Der Vorverkauf hatte ein halbes Jahr zuvor begonnen, das Schauspielhaus wurde für fünf Wochen en-suite-Betrieb freigeräumt, und während man den Protestierern vom Occupy-Camp direkt gegenüber die schauspieleigenen Duschen anbot, wurde der Ausgewogenheit halber auf der Chefetage die Deutsche Bank zum Sponsoring animiert. Das hörte sich nach einem Kraftakt an, mindestens so visionär wie Peter Steins Komplett-Fassung des Faust.
Doch die Erwartung, dass hier ein ähnlich ehrgeiziger Wurf geplant sei, war schnell gedämpft, der Tragödie Erster und Zweiter Teil vorsichtshalber auf vier Schultern verteilt; die von Stefan Pucher und von Günter Krämer, der schon Mitte der 80er ganz allein seinen legendären Doppel-Faust in Bremen gestemmt hatte. Der Berg kreißte also, und heraus kam, am ersten Abend, ein Fäustlein
auf halbem Weg zwischen Expressionismus und Musical.
Der Spielraum ein rotierender Polyeder mit schiefen Ebenen und halsbrecherischen Treppen, der Erdgeist eine hohläugige Stummfilmreminiszenz. Später flimmern mystische Schlangen und magische Zeichen über die Wände, durchaus auch Frankfurter Hochhäuser und Euromünzen schwenkende Nummerngirls - aber unter der entscheidenden Frage, was Goethes Faust mit der Gegenwart zu tun haben könnte, taucht die Inszenierung lieber weg.
Dafür gibt es eine dreiköpfige Band, die in Mönchskapuzen auftritt und neben Goethe auch, natürlich, die Stones mit "Sympathy for the devil" intoniert. Der, der Teufel, erinnert in der androgynen Gestalt von Alexander Scheer an David Bowie, theatralisch, ironisch, verspielt, ein biegsames, flackerndes Irrlicht. Ihm gönnt Pucher die eine von zwei Szenen des Abends, an denen es hätte interessant werden können. Im Zusammentreffen mit Fausts Schüler verkehrt Mephisto die Devisen der Aufklärung in eine sadistische Versuchsanordnung. Doch was ein Schock hätte sein können, verpufft samt schnarrendem Hitler-Ton in unwitziger Alberei.
Marc Oliver Schulze ist ein Faust von trauriger Gestalt, mit Bauchansatz, Anzugweste und strähnig grauen Zotteln, nach der Verjüngungskur sind wenigstens Haar und Hose besser geschnitten, jetzt ähnelt er eher einem verklemmten, unrasierten Handlungsreisenden, dem es immerhin gelingt, manchen von allzu viel Gebrauch abgewetzten Goethe-Vers neu zum Glänzen zu bringen.
Auch Henrike Johanna Jörissen darf als miniberocktes High-Heel-Gretchen wenig von dem zeigen, was sie kann, aber immerhin legt Pucher die Szene mit der berühmten Frage "Wie hältst dus mit der Religion" so überzeugend als Ehedrama an, dass man Fausts Fluchtreflex zu verstehen beginnt. Ansonsten ist dieser verzappelte Abend eher arm an erhellenden Momenten.
Anders der Tragödie Zweiter Teil, auch wenn sich zu Beginn Günter Krämer bloß eleganter aus der Affäre zu ziehen scheint. Die Saaltüren sind noch nicht geschlossen, da schlüpft eine gepflegte Dame herein, die als Premierenbesucherin aus dem Taunus durchgehen könnte, zöge sie nicht ein giftgrünes Occupy-Zelt hinter sich her. Ihr hat Krämer all jene Jammerworte über die drohende Verarmung in den Mund gelegt, die in Mephistos betrügerische Geldvermehrung und damit bekanntlich zum Staatsbankrott münden. Die anscheinend etwas verwirrte Dame – die wunderbare Schauspielerin Lore Stefanek - wird von Sicherheitspersonal hinauskomplimentiert; später, wenn Mephisto das alte Paar vertreibt, das Faust in seinen Plänen stört, sind es wieder Occupy-Zelte, die vom Bühnenhintergrund abgeräumt werden – ganz wie in der Wirklichkeit, draußen vor der Tür. So hakt man ein brisantes Thema stilvoll ab, wirklich weh tut das keiner Bankiersgattin.
Nach so viel Gegenwart geht es ziemlich umweglos - Kaiserpfalz, Mummenschanz, klassische Walpurgisnacht sind gestrichen - zur antiken Tragödie des III Akts. Und jetzt wird es wirklich aufregend. Nackt und bloß treten Helena und ihr Chor gefangener Trojanerinnen auf. Valery Tscheplanowas Helena trägt eine Binde um eine blutige Kopfwunde – ihre Schönheit ist nichts als eine Kopfgeburt, ebenso wie die Sorge, als die sie später auftreten wird. Um so bezwingender der Kontrast zu der alles beherrschenden, herrscherlichen Präsenz, die Valery Tscheplanowa ihrer Figur aus der puren Kreatürlichkeit heraus erspielt.
In der Begegnung mit ihr offenbaren sich auch erstmals die zwei Seelen, ach, in der Brust von Wolfgang Michaels Faust. Ein arroganter, erbärmlicher Widerling ist das in seiner affigen Weltverachtung – doch an Helenas Aura bröckelt die taffe Fassade, hierher womöglich holt er sich die Offenheit der verwundeten Seele, mit der er später so sehnsuchtsvoll wie hoffnungslos nach dem Weltganzen ausgreift.
Dem Pathos gesellt sich mit Constanze Beckers Mephisto die ideale Parodie zur Seite. Als Marlene-Dietrich-Reminiszenz in Frack und Zylinder gibt sie den diabolischen Conferencier, komödiantisch und melancholisch, überkandidelte Phorkyas-Zicke und mitleidige Trösterin. Ihr, nicht dem Erlösungschor bleibt am Schluss das letzte Wort – die Klage des armen Teufels, dem eine versprochene Seele durch die Lappen gegangen ist.
Krämer setzt auf große, klare, fast durchweg schwarz-weiß gehaltene und sensibel ausgeleuchtete Bilder im riesigen, fast leeren Bühnen-Weltraum, der im Lauf des Abends zunehmend vereist; immer wieder frappiert die unaufdringliche Genauigkeit, mit der diese Bilder aus dem Text abgeleitet sind. Und eines ist dabei, das macht diesen Theaterabend zu einem wirklich herausragenden: die schockierende, Eros und Gewalt paarende Szene, in der Faust der nackten Helena eine Pistole in die Hand drückt, damit sie den unaufmerksamen Türmer richtet. Kälte und Verletzlichkeit – das ist der heikle Akkord, auf den diese Inszenierung gestimmt ist. Mit ihr ist auch der Frankfurter Doppel-Faust am Ende wenn nicht gerichtet, so doch gerettet.
Doch die Erwartung, dass hier ein ähnlich ehrgeiziger Wurf geplant sei, war schnell gedämpft, der Tragödie Erster und Zweiter Teil vorsichtshalber auf vier Schultern verteilt; die von Stefan Pucher und von Günter Krämer, der schon Mitte der 80er ganz allein seinen legendären Doppel-Faust in Bremen gestemmt hatte. Der Berg kreißte also, und heraus kam, am ersten Abend, ein Fäustlein
auf halbem Weg zwischen Expressionismus und Musical.
Der Spielraum ein rotierender Polyeder mit schiefen Ebenen und halsbrecherischen Treppen, der Erdgeist eine hohläugige Stummfilmreminiszenz. Später flimmern mystische Schlangen und magische Zeichen über die Wände, durchaus auch Frankfurter Hochhäuser und Euromünzen schwenkende Nummerngirls - aber unter der entscheidenden Frage, was Goethes Faust mit der Gegenwart zu tun haben könnte, taucht die Inszenierung lieber weg.
Dafür gibt es eine dreiköpfige Band, die in Mönchskapuzen auftritt und neben Goethe auch, natürlich, die Stones mit "Sympathy for the devil" intoniert. Der, der Teufel, erinnert in der androgynen Gestalt von Alexander Scheer an David Bowie, theatralisch, ironisch, verspielt, ein biegsames, flackerndes Irrlicht. Ihm gönnt Pucher die eine von zwei Szenen des Abends, an denen es hätte interessant werden können. Im Zusammentreffen mit Fausts Schüler verkehrt Mephisto die Devisen der Aufklärung in eine sadistische Versuchsanordnung. Doch was ein Schock hätte sein können, verpufft samt schnarrendem Hitler-Ton in unwitziger Alberei.
Marc Oliver Schulze ist ein Faust von trauriger Gestalt, mit Bauchansatz, Anzugweste und strähnig grauen Zotteln, nach der Verjüngungskur sind wenigstens Haar und Hose besser geschnitten, jetzt ähnelt er eher einem verklemmten, unrasierten Handlungsreisenden, dem es immerhin gelingt, manchen von allzu viel Gebrauch abgewetzten Goethe-Vers neu zum Glänzen zu bringen.
Auch Henrike Johanna Jörissen darf als miniberocktes High-Heel-Gretchen wenig von dem zeigen, was sie kann, aber immerhin legt Pucher die Szene mit der berühmten Frage "Wie hältst dus mit der Religion" so überzeugend als Ehedrama an, dass man Fausts Fluchtreflex zu verstehen beginnt. Ansonsten ist dieser verzappelte Abend eher arm an erhellenden Momenten.
Anders der Tragödie Zweiter Teil, auch wenn sich zu Beginn Günter Krämer bloß eleganter aus der Affäre zu ziehen scheint. Die Saaltüren sind noch nicht geschlossen, da schlüpft eine gepflegte Dame herein, die als Premierenbesucherin aus dem Taunus durchgehen könnte, zöge sie nicht ein giftgrünes Occupy-Zelt hinter sich her. Ihr hat Krämer all jene Jammerworte über die drohende Verarmung in den Mund gelegt, die in Mephistos betrügerische Geldvermehrung und damit bekanntlich zum Staatsbankrott münden. Die anscheinend etwas verwirrte Dame – die wunderbare Schauspielerin Lore Stefanek - wird von Sicherheitspersonal hinauskomplimentiert; später, wenn Mephisto das alte Paar vertreibt, das Faust in seinen Plänen stört, sind es wieder Occupy-Zelte, die vom Bühnenhintergrund abgeräumt werden – ganz wie in der Wirklichkeit, draußen vor der Tür. So hakt man ein brisantes Thema stilvoll ab, wirklich weh tut das keiner Bankiersgattin.
Nach so viel Gegenwart geht es ziemlich umweglos - Kaiserpfalz, Mummenschanz, klassische Walpurgisnacht sind gestrichen - zur antiken Tragödie des III Akts. Und jetzt wird es wirklich aufregend. Nackt und bloß treten Helena und ihr Chor gefangener Trojanerinnen auf. Valery Tscheplanowas Helena trägt eine Binde um eine blutige Kopfwunde – ihre Schönheit ist nichts als eine Kopfgeburt, ebenso wie die Sorge, als die sie später auftreten wird. Um so bezwingender der Kontrast zu der alles beherrschenden, herrscherlichen Präsenz, die Valery Tscheplanowa ihrer Figur aus der puren Kreatürlichkeit heraus erspielt.
In der Begegnung mit ihr offenbaren sich auch erstmals die zwei Seelen, ach, in der Brust von Wolfgang Michaels Faust. Ein arroganter, erbärmlicher Widerling ist das in seiner affigen Weltverachtung – doch an Helenas Aura bröckelt die taffe Fassade, hierher womöglich holt er sich die Offenheit der verwundeten Seele, mit der er später so sehnsuchtsvoll wie hoffnungslos nach dem Weltganzen ausgreift.
Dem Pathos gesellt sich mit Constanze Beckers Mephisto die ideale Parodie zur Seite. Als Marlene-Dietrich-Reminiszenz in Frack und Zylinder gibt sie den diabolischen Conferencier, komödiantisch und melancholisch, überkandidelte Phorkyas-Zicke und mitleidige Trösterin. Ihr, nicht dem Erlösungschor bleibt am Schluss das letzte Wort – die Klage des armen Teufels, dem eine versprochene Seele durch die Lappen gegangen ist.
Krämer setzt auf große, klare, fast durchweg schwarz-weiß gehaltene und sensibel ausgeleuchtete Bilder im riesigen, fast leeren Bühnen-Weltraum, der im Lauf des Abends zunehmend vereist; immer wieder frappiert die unaufdringliche Genauigkeit, mit der diese Bilder aus dem Text abgeleitet sind. Und eines ist dabei, das macht diesen Theaterabend zu einem wirklich herausragenden: die schockierende, Eros und Gewalt paarende Szene, in der Faust der nackten Helena eine Pistole in die Hand drückt, damit sie den unaufmerksamen Türmer richtet. Kälte und Verletzlichkeit – das ist der heikle Akkord, auf den diese Inszenierung gestimmt ist. Mit ihr ist auch der Frankfurter Doppel-Faust am Ende wenn nicht gerichtet, so doch gerettet.