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Zwischen Trauma und Hoffnung

Ein gewaltsamer Aufstand im Norden, ein Putsch in der Hauptstadt, die Invasion der Islamisten und die Militärintervention des Westens - seit Anfang 2012 folgt in Mali eine Krise auf die nächste. Am 28. Juli sollen jetzt Wahlen stattfinden.

Von Alexander Göbel | 27.07.2013
    Am Rande des Marktes von Gao stehen Frauen in bunten Kleidern dicht gedrängt vor einem großen rostigen Metalltor. Viele von ihnen tragen schreiende Babys auf dem Rücken. Eine Hilfsorganisation verteilt Milchpulver. Die Stimmung ist angespannt: Wer zu spät kommt, muss wieder eine Woche warten.

    Gleich nebenan noch größere Warteschlangen – vor einem Lkw. Der Kühltransporter kommt aus dem benachbarten Niger und hat Eisblöcke geladen. Eis, mit dem normalerweise Fisch gekühlt wird. Eis sei das neue Gold Gaos geworden, schimpft Housseini Maiga. Das Kilo wird für den Wucherpreis von fast einem Euro verkauft.

    "Es fehlt am Allernötigsten – und wenn man kein Wasser und keinen Strom hat, dann ist das Leben besonders schwer, vor allem bei dieser Hitze. Hier verderben alle Lebensmittel sofort, wenn sie nicht gekühlt werden können."

    Kein Wasser, kein Strom, das Ganze bei 45 Grad: Ramadan 2013 in Gao, der erste Fastenmonat nach der Schreckensherrschaft der "Idioten": So nennt Housseini Maiga die Dschihadisten. Fast ein Jahr lang haben sie in Gao gewütet und vergewaltigt, Menschen Hände und Füße abgehackt und gemordet – im Namen der Scharia. Dann kamen die Befreier, französische Spezialeinheiten und afrikanische Truppen. Bei den Gefechten wurden viele Gebäude zu Ruinen zerbombt. Bis heute funktioniert so gut wie nichts in Gao, die Innenstadt ist übersät Einschusslöchern. Viele davon sind derzeit mit Wahlplakaten zugeklebt. Darauf überbieten sich die 27 Kandidaten der Präsidentschaftswahlen gegenseitig – sie versprechen Großes: nicht weniger als "Ehre", "Zukunft", ein "neues Gesicht für Mali" oder ganz konkret: "500.000 neue Jobs". Housseini Maiga ist begeistert:

    "Wir wollen diese Wahlen unbedingt, und wir wollen einen neuen Präsidenten. Einen, der uns endlich aus dem Dreck zieht. Ich habe allen meinen Freunden und Bekannten gesagt, dass sie wählen gehen müssen. Du wirst sehen, am Sonntag bin ich um zehn Uhr im Wahllokal – ich habe meinen Kandidaten schon ausgesucht, ich sag' Dir nicht welcher – aber ich werde für ihn stimmen!"

    Moktar Mariko, der Leiter der Unabhängigen Wahlkommission von Gao, freut sich über die Aufbruchstimmung – aber er nimmt kein Blatt vor den Mund: Von den Kandidaten hält er nichts, denn sie gehören allesamt zum politischen Establishment Malis – und das hat keinen guten Ruf. Für Moktar Mariko kommt diese Wahl zu früh – und ist seiner Meinung nach von der internationalen Gemeinschaft diktiert, damit die zugesagten Hilfsgelder für Mali fließen können. Die Gefahr von Terroranschlägen sei aber noch lange nicht gebannt, außerdem schüchtere die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA in Städten wie Kidal oder Aguelhok gezielt Wähler ein – UN-Blauhelme müssten gemeinsam mit der malischen Armee und französischen Soldaten für Sicherheit sorgen. Und überhaupt: Mali sei überfordert mit der Logistik.

    "Ganz klar: Die Malier müssen einen neuen Präsidenten wählen, damit aus Mali bald wieder ein funktionierender Staat wird. Aber ich mache mir große Sorgen, dass wir jetzt wählen sollen, weil die Wahl schlecht vorbereitet ist – viele Menschen haben ihre Wählerkarte eben nicht, es gab viel Chaos bei der Organisation, in manchen Dörfern ist nur ein einziger Wähler registriert! Und da frage ich mich schon, ob dieser neue Präsident wirklich vom Volk legitimiert sein wird!"

    Auf genau diesen neuen Präsidenten hoffen sie aber – auch in Gao. Und sei es nur, damit sie bald wenigstens nicht mehr in der Gluthitze anstehen müssen – für Milchpulver oder gefrorenes Wasser aus dem Nachbarland - als Kühlschrankersatz.

    Auf einen Neuanfang hofft auch Abdou Cissé. In Gao ist er nicht nur einer der beliebtesten Lehrer, sonder auch ein bekannter Musiker.

    "Man kann bis heute nicht ernsthaft behaupten, dass im Norden Malis wieder staatliche Strukturen herrschen. Deswegen sind diese Wahlen sehr wichtig. Auch für unsere Kinder. Denn sie sind die nächste Generation, und wir müssen alles tun, damit wenigstens sie es einmal besser haben. Ich hoffe, dass uns das gelingt."

    Abdou Cissé besitzt die einzige funktionierende Gitarre in Gao, eine alte rote Ibanez. Als damals die Dschihadisten kamen, hatte er Angst: Wie Alkohol und Zigaretten war damals in Gao auch Musik verboten. Abdou streicht sanft über die Gitarrensaiten.

    "Ich musste mein Instrument retten, denn ich wollte unbedingt in Gao bleiben und weiter unterrichten. Wir als Lehrer wollten die Schüler nicht im Stich lassen - wären wir geflohen, hätten diese Islamisten sie als Kindersoldaten rekrutiert. Weil ich hier gebraucht wurde, musste meine Gitarre verreisen, hätte ich sie hier behalten, hätten die Islamisten sie zerstört und ich als Musiker hätte große Probleme bekommen. Freunde haben die Gitarre gut verpackt und in einem Bus nach Bamako geschmuggelt. Als dann dieser Spuk der Islamisten hier vorbei war, habe ich sie zurückgeholt: Meine Gitarre ist wie meine Familie!"

    Jetzt spielt Cissé wieder, singt mit seinen Schülern. In den Texten geht es oft ernst zu: Cissé warnt die Kinder vor Granaten und Sprengsätzen, die seit Kriegsende in der Gegend herumliegen und arglosen Bewohnern immer wieder ihre Gliedmaßen wegreißen. Irgendwann soll in Gao endlich wieder Freude einkehren, sagt der Lehrer. Wahlen hin oder her.

    "Wir brauchen hier dringend Instrumente! Dann können wir Konzerte geben und den Menschen wenigstens etwas Gutes tun, wir können ihre Herzen zurückerobern. Sie müssen den Schmerz vergessen und die Angst. Die Leute hier sind alle schwer traumatisiert. Die Musik kann ihnen helfen, davon bin ich fest überzeugt."