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Abgeschottetes Tibet

Meteorologie. - Alle großen Flusssysteme Asiens entspringen dem gewaltigen Bergmassiv, dass sich vom Tibetischen Hochland im Norden bis zum Himalaya im Süden und dem Karakorum im Westen erstreckt. Der Brahmaputra, der Indus und der Ganges, genauso wie der Yangtse entspringen in diesen Bergen und versorgen mehrere Milliarden Menschen mit Trinkwasser. Dementsprechend nervös untersuchen Forscher die Wasserkreisläufe in dieser Region. Auf einer Konferenz in Tübingen stellt diese Woche ein Deutsch-Chinesisches Forscherteam Ergebnisse aus dem Tibetischen Hochland vor.

Von Monika Seynsche | 23.08.2013
    Christoph Schneiders Untersuchungsgebiet ist eine bis heute geheimnisvolle Welt voller Geister, Mythen und weißer Flecken. Konkrete Messdaten vom höchsten Gebirgsplateau der Welt dagegen gibt es nur wenige.

    "Also das eine ist, die Region ist riesig. Sie ist schwer zugänglich, sie ist politisch nicht einfach zugänglich, aber sie ist auch einfach von den Landschaftsgegebenheiten enorm schwierig zugänglich. Selbst wenn wir an vielen Stellen messen könnten, würde das Messnetz immer noch viel zu dünn sein, um wirklich die Prozesse in Raum und Zeit durch Messungen aufzulösen."

    Der Geograph Christoph Schneider von der RWTH Aachen ist deshalb gemeinsam mit Kollegen von sechs verschiedenen Universitäten in Deutschland, sowie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften an einem großen Forschungsprojekt beteiligt. Mithilfe hochauflösender Computermodelle und Fernerkundungsdaten versuchen die Wissenschaftler, die geologischen, klimatischen und ökologischen Prozesse im Tibetischen Hochland besser zu verstehen.

    "Der Wasserdampftransport auf das Plateau von den Rändern her, vor allem von der Südseite her, ist sehr eingeschränkt. Und das war bisher so nicht klar, das sieht man dann besonders gut, wenn man Modelle in hoher Auflösung hat."

    Der südostasiatische Monsun bringt Feuchtigkeit vom Ozean Richtung Norden nach Indien. Wenn die feuchte, warme Luft dann die südlichen Ausläufer des Himalayas erreicht, steigt sie auf und kühlt sich dabei ab. Kalte Luft kann aber deutlich weniger Feuchtigkeit transportieren, als warme Luft. So wirkt der Himalaya mit seinen über 8000 Meter hohen Gipfeln als Barriere. Die Luftströmung kann ihn zwar überwinden, aber so gut wie keinen Wasserdampf auf das Tibetische Hochland nördlich des Himalayas bringen. Von der Idee her sei dieser Prozess nicht völlig neu, gibt Christoph Schneider zu, aber in dieser Klarheit habe man ihn bislang nicht darstellen können.

    "Und hier ist eben die Arbeit von der TU Berlin hervorzuheben, denen es gelungen ist für das gesamte Tibetplateau einen zehnjährigen Datensatz zu erzeugen von so einem Wettervorhersagesystem, das in dem Fall aber als Wetternachhersage läuft, also die letzten zehn Jahre nachmodelliert in einer 10-Kilometer-Auflösung. Und in einer 10-Kilometer-Auflösung kann man die größeren Schluchten und Talungen, die es ermöglichen, dass Wasserdampf vom Gangestiefland in Richtung Tibet transportiert wird, tatsächlich auch numerisch auflösen."

    Die Computermodelle von Schneiders Berliner Kollegen zeigen, dass durch diese Schluchten und Täler viel weniger Wasserdampf nach Tibet gelangt, als man dachte. Die bislang für solche Analysen genutzten Modelle haben eine räumliche Auflösung von 250 km. Mit ihnen lassen sich die kleinräumigen Prozesse entlang der Schluchten also gar nicht erfassen. Den neuen Modellen zufolge verfügt das Tibetische Hochland über einen kleinen, fast geschlossenen Wasserkreislauf, der weitgehend abgetrennt ist vom launischen südostasiatischen Monsun.

    "Es ist vor allem so, dass das Wasser aus den vielen Seen des tibetischen Plateaus und eben aus der Auftauschicht des Permafrost und ein Stück weit auch von den Gletscherflächen her, dass dieses lokale Wasser recycelt wird, indem es immer wieder den Weg in die Wolken - also mit dem Wasserdampfstrom nach oben kondensierend in die Wolken - und dann wieder den Niederschlagsweg zurück zur Erde nimmt."

    Bislang sei die Bedeutung dieses kleinen Wasserkreislaufs für die Wasserversorgung Tibets unterschätzt worden, meint Christoph Schneider. Im Tibetischen Hochland leben mehrere Millionen Menschen. Für sie könnte die Erkenntnis der Forscher eine gute Nachricht sein.

    "Ich würde es für die Stabilität der Geosysteme, Ökosysteme auf dem Hochland eher positiv sehen. Weil eine kleine Schwankung des großräumigen Monsuns könnte gewaltige Auswirkungen haben in weiten Teilen Südasiens und Zentralasiens."

    Wenn Tibet von diesen Schwankungen abgeschottet ist, bleiben ihm wahrscheinlich auch die im Zuge des Klimawandels vorhergesagten stärkeren Launen des südostasiatischen Monsuns erspart.