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Adaptive Optik geht ins Auge

Technik. - Einst wurde die adaptive Optik im französischen Militär waffentauglich, dann in den Großteleskopen eingesetzt, um atmosphärische Störungen zu korrigieren. Jetzt ist es die Augenheilkunde, die das Verfahren, mit biegsamen Spiegeln den Blick zu schärfen, für sich entdeckt hat. Auf der Jahrestagung der US-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften AAAS in Washington wurde dieser Fall von Wissenstransfer vorgestellt.

von Dirk Lorenzen | 18.02.2011
    "Adaptive optics provide higher angular resolution. It can correct for the atmospheric turbulence and the idea is to provide really a diffraction limit for the telescope."

    Adaptive Optik korrigiert die Luftunruhe und lässt auf diese Weise Teleskope so scharfsichtig wie möglich in den Himmel blicken. Norbert Hubin leitet die Abteilung für diese wundersame Technik bei Europas Astronomieorganisation Eso. Die 8-Meter-Teleskope, die Eso in Chile betreibt, analysieren blitzschnell, wie das Wabern der Atmosphäre die Bilder aus dem All unscharf macht. Ein extrem biegsamer Spiegel im Strahlengang gleicht die Unschärfen wieder aus – bis zu 500 Mal pro Sekunde! Dank dieser adaptiven Optik blicken die Teleskope so präzise in den Kosmos, als gäbe es keine Erdatmosphäre mit störenden Turbulenzen. Auch das jetzt geplante 42-Meter-Riesenteleskop wird diese himmlisch schöne Technik nutzen, die ganz irdische Wurzeln hat. Hubin:

    "I started to work on adaptive optics for a military application in France. Then I had some contacts with the astronomical world and joined Eso."

    Norbert Hubin hat in den 80er Jahren für das französische Militär an adaptiver Optik gearbeitet. Die Rüstungstechnik von einst ist längst Standard bei Großteleskopen – und die Astronomen haben diese Technik wiederum an andere Disziplinen weiter gereicht. So nutzt jetzt auch Joe Carroll adaptive Optik. Er ist Professor für Augenheilkunde am Medical College of Wisconsin in Milwaukee in den USA:

    "Wenn man mit einer Kamera von außen die Netzhaut hinten im Auge ansieht, so stören die Hornhaut und die Linse. Denn diese Teile sind niemals optisch perfekt. Sie machen das Bild der Netzhaut unscharf, so wie die Atmosphäre die Sterne verschmiert erscheinen lässt. Wir korrigieren diese Störungen so exakt, dass wir jetzt Bilder von einzelnen Zellen der Netzhaut machen."

    Mit der astronomischen Technik kam Joe Carroll im Zentrum für adaptive Optik in Berührung, das die US-Wissenschaftsstiftung zehn Jahre lang betrieben hat. Dort haben Astronomen etwas über das Auge gelernt und Forscher, die sich mit der Netzhaut beschäftigen, etwas über Großteleskope. Ein idealer Wissenstransfer: Zwar sind die Dimensionen andere, aber die Probleme sind identisch. Jetzt lassen sich mit Hilfe adaptiver Optik Phänomene im Auge untersuchen, von denen man vor wenigen Jahren nicht einmal zu träumen wagte.

    "Wir beschäftigen uns mit etlichen Augenerkrankungen, etwa mit der Zerstörung der Lichtsensoren in der Netzhaut. Wenn die Zellen, die das Licht wahrnehmen und das Signal ans Hirn weiterleiten, erkranken, hat das dramatische Folgen für die Sehkraft. Wir können uns jetzt genau ansehen, ob die Zellen gesund sind oder nicht, wie viele Zellen der Patient noch hat und wie sie verteilt sind. Wir stehen erst ganz am Anfang. In diesen Bildern mit adaptiver Optik stecken sicher noch viel mehr Informationen, die wir bisher einfach noch nicht kennen."

    Die detailreichen Bilder werden die Diagnose verbessern und könnten so auch für die Auswahl der richtigen Therapie von größter Bedeutung sein. Carroll:

    "Adaptive optics is right on the verge of transitioning from just a fancy toy to a mainstream clinical tool."

    Für Joe Carroll ist die Augenheilkunde gerade dabei, adaptive Optik nicht mehr als teures Spielzeug anzusehen, sondern als Standardinstrument in den Kliniken zu nutzen. In einigen Jahren könnten Augenärzte also routinemäßig die Netzhaut mit derselben Technik untersuchen, mit der Astronomen ins Innere Milliarden Lichtjahre entfernter Galaxien blicken.