"Ohne Gegensätze gibt es keine Entwicklung. Anziehung und Abstoßung, Vernunft und Energie, Liebe und Haß sind notwendig für das menschliche Dasein." Der das postulierte, der Londoner William Blake, war überzeugt von der Nowendigkeit solcher Gegensätze. Und er war doppelt begabt: ein meisterlicher Dichter, Maler und Kupferstecher. 1757 geboren, erlebte er die Epochenzäsur vom 18. zum 19. Jahrhundert und reagierte in seinen Künsten nachhaltig auf die Gegensätze von Alt und neu - die Französische Revolution begeisterte ihn ebenso wie die Unabhängigkeit Amerikas. Ein inbrünstig Glaubender, war der Poet Blake immer auch Prophet - ein Verkünder, ein Visionär. Seine Überzeugung:
"Man's perceptions are not bounded by organs of perception; he percieves more than sense (Tho' ever so acute) can discover."
"Die Wahrnehmungen des Menschen werden nicht von Organen der Wahrnehmung beschränkt; er nimmt mehr wahr, als die Sinne (und wären sie noch so scharf) entdecken können", übersetzt der Leipziger Thomas Eichhorn.
Auf deutsch liegen seit Beginn unseres Jahrhunderts sechs Blake-Übersetzungen vor. Thomas Eichhorn hat soeben eine zweisprachige Werkauswahl William Blakes mit Anmerkungen versehen und diese Texte neu - erfrischend neu - übersetzt. Der Band heißt zwischen Feuer und Feuer. Er enthält neben frühen poetischen Skizzen zwei religionsphilosophische Essays, die "Lieder der Unschuld und Erfahrung" sowie die "Prophetischen Bücher", darunter auch Blakes wichtigstes Werk, "Die Hochzeit von Himmel und Hölle":
"The road of excess leads to the palace of wisdom. Prudence is a rich, ugly old maid courted by Incapacity. He who desires but acts not, breeds pestilence."
In diesen provozierenden "Sprichwörtern der Hölle" fordert Blake den begehrenden, den aufbegehrenden Menschen, verwirft Mäßigung und Enthaltsamkeit, predigt eine Umwertung herkömmlicher Werte. Thomas Eichhorn hält sich sehr eng an's aphorismenreiche Original: "Die Straße des Übermaßes führt zum Palast der Weisheit. Vorsicht ist eine reiche, häßliche alte Jungfer, hofiert von Unfähigkeit. Er, der begehrt, aber nicht handelt, brütet die Pest." Vergleichen wir mit Lillian Schacherls Übersetzung von 1975: "Die Straße der Ausschweifung führt zum Palst der Weisheit. Vorsicht ist eine reiche, häßliche alte Jungfer, der Unfähigkeit den Hof macht. Wer begehrt und nicht handelt, brütet Pestilenz aus." Eichhorn folgt dem Rhythmus Blakes. Wenn er die Drohgebärde mit der todbringenden Pest als letztes Wort setzt und den angesprochenen Menschen betont benennt, macht er den rebellischen Gestus Blakes stark.
"Eighteen hundred years. man was a Dream! The Night of Nature and their harps unstrung! She slept in middle of her nightly song Eighteen hundred years, a female dream."
"Achtzehnhundert Jahre. Der Mensch war ein Traum! Die Nacht der Natur, und ihre Harfen ohne Saiten! Sie schlief inmitten ihres nächtlichen Lieds Achtzehnhundert Jahre, ein weiblicher Traum", heißt es im prophetischen Buch Europa. Wie können wir Heutigen, wir Säkularisierten die verwirrenden Textwelten des Phantasten, des Verzückten, des Mystikers Blake lesen? In seinem visionären Christentum sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgehoben. Angesichts der Bildkraft Blakes, seiner Lichtphantasmen und Gesichte empfanden die Dichter der Beat generation ihn als einen der Ihren: The Doors sangen seine Verse; der Protagonist in Jim Jarmusch' Film "Dead Man" heißt William Blake. Auch Thomas Eichhorn, das spürt man beim Lesen, sieht Blake als Zeitgenossen: "Opposition is true friendship."
Bisher hieß das entweder: "Gegensatz ist wahre Freundschaft", wie Sylvia Luetjohann 1987 übersetzte; "Gegensätzlichkeit ist wahre Freundschaft" schrieb die bereits erwähnte Lillian Schacherl. Eichhorn entschied sich für: "Widerspruch ist wahre Freundschaft". Damit überschreitet er zwar den Wortsinn des englischen opposition, akzentuiert jedoch zugleich den heutigen Sprachgebrauch, rückt Blake näher heran.
Ende der fünfziger Jahre hatte der Schriftsteller Georg von der Vring eine Gedichtauswahl Blakes übersetzt, darunter auch dessen berühmten "Tiger":
"Tyger!Tyger! burning bright In the forests of the night, What immortal hand or eye Could frame the fearful symmetry?"
"Tiger! Tiger! grauses Licht,/Das aus Nacht und Wäldern bricht,/Wessen Schöpferdrang gestillt/Hat dein entsetzliches Gebild?", das ist von der Vring, der die Laute des Originals zu erhalten suchte. Eichhorn hingegen gibt den Bildern des Unbewußten Raum, läßt sie im Vokal a ausklingen: "Tiger! Tiger! Brand entfacht/In den Wäldern tiefer Nacht,/Welch unsterblich Aug' und Hand/Hat dich in dein Maß gebannt?"
Wenn es stimmt, daß jede Zeit ihre Übersetzung hat, so ist die Blake-Übersetzung Thomas Eichhorns unserer Zeit gemäß, denn sie zeigt die Modernität Blakes, öffnet den Zugang zum Werk dieses exzentrischen Außenseiters, der von seinen Zeitgenossen kaum beachtet wurde. Diese Werkausgabe Blakes überzeugt: aufgrund der gelungenen Übersetzung, aufgrund ihrer auf deutsch einzigartigen umfangreichen Werkauswahl, der erhellenden Anmerkungen, des informativen Anhangs - und des erschwinglichen Preises. Allein die achtzehn Schwarzweiß-Abbildungen enttäuschen. Blake begriff seine Dichtung und seine Illustrationen als Einheit. Seine leuchtenden Gestalten, die Strahlkraft seiner Farbgebung verschmolzen mit den visionären Versen zu "illuminierten Büchern". Davon kann in der dtv-Ausgabe leider keine Rede sein.
"Man's perceptions are not bounded by organs of perception; he percieves more than sense (Tho' ever so acute) can discover."
"Die Wahrnehmungen des Menschen werden nicht von Organen der Wahrnehmung beschränkt; er nimmt mehr wahr, als die Sinne (und wären sie noch so scharf) entdecken können", übersetzt der Leipziger Thomas Eichhorn.
Auf deutsch liegen seit Beginn unseres Jahrhunderts sechs Blake-Übersetzungen vor. Thomas Eichhorn hat soeben eine zweisprachige Werkauswahl William Blakes mit Anmerkungen versehen und diese Texte neu - erfrischend neu - übersetzt. Der Band heißt zwischen Feuer und Feuer. Er enthält neben frühen poetischen Skizzen zwei religionsphilosophische Essays, die "Lieder der Unschuld und Erfahrung" sowie die "Prophetischen Bücher", darunter auch Blakes wichtigstes Werk, "Die Hochzeit von Himmel und Hölle":
"The road of excess leads to the palace of wisdom. Prudence is a rich, ugly old maid courted by Incapacity. He who desires but acts not, breeds pestilence."
In diesen provozierenden "Sprichwörtern der Hölle" fordert Blake den begehrenden, den aufbegehrenden Menschen, verwirft Mäßigung und Enthaltsamkeit, predigt eine Umwertung herkömmlicher Werte. Thomas Eichhorn hält sich sehr eng an's aphorismenreiche Original: "Die Straße des Übermaßes führt zum Palast der Weisheit. Vorsicht ist eine reiche, häßliche alte Jungfer, hofiert von Unfähigkeit. Er, der begehrt, aber nicht handelt, brütet die Pest." Vergleichen wir mit Lillian Schacherls Übersetzung von 1975: "Die Straße der Ausschweifung führt zum Palst der Weisheit. Vorsicht ist eine reiche, häßliche alte Jungfer, der Unfähigkeit den Hof macht. Wer begehrt und nicht handelt, brütet Pestilenz aus." Eichhorn folgt dem Rhythmus Blakes. Wenn er die Drohgebärde mit der todbringenden Pest als letztes Wort setzt und den angesprochenen Menschen betont benennt, macht er den rebellischen Gestus Blakes stark.
"Eighteen hundred years. man was a Dream! The Night of Nature and their harps unstrung! She slept in middle of her nightly song Eighteen hundred years, a female dream."
"Achtzehnhundert Jahre. Der Mensch war ein Traum! Die Nacht der Natur, und ihre Harfen ohne Saiten! Sie schlief inmitten ihres nächtlichen Lieds Achtzehnhundert Jahre, ein weiblicher Traum", heißt es im prophetischen Buch Europa. Wie können wir Heutigen, wir Säkularisierten die verwirrenden Textwelten des Phantasten, des Verzückten, des Mystikers Blake lesen? In seinem visionären Christentum sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgehoben. Angesichts der Bildkraft Blakes, seiner Lichtphantasmen und Gesichte empfanden die Dichter der Beat generation ihn als einen der Ihren: The Doors sangen seine Verse; der Protagonist in Jim Jarmusch' Film "Dead Man" heißt William Blake. Auch Thomas Eichhorn, das spürt man beim Lesen, sieht Blake als Zeitgenossen: "Opposition is true friendship."
Bisher hieß das entweder: "Gegensatz ist wahre Freundschaft", wie Sylvia Luetjohann 1987 übersetzte; "Gegensätzlichkeit ist wahre Freundschaft" schrieb die bereits erwähnte Lillian Schacherl. Eichhorn entschied sich für: "Widerspruch ist wahre Freundschaft". Damit überschreitet er zwar den Wortsinn des englischen opposition, akzentuiert jedoch zugleich den heutigen Sprachgebrauch, rückt Blake näher heran.
Ende der fünfziger Jahre hatte der Schriftsteller Georg von der Vring eine Gedichtauswahl Blakes übersetzt, darunter auch dessen berühmten "Tiger":
"Tyger!Tyger! burning bright In the forests of the night, What immortal hand or eye Could frame the fearful symmetry?"
"Tiger! Tiger! grauses Licht,/Das aus Nacht und Wäldern bricht,/Wessen Schöpferdrang gestillt/Hat dein entsetzliches Gebild?", das ist von der Vring, der die Laute des Originals zu erhalten suchte. Eichhorn hingegen gibt den Bildern des Unbewußten Raum, läßt sie im Vokal a ausklingen: "Tiger! Tiger! Brand entfacht/In den Wäldern tiefer Nacht,/Welch unsterblich Aug' und Hand/Hat dich in dein Maß gebannt?"
Wenn es stimmt, daß jede Zeit ihre Übersetzung hat, so ist die Blake-Übersetzung Thomas Eichhorns unserer Zeit gemäß, denn sie zeigt die Modernität Blakes, öffnet den Zugang zum Werk dieses exzentrischen Außenseiters, der von seinen Zeitgenossen kaum beachtet wurde. Diese Werkausgabe Blakes überzeugt: aufgrund der gelungenen Übersetzung, aufgrund ihrer auf deutsch einzigartigen umfangreichen Werkauswahl, der erhellenden Anmerkungen, des informativen Anhangs - und des erschwinglichen Preises. Allein die achtzehn Schwarzweiß-Abbildungen enttäuschen. Blake begriff seine Dichtung und seine Illustrationen als Einheit. Seine leuchtenden Gestalten, die Strahlkraft seiner Farbgebung verschmolzen mit den visionären Versen zu "illuminierten Büchern". Davon kann in der dtv-Ausgabe leider keine Rede sein.