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Zwischen Kunst und Illegalität

"Die künstlerische Tat rechtfertigt, wenn sie gelungen ist, auch die Illegalität", meint der als "Sprayer von Zürich" bekannte Graffiti-Künstler Harald Nägeli. Nach einem spektakulären Modellprozess 1981 verurteilt, siedelte er ins Rheinland um und stellt nun in Hilden erstmals auch sein grafisches Werk umfassend aus.

Von Peter Backof | 17.09.2012
    "Die Sprühdose schießt die Farbe, das heißt die Farbpartikel, auf den Träger. Und die weiche Linie entsteht dadurch, dass die Farbe sich verteilt nach einer Richtung, der Bewegungsrichtung des Armes, und dann gibt es eine Verdichtung der Linie in der Mitte, und dadurch entsteht diese weiche, schöne Linie."

    Harald Nägeli hat eine ganz ruhige, überlegte Art zu sein – und zu sprayen. Ob er ein Graffito an einer Häuserwand anbringt oder im Atelier an einer Radierung arbeitet, das ist für ihn, was das Handwerkliche angeht, gar kein großer Unterschied.

    "Ich bin Zeichner! Also die Sprayer von heute, die jungen Leute, die machen Wandmalerei, also flächenhafte Sachen. Die sind mir zu langatmig. Also ich benutze lieber nur dieses archaische Mittel der Linie. Ich sehe also meine Arbeiten in der Tradition der ganz frühen Felsenzeichnung. Die sind auch linear und die haben auch nicht diesen kommerziellen Anspruch – und auch nicht diesen 'Fame' – die sagen ja, die wollen 'Fame' machen oder dergleichen."

    "Fame", Ruhm und "Street Credibility" müssten die jungen Leute heute Harald Nägeli aber zugestehen, saß er doch wegen Sprayens im Gefängnis ein und hinterlässt seit den späten 1970ern seine markanten Zeichen auf Häuserwänden: Strichmännchen und abstrakte Figurationen, die - im Vergleich zu den Myriaden anderer Graffiti vorsichtig und schüchtern wirken wie eine feinfühlige Zeichnung.

    Die Ausstellung im Kunstraum Gewerbepark-Süd zeigt parallel Fotos von Graffiti: Historische Fotos, denn manche Graffiti sind inzwischen verschwunden, und - im Atelier oder unterwegs mit Zeichenblock - entstandene Zeichnungen und Radierungen.

    "Dann habe ich darüber nachgedacht, über diese Partikelstreuung, und dann bin ich auf diese Konzeption der 'Urwolke' gekommen. Die sehen Sie hier. Die Urwolke ist bislang eine unendliche Zeichnung. Die besteht aus Millionen kleiner Partikel. Die sind verteilt auf bislang vier- bis fünfhundert Blätter von 75 mal 108 Zentimeter."
    Davon sind, neben kleineren Zeichnungen, zwei Dutzend ausgestellt. Die Blätter erinnern an unendlich sich überlagernde Vogelfußspuren im Schnee.

    "Ja, oder ein Mückenschwarm oder auch ein Sternenhimmel."

    Eine Galaxie: die Milchstraße. Oder - um ins Schweizerdeutsch zu verfallen – wie lauter kleine Nägeli.

    "Fingerabdruck oder Gehirnmasse. Es gibt vielfältige Assoziationen."

    Es ist aber ein abstraktes Gesamtkunstwerk, an dem Harald Nägeli, wie er sagt, bis zu seinem Tod arbeiten wird. Freimütig erzählt er, dass seine Motivation, Künstler zu werden, von seiner Herkunft rühre: Sohn eines schwerreichen Schweizer Psychiaters und Parapsychologen und einer norwegischen Künstlerin. Da habe es Potenzial gegeben für: "Konflikt und Versöhnung." Er sieht sich in der Tradition der klassischen Moderne - Paul Klee, Kurt Schwitters - Sprayen ist: Zeichnen mit anderen, aktuellen Mitteln.

    "Die Höhlenzeichner, die hatten auch einen ganz anderen Hintergrund: Ein magischer Vorgang, Gefahren zu bannen. Es ging da sicher nicht darum, Werbung zu machen oder Werbung zu bekämpfen. Es geht sehr viel tiefer in die ursprünglichen menschlichen Bedürfnisse oder Ängste, während, also: Bei der aktuellen Street Art sind da ganz andere Vorgaben und Absichten."

    "Das ist auf die Gebäude von Polizeipräsidium, in Düsseldorf."

    Sagt der aus Rumänien stammende Peter Weisner über eines seiner rund zwanzig Fotos, von der Straße. Er ist seit Jahrzehnten mit Nägeli befreundet und "sammelt" seine Werke, indem er sie fotografiert.

    "Nee, existiert nicht mehr – und ich hab das so fotografiert, mich hat da so beeindruckt. Das Foto ist in der Zeit gemacht, wo wir uns aufgeregt haben, dass einige Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten möchten."

    Mitte der Neunziger. Man sieht: eine Art Gaunerzinken – und davor eine reale Muslimin, die einen Kinderwagen schiebt. Ein anderes Foto zeigt einen Pfeiler aus Sichtbeton. Darauf ein jubelndes Strich-Frauchen. Durch die nach oben gereckten Arme trägt sie die ganze Statik dieser Architektur, könnte man auch interpretieren. Kleine humanitäre Zeichen sind das, ganz bewusst an exponierte Stellen gesetzt. Immer linear und nicht plakativ in der Fläche gekleistert, wie von anderen Graffiti-Artisten. Ob und wie er nach wie vor sprayt? - natürlich stellt sich auch Harald Nägeli die Graffiti-Gretchenfrage: Kunst, Schmiererei oder Sachbeschädigung?

    "Ja, das ist schwierig zu beantworten. Es ist ein Tabu. Der öffentliche Raum ist tabuisiert. Man kann auch sagen: Alles, was öffentlich ist, gehört auch mir. Also hab ich auch ein Recht! Meine Hauptargumentation ist aber – illegal oder nicht – ist die Qualität, das heißt, es findet eine Bereicherung statt, weil diese Figur entstanden ist. Die Tat, die künstlerische Tat, rechtfertigt, wenn sie gelungen ist, auch die Illegalität."