Katja Lückert: Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen träumt man zurzeit von Amerika, einem Land, in dem es, so hatte es einst Walt Withman in Lyrik gekleidet, zwar keinen Voltaire und keinen Shakespeare, aber dafür unzählige freie Menschen gebe. Wie frei sie zuweilen wirklich sind, zeigt Eugene O’Neills in Stücken wie "Der Mond für die Beladenen", ein Stück über bettelarme Farmer irgendwo in Connecticut. Aber es gibt auch völlig anderes, etwa die Arbeit der Schauspielerin Cate Blanchett, die in Sydney das wichtigste Theater Australiens leitet und nun auch in Recklinghausen als Regisseurin in Erscheinung getreten ist und Fritzi Haberlandt, die Anna Karenina spielt. Stefan Keim, wir wollen ein wenig die ersten zwei Wochen der Ruhrfestspiele Revue passieren lassen. Vier liegen ja noch vor uns. Anna Karenina kommt aber nicht aus Amerika. Wie passt Armin Petras Stück ins Konzept?
Stefan Keim: Na ja, so richtig ernst nehmen die das Konzept dann doch nicht. Die haben so ein bisschen augenzwinkernd argumentiert, Anna Karenina ist den meisten Leuten, die jetzt nicht unbedingt so einen 1000-Seiten-Roman lesen wollen, doch bekannt durch die Verfilmung mit Greta Garbo und vielleicht einigen anderen amerikanischen Hollywood-Varianten. Aber es bezieht sich natürlich auf den Roman an sich, den Armin Petras auf eine sehr interessante Weise dramatisiert hat. Der hat die Dialoge sehr kurz gefasst und alle Figuren, Anna Karenina, der Rittmeister Wronski, und wen es da so alles gibt, die treten immer wieder aus sich heraus und sprechen von sich in der dritten Person, aber auch von anderen. Das heißt, es findet ein ständiger Perspektivwechsel statt. Jeder Spieler ist gleichzeitig auch ein Erzähler. Und das Ganze dann in einem sehr hohen, steilen Bühnenbild von Stephane Laimé. Der hat da so verschiedene Kästen aufeinandergestapelt. Es sieht aus wie in riesiges Hochhaus, von dem so einzelne Zimmer total eng sind, andere wieder etwas weiter. Und das hat den großen Vorteil, dass man das große Personal dieses Romans, das allerdings auch sehr sinnvoll verknappt ist, dass man aber diese verschiedenen Menschen auch parallel beobachten kann, und die können auch reagieren darauf, was die anderen eigentlich gerade in einem anderen Zimmer tun.
Lückert: Und wie macht sich die junge Fritzi Haberlandt in so einer schweren Rollenrobe. Sie haben da Ihre Vorgängerin schon erwähnt?
Keim: Ach, sie spielt eigentlich, Fritzi Haberlandt, wie wir sie von vielen anderen Stücken von oder Inszenierungen von Armin Petras auch kennen. Sie ist so ein bisschen so eine Göre, sie changiert sehr zwischen Albernheit und dann doch wieder Tiefe und Verzweifelung. Das macht sie sehr, sehr schön. Am Schluss hat sie wirklich einen fulminanten Monolog, wo sie dann den Weg Anna Kareninas in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord sehr gut zusammenfasst. Für mich die Sensation war aber Milan Peschel als Wronski. Den kann man sich ja sonst normalerweise so als vielleicht diesen Beau, diesen Schönling, diesen Verführer gar nicht so vorstellen. Aber das macht er mit einer sehr rotzigen und unglaublich spielerischen Art. An dem hatte ich einen großen Spaß. Es ist ein sehr schöner Abend, tolle Schauspieler, wie beim Regisseur Jan Bosse doch meistens.
Lückert: Sprechen wir auch über die Inszenierungsarbeit von Cate Blanchett. Was ist das für ein Stück "Blackbird"?
Keim: "Blackbird", das ist ein richtig schwieriges Stück. Und das finde ich auch interessant. Denn die Ruhrfestspiele sind ja ein Festival, die werben immer sehr mit Stars. Gleich am Anfang waren Kevin Spacey, Jeff Goldblum zu sehen.
Lückert: Publikumsnähe.
Keim: Publikumsnähe, natürlich auch Sponsorennähe, denn der große Sponsor möchte sich auch gerne mit dem noch größeren Stars aus Hollywood fotografieren lassen. Und am Anfang gab es eben dieses, Kevin Spacey und Jeff Goldblum, das waren wirklich Leute in so einer Satire von David Mamet, die tragen ihr Starsein auf eine sympathische und auch selbstironische Weise. Aber die tragen ihr Starsein sehr vor sich her. Cate Blancett, das genaue Gegenteil. Die hat ein ganz kleines Stück genommen, so ein richtig kleines Kammerspiel. Ein älterer Mann, eine jüngere Frau, die sich nach vielen Jahren wiedersehen, er war mit ihr zusammen, als sie noch minderjährig war. Es geht um sexuellen Missbrauch auch.
Lückert: Sie war zwölf, las ich.
Keim: Ja, sie war zwölf, genau. Und es geht um sexuellen Missbrauch. Es geht darum, wie die beiden sich wiedertreffen, wie auch wieder so etwas, und da wird es auch sehr politisch inkorrekt und spannend, wie auch wieder so etwas wie erotisches Begehren auch von ihrer Seite entsteht, eine Bühne mit Müll übersät, die Zuschauer sitzen auf beiden Seiten. Und es ist wirklich ein sehr intensives Kammerspiel, ganz ohne jeden Glamour, das könnte man in jeder Garage spielen. Und Cate Blanchett war auch selber da. Und da merkt man wirklich, das ist eine Theaterbesessene. Der geht es überhaupt nicht um Starsein, sondern mit ihrer Sydney Theatre Company versucht sie sich wirklich Themen zu stellen und aktuelle und auch dreckige Dramatik zu zeigen.
Lückert: Jetzt haben Sie noch genau eine Minute, um über O’Neills Stück noch ein paar Worte zu verlieren. "Der Mond für die Beladenen", eine ungewöhnliche Liebesgeschichte auch?
Keim: Eines sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte. Und das Schöne daran ist, dass Frank Hoffmann eben doch, das ist der Intendant der Ruhrfestspiele nicht nur aufs völlig Populäre setzt, sondern auch so eine etwas sperriges Stück ansetzt. Ein sehr poetisches Stück, allerdings um das abzufedern, hatte er auch hier wieder Stars dabei. August Diehl spielt einen jungen Mann, so einen dieser typischen amerikanischen Verlierer, einen Säufer voller Selbsthass und Selbstekel angefüllt, der so in einer seltsamen Mondnacht mit einer rabiaten Bauersfrau ja so eine Art besondere Liebe, so eine Art Erlösung sucht. Das Problem ist nur, dass er seine Ehefrau mitgebracht hat, Julia Malik, und die spielt diese Frau in einer wirklich schon unerträglich chargierende Art und Weise, ohne jede Zwischentöne. Und da ist dann ja der große künstlerische Höhenflug doch teilweise deutlich auf den Boden der Tatsachen gelandet.
Lückert: Stefan Keim, danke für diesen sehr flotten Parcours. Er gab erste Einblicke ins Theatergeschehen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen.
Stefan Keim: Na ja, so richtig ernst nehmen die das Konzept dann doch nicht. Die haben so ein bisschen augenzwinkernd argumentiert, Anna Karenina ist den meisten Leuten, die jetzt nicht unbedingt so einen 1000-Seiten-Roman lesen wollen, doch bekannt durch die Verfilmung mit Greta Garbo und vielleicht einigen anderen amerikanischen Hollywood-Varianten. Aber es bezieht sich natürlich auf den Roman an sich, den Armin Petras auf eine sehr interessante Weise dramatisiert hat. Der hat die Dialoge sehr kurz gefasst und alle Figuren, Anna Karenina, der Rittmeister Wronski, und wen es da so alles gibt, die treten immer wieder aus sich heraus und sprechen von sich in der dritten Person, aber auch von anderen. Das heißt, es findet ein ständiger Perspektivwechsel statt. Jeder Spieler ist gleichzeitig auch ein Erzähler. Und das Ganze dann in einem sehr hohen, steilen Bühnenbild von Stephane Laimé. Der hat da so verschiedene Kästen aufeinandergestapelt. Es sieht aus wie in riesiges Hochhaus, von dem so einzelne Zimmer total eng sind, andere wieder etwas weiter. Und das hat den großen Vorteil, dass man das große Personal dieses Romans, das allerdings auch sehr sinnvoll verknappt ist, dass man aber diese verschiedenen Menschen auch parallel beobachten kann, und die können auch reagieren darauf, was die anderen eigentlich gerade in einem anderen Zimmer tun.
Lückert: Und wie macht sich die junge Fritzi Haberlandt in so einer schweren Rollenrobe. Sie haben da Ihre Vorgängerin schon erwähnt?
Keim: Ach, sie spielt eigentlich, Fritzi Haberlandt, wie wir sie von vielen anderen Stücken von oder Inszenierungen von Armin Petras auch kennen. Sie ist so ein bisschen so eine Göre, sie changiert sehr zwischen Albernheit und dann doch wieder Tiefe und Verzweifelung. Das macht sie sehr, sehr schön. Am Schluss hat sie wirklich einen fulminanten Monolog, wo sie dann den Weg Anna Kareninas in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord sehr gut zusammenfasst. Für mich die Sensation war aber Milan Peschel als Wronski. Den kann man sich ja sonst normalerweise so als vielleicht diesen Beau, diesen Schönling, diesen Verführer gar nicht so vorstellen. Aber das macht er mit einer sehr rotzigen und unglaublich spielerischen Art. An dem hatte ich einen großen Spaß. Es ist ein sehr schöner Abend, tolle Schauspieler, wie beim Regisseur Jan Bosse doch meistens.
Lückert: Sprechen wir auch über die Inszenierungsarbeit von Cate Blanchett. Was ist das für ein Stück "Blackbird"?
Keim: "Blackbird", das ist ein richtig schwieriges Stück. Und das finde ich auch interessant. Denn die Ruhrfestspiele sind ja ein Festival, die werben immer sehr mit Stars. Gleich am Anfang waren Kevin Spacey, Jeff Goldblum zu sehen.
Lückert: Publikumsnähe.
Keim: Publikumsnähe, natürlich auch Sponsorennähe, denn der große Sponsor möchte sich auch gerne mit dem noch größeren Stars aus Hollywood fotografieren lassen. Und am Anfang gab es eben dieses, Kevin Spacey und Jeff Goldblum, das waren wirklich Leute in so einer Satire von David Mamet, die tragen ihr Starsein auf eine sympathische und auch selbstironische Weise. Aber die tragen ihr Starsein sehr vor sich her. Cate Blancett, das genaue Gegenteil. Die hat ein ganz kleines Stück genommen, so ein richtig kleines Kammerspiel. Ein älterer Mann, eine jüngere Frau, die sich nach vielen Jahren wiedersehen, er war mit ihr zusammen, als sie noch minderjährig war. Es geht um sexuellen Missbrauch auch.
Lückert: Sie war zwölf, las ich.
Keim: Ja, sie war zwölf, genau. Und es geht um sexuellen Missbrauch. Es geht darum, wie die beiden sich wiedertreffen, wie auch wieder so etwas, und da wird es auch sehr politisch inkorrekt und spannend, wie auch wieder so etwas wie erotisches Begehren auch von ihrer Seite entsteht, eine Bühne mit Müll übersät, die Zuschauer sitzen auf beiden Seiten. Und es ist wirklich ein sehr intensives Kammerspiel, ganz ohne jeden Glamour, das könnte man in jeder Garage spielen. Und Cate Blanchett war auch selber da. Und da merkt man wirklich, das ist eine Theaterbesessene. Der geht es überhaupt nicht um Starsein, sondern mit ihrer Sydney Theatre Company versucht sie sich wirklich Themen zu stellen und aktuelle und auch dreckige Dramatik zu zeigen.
Lückert: Jetzt haben Sie noch genau eine Minute, um über O’Neills Stück noch ein paar Worte zu verlieren. "Der Mond für die Beladenen", eine ungewöhnliche Liebesgeschichte auch?
Keim: Eines sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte. Und das Schöne daran ist, dass Frank Hoffmann eben doch, das ist der Intendant der Ruhrfestspiele nicht nur aufs völlig Populäre setzt, sondern auch so eine etwas sperriges Stück ansetzt. Ein sehr poetisches Stück, allerdings um das abzufedern, hatte er auch hier wieder Stars dabei. August Diehl spielt einen jungen Mann, so einen dieser typischen amerikanischen Verlierer, einen Säufer voller Selbsthass und Selbstekel angefüllt, der so in einer seltsamen Mondnacht mit einer rabiaten Bauersfrau ja so eine Art besondere Liebe, so eine Art Erlösung sucht. Das Problem ist nur, dass er seine Ehefrau mitgebracht hat, Julia Malik, und die spielt diese Frau in einer wirklich schon unerträglich chargierende Art und Weise, ohne jede Zwischentöne. Und da ist dann ja der große künstlerische Höhenflug doch teilweise deutlich auf den Boden der Tatsachen gelandet.
Lückert: Stefan Keim, danke für diesen sehr flotten Parcours. Er gab erste Einblicke ins Theatergeschehen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen.