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Zwischen Tradition und Moderne

Die algerischen Frauen gelten als besonders modern und emanzipiert. Pilotinnen oder Polizistinnen, die souverän den Straßenverkehr in Algier regeln, sind nichts Außergewöhnliches. Und dennoch: Die Algerierinnen leben zwischen Tradition und Moderne, und in dem muslimischen Land tragen sie bisweilen schwer am Einfluss der Religion.

Von Martina Zimmermann | 22.07.2006
    Festtagsstimmung in Biskra: heute wird das Festival des Saharatourismus gefeiert. Die 180.000-Einwohner-Stadt liegt rund 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier, am Rand der Saharawüste. Normalerweise unterrichtet die 25-jährige Salima hier an der Universität Englisch. Aber während des Tourismusfestivals kümmert sich die junge Frau mit dem tugendhaften Kopftuch um die ausländischen Gäste. Als Salima Kind war, kamen viele Touristen nach Biskra, doch seit dem Terrorjahrzehnt in den 90er Jahren hat das stark nachgelassen. Wie alle jungen Algerier dürstet es Salima danach, die Welt und ihre Menschen kennen zu lernen. Gerne hätte sie in Frankreich studiert:

    "Ich bin die Jüngste zu Hause, und meine Mutter wollte nicht, dass ich weggehe. Mein Bruder lebt bereits in Paris. Sie will nicht, dass wir beide außer Haus sind. … Ich will meine Familie nicht für immer im Stich lassen. Aber wir haben Zeit, wir wollen ein besseres Leben. Wir warten."

    Salima lebt bei ihrer Familie, wie alle ledigen Algerierinnen und Algerier. Kadija ebenfalls, obwohl sie weit über 30 sein dürfte. Sie stammt aus El Oued, einem anderen Ort im Süden. Sie verkauft im Dorf die selbst gewebten Kissen und Schals, die sie gemeinsam mit sieben anderen Frauen herstellt. Umgerechnet rund 15 Euro kosten die Textilien aus reiner Schafswolle mit Berbermotiven. Die anderen Frauen sprechen nur arabisch. Kadija kann ein bisschen französisch, lässt sich aber von Salima helfen:

    "Sie sucht noch den idealen Partner. Sie hat ihn noch nicht gefunden. Es gibt zwar genügend Männer, aber auch sie haben Gründe, ledig zu bleiben: kein Geld, keine feste Arbeit... Es sind vor allem materielle Gründe, sonst würde jeder heiraten wollen. Früher oder später brauchen wir einen Ehemann. Wann, wird die Zukunft zeigen."

    Das Hochzeitsalter ist in Algerien in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Folge: Die Geburtenzahlen sind rückläufig. Waren es früher im Schnitt noch sieben Kinder pro Familie, so sind es heute nur noch 3,3.

    Szenenwechsel. In der Diskothek "Pachaclub"im Hotel Djazair im Zentrum von Algier herrscht reger Betrieb. Hier trifft sich die "jeunesse dorée": junge Leute, die es sich leisten können für einen Drink fünf Euro auszugeben. Er wird kräftig getanzt und geflirtet.

    "Die jungen Algerier sind Männer, die eine gewisse sexuelle Freiheit haben wollen. Solange einer ledig ist, nimmt er alle Mädchen, die er kriegen kann. Aber wenn er heiraten will, möchte er eine Jungfrau! Für mich ist das ein Widerspruch."

    Die 38-jährige Fella ist Journalistin und selbstbewusst: Während der Jahre des Terrors, als die Fundamentalisten Frauen ohne Schleier bedrohten, ließ sie sich nicht davon einschüchtern und trug weiter ihren Minirock. Sie sei eben eine Rebellin, meint die Algerierin.

    "Mit 38 ledig zu sein, ist in Algerien schlecht angesehen. Selbst in Algier. Man glaubt, die Hauptstadt ist kosmopolitisch, aber die Mentalitäten sind nicht so. Die Hochzeit ist für uns eine Institution, für den Mann wie für die Frau, und die Leute möchten, dass alle in diesem Rahmen leben. Ich erkenne mich darin nicht. Wenn ich eines Tages heirate, dann weil ich einen Mann gefunden habe, den ich liebe und mit dem ich mich verstehe."

    Dass Präsident Bouteflika endlich sein Wahlversprechen wahr gemacht hat und das Familiengesetz, den "code de la famille", reformierte, geht Fella nicht weit genug. Denn nun kann eine Frau zwar ohne die Erlaubnis ihres Vaters oder eines Vormunds heiraten, doch die Polygamie ist weiterhin erlaubt:

    "Die Polygamie bleibt, aber die ersten Ehefrauen müssen einverstanden sein. Immerhin kann ein algerischer Mann vier Frauen haben. Das Problem ist die Interpretation und die Umsetzung. Ein anderer Artikel besagt, dass im Scheidungsfall ein Junge bis zwölf Jahre Anspruch auf Unterhalt hat. Aber mit zwölf ist er noch ein Kind. Diesen Gesetzesartikel müsste man ändern. Denn wenn der Vater nicht mehr Unterhalt bezahlt und die Mutter mit einem anderen Mann lebt, könnte der das Kind mit zwölf vor die Tür setzen.
    Der Unterhalt für Mädchen geht entweder bis zur Volljährigkeit oder bis zur Heirat. Und mit 18 will sie jeder verheiraten, weil sie dann wieder eine Belastung wird. Diese Artikel müsste man ändern, denn sie sind am schädlichsten."

    Auch Salima und Kadija begrüßen das Gesetz, das im letzten Jahr endlich verabschiedet wurde.

    "Klar finden wir das gut, denn das gibt den Frauen mehr Rechte als früher. Es gibt Fälle von Scheidungen, wo die Frauen gar nichts haben, keine Wohnung, keine Alimente für die Kinder. Das hat sich nun geändert. Das ist heute besser."

    "Die Idee des Gesetzes gefällt uns, wie es umgesetzt wird, wissen wir noch nicht."

    Im Falle einer Scheidung behalten Frau und Kinder künftig die Wohnung. Damit dürfte es weniger Bettlerinnen geben, die, manchmal mit Kleinkindern, in der Straße leben. Diese verhüllen sich aus Scham, tragen Schleier oder den Haik, das traditionelle helle Tuch, das die Frauen über Kopf und Schultern schlagen. In Algier ist die Mehrheit der Frauen westlich gekleidet, hier regeln Polizistinnen den Verkehr, nur ältere Frauen sieht man ab und zu mit dem Haik, und junge Mädchen immer öfter mit dem muslimischen Kopftuch. Ob mit Kopftuch oder im Minirock: In Algerien kümmern sich nach wie vor die Frauen um Haus und Kinder, kochen für Mann und Gäste. Und sie haben dabei auch noch ein Lächeln auf den Lippen!