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40 Jahre Wembley-Wunder

Schon vor dem letzten Spieltag der Qualifikation für die Fußball-WM 2014 steht fest: Polen ist in Brasilien nicht dabei. Nun wollen die Polen zumindest England ein Bein stellen. So wie vor fast genau 40 Jahren. Damals feierte die polnische Nationalmannschaft gewissermaßen ihr "Wunder von Wembley".

Von Diethelm Blecking |
    Am 17. Oktober 1973 spielten die Fußball-Nationalmannschaften von England und Polen im Londoner Wembleystadion 1:1. Damit qualifizierte sich Polen zum ersten Mal in der Nachkriegszeit für eine Weltmeisterschaft, und England, der Weltmeister von 1966 mit dem Startrainer Sir Alf Ramsey, war ausgeschieden. Spieler wie Tomaszewski, dann Grzegorz Lato, Robert Gadocha, Andrzej Szarmach und Kazimierz Deyna genossen anschließend Kult-Status und legten in Wembley die Grundlage für eine nationale oder internationale Karriere. Im Gedächtnis der Nation ist dieser Tag besonders bewahrt, weil der "Underdog" unter den großen Fußballnationen, die polnische Mannschaft, bei der anschließenden Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland eine überragende Rolle spielte und erst in der "Frankfurter Wasserschlacht" durch den späteren Weltmeister Deutschland gestoppt wurde. Der polnische Historiker Robert Traba hat sich wissenschaftlich mit dem Gedächtnis der Nationen, verdichtet zu Erinnerungsorten, befasst. Weshalb spielt der Sport dabei eine besondere Rolle?

    "Erinnerungsorte - das sind vor allem Emotionen und was zeigt Emotionen besser als Sport? Emotionen prägen unser Gedächtnis, das ist der Grund! Vor allem Erfolge im Sport prägen das Gedächtnis. Wir erinnern, weil wir das emotional erlebt haben!"

    Viele polnische Fußballfans können auch heute noch in Kneipengesprächen die Aufstellung der Mannschaft, die damals in London antrat, lückenlos vortragen, die Ersatzbank eingeschlossen. Robert Traba, damals 14 Jahre alt, wundert das nicht.

    "Jeder denke ich - vom Teenageralter bis zu ganz alten Leuten - muss das erinnern, das war ein Fest! Ganz Polen war leer, wenn das Fernsehen dies gezeigt hat, das war der Hochpunkt!"

    Unter den Gratulanten der ersten Stunde war nach dem Sieg in London auch der deutsche Außenminister Walter Scheel, der die polnische Mannschaft mit warmen Worten zur Weltmeisterschaft in die Bundesrepublik einlud. Die Entspannungspolitik, konkretisiert im Warschauer Vertrag von 1970, und die Wirtschaftsreformen, die den Polen höhere Reallöhne und nicht nur symbolisch mit den Lizenzen für Fiat-Autos und Coca-Cola einen höheren Lebensstandard und bessere Konsummöglichkeiten erschlossen, waren Trümpfe in der Hand der polnischen Führung, die den Sport gezielt instrumentalisierte.

    "Jeder Parteichef, jeder Staatschef will sich zeigen mit den erfolgreichen Sportlern. Das macht heute Lukaschenka und das macht Putin, das machen alle, aber das ist auch in der Demokratie nicht anders."

    Sagt der Historiker Traba. So stabilisierte auch der Erfolg im Fußball für einen Moment die krisengeschüttelte Volksrepublik.

    "Wir sagen, wir haben gewonnen, wir haben gewonnen: die Nation die Gemeinschaft, die Assoziierung des Erfolges mit dem "Wir-Gefühl" ist sehr stark und natürlich will jeder Politiker seine Wähler gewinnen und in den autoritären Staaten ist das noch stärker. Man muss sagen, das ist ein Paradox der Geschichte, aber der polnische Sport war nie so stark wie in den 60er und 70er Jahren in den Tiefen kommunistischer Zeit, in seiner Geschichte hatte der polnische Sport nie so eine erfolgreiche Epoche wie damals."