulturelle Veranstaltungen."
Sie – das sind die lettischen Muttersprachler einerseits, und die russischsprachige Minderheit andererseits. Tanya Bogushevitch spricht beide Sprachen perfekt, dazu Englisch und Französisch, mit abgeschlossenem Studium der Politologie. Gerne hätte Tanya im lettischen Außenministerium gearbeitet:
"Unter der Hand hat man mir zu verstehen gegeben, dass meine Herkunft die Sache nicht unbedingt befördere. In den Dokumenten, die man einreichen muss, im Außenministerium, ich denke aber auch in allen anderen Ministerien, da gibt es diese Kategorie: ethnische Herkunft, die ethnische Herkunft der Mutter, des Vaters, deren Geburtsorte. Und ich spreche nicht von einer Tätigkeit im Geheimdienst. Diese Kategorien spielen selbst eine Rolle, wenn man sich als Sekretärin bewirbt."
Nur sieben Prozent aller Führungspositionen werden im öffentlichen Dienst an Letten russischer Herkunft vergeben – eine ungemeine Schieflage, liegt der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung doch bei weit über 30 Prozent. Für Tanya Bogushevitch ist diese Zahl kein Zufall. Was auch immer die russischsprachige Volksgruppe für ihre gesellschaftliche Integration tue, werde sie von der lettischen Mehrheit doch bewusst von Einfluss und Mitbestimmung ferngehalten:
"Vor kurzem hat unsere Präsidentin einer russischsprachigen Zeitung hier in Lettland ein Interview gegeben. Darin sagte sie, dass Lettland das Land der Letten und ihrer lettischen Nachfahren sei. Wow – da frage ich mich, wer sind wir, Gäste etwa? In der lettischen Öffentlichkeit gibt es ein enormes Problem: Immer wieder wird gesagt und unterstellt, die hier lebende russischsprachige Bevölkerung würde Russland als ihre Heimat betrachten. Aber das ist falsch. Die große Mehrheit der lettischen Russen identifiziert sich nicht mit Russland und betrachtet es auch nicht als Heimat."
Das schwierige Verhältnis zwischen Lettland und Russland bereitete aber gerade auch der russischsprachigen Minderheit selbst immer wieder Probleme. Dass Vladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion sowie das Zurückbleiben russischer Bürger in anderen Staaten kürzlich als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat, löste in den baltischen Staaten einen Aufschrei aus. Auch Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga kritisierte Putins Worte offen:
"Die Russen haben doch jetzt die Wahl in einer freien Welt. Sie können zu ihrem Russland oder einen anderen Ort zurückkehren, wenn sie es wollen. Das ist ja keine Tragödie. Wir haben doch keinen Eisernen Vorhang mehr. Alles ist frei. Wollen sie zum Beispiel in Lettland bleiben, das können sie tun, sie haben es getan. Wollen sie Bürger Lettlands werden, das ist möglich, und das tun viele – besonders seit wir Mitglied der Europäischen Union sind, tun das immer mehr. Das ist doch keine Tragödie. Die Okkupation der baltischen Staaten war eine Tragödie, diese Massendeportationen nach Sibirien, wo Zehntausende verhungert und erfroren sind." (Ein Beitrag von Marc-Christoph Wagner)
Doch die Offenheit täuscht, zumindest wenn man Tanya Bogushevitch fragt. Nur wenige hundert Meter vom Domplatz entfernt sitzt die junge Politologin in einem Büro des Parlamentsgebäudes. Dort arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin eines russischsprachigen Abgeordneten:
"Sie lesen unterschiedliche Zeitungen, sehen unterschiedliche Fernsehsender und besuchen unterschiedliche kulturelle Veranstaltungen."
Sie – das sind die lettischen Muttersprachler einerseits, und die russischsprachige Minderheit andererseits. Tanya Bogushevitch spricht beide Sprachen perfekt, dazu Englisch und Französisch, mit abgeschlossenem Studium der Politologie. Gerne hätte Tanya im lettischen Außenministerium gearbeitet:
"Unter der Hand hat man mir zu verstehen gegeben, dass meine Herkunft die Sache nicht unbedingt befördere. In den Dokumenten, die man einreichen muss, im Außenministerium, ich denke aber auch in allen anderen Ministerien, da gibt es diese Kategorie: ethnische Herkunft, die ethnische Herkunft der Mutter, des Vaters, deren Geburtsorte. Und ich spreche nicht von einer Tätigkeit im Geheimdienst. Diese Kategorien spielen selbst eine Rolle, wenn man sich als Sekretärin bewirbt."
Nur sieben Prozent aller Führungspositionen werden im öffentlichen Dienst an Letten russischer Herkunft vergeben – eine ungemeine Schieflage, liegt der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung doch bei weit über 30 Prozent. Für Tanya Bogushevitch ist diese Zahl kein Zufall. Was auch immer die russischsprachige Volksgruppe für ihre gesellschaftliche Integration tue, werde sie von der lettischen Mehrheit doch bewusst von Einfluss und Mitbestimmung ferngehalten:
"Vor kurzem hat unsere Präsidentin einer russischsprachigen Zeitung hier in Lettland ein Interview gegeben. Darin sagte sie, dass Lettland das Land der Letten und ihrer lettischen Nachfahren sei. Wow – da frage ich mich, wer sind wir, Gäste etwa? In der lettischen Öffentlichkeit gibt es ein enormes Problem: Immer wieder wird gesagt und unterstellt, die hier lebende russischsprachige Bevölkerung würde Russland als ihre Heimat betrachten. Aber das ist falsch. Die große Mehrheit der lettischen Russen identifiziert sich nicht mit Russland und betrachtet es auch nicht als Heimat."
Das schwierige Verhältnis zwischen Lettland und Russland bereitete aber gerade auch der russischsprachigen Minderheit selbst immer wieder Probleme. Dass Vladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion sowie das Zurückbleiben russischer Bürger in anderen Staaten kürzlich als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat, löste in den baltischen Staaten einen Aufschrei aus. Auch Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga kritisierte Putins Worte offen:
"Die Russen haben doch jetzt die Wahl in einer freien Welt. Sie können zu ihrem Russland oder einen anderen Ort zurückkehren, wenn sie es wollen. Das ist ja keine Tragödie. Wir haben doch keinen Eisernen Vorhang mehr. Alles ist frei. Wollen sie zum Beispiel in Lettland bleiben, das können sie tun, sie haben es getan. Wollen sie Bürger Lettlands werden, das ist möglich, und das tun viele – besonders seit wir Mitglied der Europäischen Union sind, tun das immer mehr. Das ist doch keine Tragödie. Die Okkupation der baltischen Staaten war eine Tragödie, diese Massendeportationen nach Sibirien, wo Zehntausende verhungert und erfroren sind." (Ein Beitrag von Marc-Christoph Wagner)