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Zwischen Bautradition und Futurismus

In den asiatischen Tigerstaaten schießen die Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden. In Schanghai soll in zwei Jahren das mit fast 500 Metern höchste Haus der Welt stehen. Doch selbst die eigene Stadtregierung konnte den Investoren des "World Financial Centers" keine Garantie geben, dass das Gebäude in den kommenden Jahren der Rekordhalter bleibt.

Von Astrid Freyeisen | 10.12.2006
    Schulschluss in einer zweiten Klasse in Schanghai. Die Kinder fühlen sich offenbar nicht winzig klein zwischen über 400 Meter hohen Wolkenkratzern, zwischen den mehrstöckigen Autobahnen:

    " Schanghai ist groß.
    Schanghai macht Spaß.
    Weil es hier den Wolkenkratzer gibt, der "Perle des Orients" heißt..

    Hier in Schanghai gibt es so viele hohe Häuser. In meinem Dorf stehen kleine Holzhäuser, aber ich mag nur die hohen Häuser, nicht die kleinen aus Holz.
    Wenn es stark regnet, kann bei denen das Dach einstürzen. "

    Viele Schanghaier Kinder stammen vom Land. Aber auch in der 20-Millionen-Metropole leben noch immer ungezählte Menschen ohne fließendes Wasser, müssen öffentliche Toiletten benutzen und zerbrochene Fensterscheiben mit Pappe abdichten. Für Chang Qing, Dekan für Architektur an der Tongji-Universität, bedrohen diese Zustände das historische Stadtbild:

    " Unsere alten Gebäude sind nicht gut erhalten. Deshalb können es die Bewohner nicht erwarten, sie los zu werden. Sie verschließen die Augen vor der Tatsache, dass diese Häuser zwar auf den ersten Blick schäbig wirken, auf den zweiten Blick aber wahre Schätze sind. Einige erkennen das jetzt. Das kommt spät. Viele der alten Häuser sind abgerissen und für immer verloren. Die meisten Immobilienhändler sind reiche, aber ungebildete Leute. Vielleicht wird die nächste Generation von ihnen anders sein, aber dann ist es zu spät. Ein Beispiel: Um den Wenhui-Turm zu bauen, wurde eine Synagoge abgerissen. Was für ein Fehler! Es war ein Gebäude im Stil des Mittleren Ostens. So eine gab es kein zweites Mal in Schanghai. Jetzt haben sie den Wenhui-Turm auch wieder abgerissen, an Stelle der alten Synagoge ist jetzt eine Baulücke. "

    Professor Chang und seine Kollegen an der Tongji-Universität sind so etwas wie das historische Gewissen von Schanghai. Die Tongji richtete vor fünf Jahren den ersten Lehrstuhl für Denkmalschutz in China ein. Dafür hatte vor allem Professor Mo Tianwei gekämpft:

    " Am Anfang dachte man im Ministerium, für uns einen neuen Studiengang einzurichten, sei unnütz. Wir könnten doch zur Architektur gehören. Dem ist aber nicht so. Viele internationale Institutionen haben spezielle Studiengänge für Denkmalschutz. Ein Jahr später erklärten wir das dem Ministerium. Da haben sie unsere Idee akzeptiert. Offizielle vom städtischen Büro für Denkmalschutz und dem für Immobilien gingen auf uns zu. Anfangs wollten wir nur testen, ob es Bedarf für unsere künftigen Studenten gebe. Sobald wir fragten, versprachen sie, alle Studenten anzustellen. "

    Der erste Studenten-Jahrgang fand tatsächlich schnell Stellen. Vielleicht ein Signal: In China gehört Schanghai zu den wenigen Städten mit einer Altstadt. Noch immer stehen viele Straßenzüge mit traditionellen chinesischen Hofhäusern. In Villen der Kolonialzeit oder in Apartmenthäusern mit Bauhaus-Architektur zu wohnen, ist mittlerweile eine teure Sache - immer mehr werden aufwendig modernisiert. Für Professor Chang Qing ist ein neuer Nutzen der Schlüssel zur Rettung von Schanghais Erbe. Eins seiner wichtigsten Projekte ist der Bezirk Yangshupu:

    " In Yangshupu stand die Wiege der Industrie im Fernen Osten. Das erste Kraftwerk, das erste Gaswerk, das erste Wasserwerk, die erste Suppenfabrik, die erste Textilfabrik - alles war dort zu finden. Die meisten Industriebetriebe sind geschlossen, die Arbeiter entlassen. Eigentlich könnten sie dort immer noch Geld verdienen. Indem sie vermieten. Diese Fabriken wären perfekt für Hightech-Firmen und Kunstgalerien. "

    Solchen Wandel hat vor etwa fünf Jahren das Viertel Xintiandi vorexerziert. Hongkonger Investoren bauten ausgerechnet die Hofhäuser rund um den Gründungsort der kommunistischen Partei in teure Kneipen und Geschäfte um. Einige chinesische Städte folgten dem Beispiel mittlerweile. Doch Renovierung und Restaurierung können für alte Gebäude auch bedrohlich sein:

    " Die Leute glauben, sie helfen, aber sie wissen nicht, was sie wirklich tun müssen. Sie glauben, es sei schön, Häuser neu zu streichen, aber sie erreichen das Gegenteil. Viele bitten uns um Gutachten, aber wir haben nicht genug Leute. Allein an der Uferpromenade Bund stehen hunderte alter Häuser. Bund Nummer sechs sieht jetzt aus wie eine Cremetorte. Da ist eine amerikanische Firma drin. Sie waren unter Zeitdruck, besser ging's für sie nicht. Wir konnten sie nicht stoppen. Wir konnten ihnen nur raten, eine weniger hässliche Farbe zu nehmen. Nicht einmal die Denkmalschutzbehörde konnte sie stoppen. "

    Hunderte von Tafeln weisen in Schanghai auf denkmalgeschützte Gebäude hin. Doch Hinweistafeln und das Papier von Gesetzestexten haben in China eins gemeinsam: Sie sind geduldig. Schutz funktioniere nur, wenn Investoren darin einen finanziellen Nutzen sehen, ist Professor Chang überzeugt.

    " Die Regierung erwägt bereits, von Europa zu lernen und Steuererleichterungen zu gewähren, wenn jemand Architektur schützt. Wer in Renovierung investiert, der tut etwas Gutes für die Gesellschaft. Es ist, als würde er für wohltätige Zwecke spenden. Aber das wichtigste ist immer noch, dass die Regierung ihre Verantwortung wahrnimmt. "