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Zwischen Nahrungsmittel und Medikament

"Normalisiert die Darmfunktion", so die Eigenwerbung auf dem probiotischen Milchdrink. Eine stärker auf die krankheitsvorbeugenden Eigenschaften des angereicherten Lebensmittels bezogene Werbung ist in der EU bislang untersagt. Die Arbeitsgruppe der Europäischen Akademie empfiehlt, gesundheitsbezogene Aussagen zuzulassen. Damit wird es allerdings, so Doris Schröder, Expertin für die ethische Bewertung, für traditionell gesunde Lebensmittel wie Obst oder Gemüse schwieriger, sich auf dem Markt zu behaupten.

Von Anke Petermann |
    Diese Art von aufgedruckten Informationen wird man natürlich auf einem Apfel oder einer Tomate nicht finden. Das wird dann die ethische Konsequenz haben, dass diese traditionelle gesunden Lebensmittel benachteiligt werden im Markt, wenn Konsumenten sich darauf konzentrieren, funktionelle Lebensmittel kaufen zu wollen.

    Und das tun sie bereits: weltweit wurden mit funktionellen Lebensmitteln im vergangenen Jahr 25 Milliarden Euro umgesetzt, schätzen Experten. Und das, obwohl diese Arznei-Nahrung das drei bis vier mal so viel kostet wie herkömmliche Lebensmittel und ihre Wirkung eher selten wissenschaftlich untermauert ist. Das aber sollte man von Lebensmitteln fordern, die sich als funktionell bezeichnen dürfen, meinen die Wissenschaftler der Europäischen Akademie. Was allerdings Obst- und Gemüseerzeuger wiederum benachteiligen könnte, denn welcher Obsterzeuger ist schon in der Lage, den wissenschaftlichen Nachweis für die Volksweisheit zu finanzieren, die da sagt dass täglicher Apfelverzehr den Arztbesuch erübrigt. Ein großer Lebensmittelkonzern hat dagegen die Mittel, um zu belegen, dass Phytosterol in der Margarine den Cholesterinspiegel senkt und damit das Risiko mindert, am Herzen zu erkranken. Gerhard Rechkemmer, Professor für Biofunktionalität der Lebensmittel von der Technischen Universität München:

    Das ist genau der Grund dafür, dass die Arbeitsgruppe gefordert hat, dass solche Studien durch öffentliche Mittel zu erbringen sind , um damit der Monopolstellung der großen Konzerne etwas entgegen setzen zu können.

    Indem jedoch die Projektgruppe dafür plädiert, die "Entwicklung" gesunder Lebensmittel finanziell zu fördern und funktionelle Lebensmittel bei nachgewiesener Wirksamkeit bedürftigen Risikogruppen sogar zu verordnen und damit zu bezahlen, erweckt sie den Eindruck, sich zugunsten der synthetischen Nahrung zu positionieren. Gerhard Rechkemmer will nicht nur die gesunde Ernährung mit Obst und Gemüse durch öffentliche Kampagnen staatlich unterstützt wissen, sondern auch die sachgemäße Anwendung der neuartigen Nahrungsmittel ...

    ... durch Aufklärungsschriften, durch die Verbraucherzentralen, durch Öffentlichkeitsarbeit auf verschiedenen Ebenen.

    Doch den Verbraucherzentralen liegt nichts ferner, als sich in eine Öffentlichkeitsarbeit zugunsten von synthetischen Lebensmitteln mit pharmakologischer Wirkung einbinden zu lassen. Waltraud Fesser von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz betont,

    ... dass wir heute durchaus in der Lage sind, uns mit normalen und natürlichen Lebensmitteln ausreichend und gesund und fit zu ernähren und dafür eigentlich weniger Geld ausgeben müssen als für spezielle Produkte, mit denen wir uns vielleicht vorgaukeln, dass wir uns was Gutes tun.

    Die Ernährungsexpertin befürchtet, dass funktionelle Lebensmittel für viele Konsumenten eine Alibifunktion übernehmen könnten, nach dem Motto‚ cholesterinsenkende Margarine am Morgen lässt die Sahnetorte am Nachmittag mit besserem Gewissen schlemmen.

    Eine Förderung im Rahmen von Gesundheitskonzepten kann in meinen Augen nur eine ganzheitliche sein, d.h., ich muss verschiedene Aspekte beleuchten, nicht nur Ernährung, sondern den gesamten Lebensstil, einen wichtigen Part spielt auch die Bewegung. Und für mich kommt überhaupt nicht in Frage, dass man die Entwicklung bestimmter Produkte staatlich fördert, das muss die Industrie, wenn sie von ihren Produkten überzeugt ist, schon selbst in die Hand nehmen, und das tut sie ja auch heute schon mit entsprechender Werbung. Im Gegenteil, man muss, denke ich, eine gewisse Reglementierung bringen, um unzulässige und nicht wahrheitsgemäße Aussagen zu unterbinden.