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Zwischen Haneke und Tarantino

Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland zeigt sich zufrieden mit dem Kinojahr 2009. Neben den großen Erfolgen wie "Das weiße Band" und "Inglorious Basterds" gab es eine Reihe von guten deutschen Filmen - die Dokumentation "Die Anwälte" beispielsweise.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Nicht nur diese Sendung geht allmählich zu Ende, sondern auch das Jahr, und so blicken wir in unserem letzten Beitrag heute zurück, denn – schon gemerkt? – im Deutschlandfunk wird immer geblickt. Andere schauen und gucken, wir blicken – und zwar auf das Kino und seine Highlights. Und da, Rüdiger Suchsland, fällt einem als Erstes "Inglorious Bastards" ein, der hoch problematische Streifen von Quentin Tarantino, der es fertigbrachte, roheste Gewaltpornografie mit moralischem Wohlfühlfaktor zu bieten.

    Rüdiger Suchsland: Ja, das kann man so sehen, das ist natürlich das kulturbürgerliche Gegenargument, mit dem Tarantino sehr geschickt spielt. Das ist ein Film, der natürlich vom Faschismus handelt, und der Faschismus ist grausam, der ist brutal, also muss man das auch zeigen. Aber vor diesem Film war eigentlich das fiktionale Kino gescheitert am Faschismus. Denken wir nur an "Walküre", wer erinnert sich noch an diesen Film? Der Realismus ist gescheitert, weil man dann dem Faschismus sozusagen in die eigene Falle geht. Und Tarantino hat gezeigt, dass man vielleicht dem Faschismus besser gerecht wird, wenn man ihn auf eine gewisse Weise auch veralbert. Das ist ein Film, der wird bleiben von diesem Jahr, der wird uns weiterhin beschäftigen. Und das kann man ja leider nicht von jedem sagen, was so rausgekommen ist.

    Müller-Ullrich: Und im Unterschied zu einigen anderen, bei denen es weniger um Massenvernichtung geht, zum Beispiel Michael Haneke, der Österreicher, der ja sehr ausgezeichnet wurde für "Das weiße Band", ist jemand, der eher mit dem chirurgischen Skalpell arbeitet und natürlich auch Schmerzen zeigt und Schmerzen erzeugt.

    Suchsland: Ja, ganz genau. Also da, wo Tarantino sozusagen ein heißblütiges Kino macht, da macht Haneke ein kaltes, cooles Kino, also im allerbesten Sinn, ich finde das einen ganz hervorragenden Film. Das ist ein Film, der natürlich, wenn man so will, auch ein bisschen vom Faschismus handelt, weil er sozusagen die Vorgeschichte erzählt. Das ist auch ein Film, der wird bleiben, und man kann dann streiten, ist es ein deutscher Film wegen der vielen deutschen Schauspieler. Andererseits zeigt Haneke, wie Tarantino übrigens, was man mit diesen Schauspielern machen kann und was das deutsche Kino eigentlich noch nie so mit denen gemacht hat. Also die kommen da auf ganz neue Höhen und zeigen ganz neue Facetten, die man vorher nicht gesehen hat. Es gab einen anderen Film, der ist leider kleiner gestartet und ein bisschen untergegangen, deswegen müssen wir ihn hier erwähnen: "Revanche" von Götz Spielmann. Das ist eine Geschichte über einen Menschen, der einen Banküberfall aus Not vollzieht und dessen Freundin da aus Versehen getötet wird und der sich an dem Mörder rächt. Es ist aber nicht so brutal, wie es jetzt hier klingt, sondern es ist ein ganz stiller Film. Es ist ein Film über Mut und Sehnsucht, es ist ein Film auch über das, was man auch mit dem Kino machen kann, weil er sozusagen ganz einfach ist, ganz konsequent ist und es ist ganz beeindruckendes Filmemachen.

    Müller-Ullrich: Und es gibt da eine Verbindung zu Haneke: Spielmann, Götz Spielmann, den Sie erwähnt haben, sind beide Österreicher.

    Suchsland: Es sind beide Österreicher, genau.

    Müller-Ullrich: Ist das eine österreichische Handschrift, dieses Stille, Melancholische?

    Suchsland: Ja, ich glaube, die österreichische Handschrift ist vor allem das genaue Hingucken, das Nichtwegschauen. Also mir kommt das so vor, dass das deutsche Kino immer so ein bisschen schönfärbt, dass das deutsche Kino auch keinen Mut hat, Schmutz zu zeigen, also mit Ausnahme natürlich Oskar Roehler oder Fatih Akin zeigen schon Schmutz. Aber zum Beispiel ein sehr, sehr guter deutscher Film, "Alle Anderen" von Maren Ade, das ist eine Liebesgeschichte, ein Paar im Urlaub, aber das ist doch, finde ich, auch ein so ein bisschen Mittelstandsfilm. Also es ist sehr sauber, es tut nicht wirklich weh, und ich glaube, wenn man von Gefühlen handelt, dann kann das wunderschön sein, aber manchmal tut es eben auch weh. Und das macht "Revanche" dann schon besser.

    Müller-Ullrich: Das ist ungefähr die Bandbreite zwischen Tarantino auf der einen Seite und Haneke auf der anderen. Lässt sich der Rest einordnen, ja?

    Suchsland: Ja, man kann sagen, es war sicherlich ein ganz gutes Jahr. Aus Deutschland kamen nicht so viele Spielfilme, also bis auf das übliche Massenkino wie die Til-Schweiger-Filme, aber es kamen recht gute Dokumentationen, einige historische Dokumentationen. An "Die Anwälte" über diese linken Anwälte der 68er-Zeit kann man denken. Ansonsten ist Hollywood wieder so ein bisschen zurückgekommen mit eigentlich sehr überraschenden Filmen. "Revolutionary Road", auf Deutsch "Zeiten des Aufruhrs", von Sam Mendes war ein ganz toller Film, der dieses Traumpaar Kate Winslet und Leonardo DiCaprio nach "Titanic" wieder zusammengeführt hat. Es gab endlich mal einen gelungenen Irakkriegsfilm von Catherine Bigelow, der hieß "The Hurt Locker" oder "Tödliches Kommando" auf Deutsch. Und es gab natürlich – das ist nicht so richtig ein Hollywoodfilm – "Slumdog Millionaire". Einerseits ein Gute-Laune-Film aus Indien, andererseits dann schon ein Film, der wahnsinnig viel zeigt von diesem Land und der auch so eine ganz eigene Stimmung hat, also eben nicht so diese übliche Hollywooddramaturgie.

    Müller-Ullrich: Gab es einen Film, Rüdiger Suchsland, um mein Cetero Censeo wieder aufzunehmen, der ohne Gewaltexzesse auskam, ohne Ströme von Blut und spritzenden Organen, kaputten Körpern, Leiber, die Leichen werden, und der trotzdem sehr gut war?

    Suchsland: Ich habe ja schon "Das weiße Band" erwähnt, ich habe "Revanche" erwähnt, und wen man unbedingt auch erwähnen muss, das ist "Love Exposure", ein Liebesfilm, vier Stunden lang, aus Japan, der kommt jetzt bald auf DVD raus, und weil den nur ganz wenige Leute gesehen haben, sollten Sie die DVD kaufen.

    Müller-Ullrich: Eine Empfehlung von Rüdiger Suchsland als Resümee des Kinojahres 2009.