Freitag, 19. April 2024

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Ahnungslos oder schuldig?

Schlossig: Jeder Verlust an persönlicher Glaubwürdigkeit trifft natürlich auch die Politik oder auch die Wissenschaft der Beteiligten. Da ist es sicherlich in Ordnung, wenn alles über Personen des öffentlichen Lebens bekannt gemacht wird. Aber, und diese Frage geht an Jochen Hörisch, Professor für Literatur und Medienwissenschaft an der Uni Mannheim, was ist an solchen Parteimitgliedschaften wie denen von Wapnewski oder Jens zu halten, die ja anscheinend noch weniger als Karteileichen waren? Lappalien?

26.11.2003
    Hörisch: Lappalie ist ein schweres Wort. Ich will einfach daran erinnern, dass Schindler NSDAP-Mitglied gewesen ist. Das Faktum Brutum einer NSDAP-Mitgliedschaft, wie auch immer sie zustande gekommen ist, ist glaube ich nicht ausschlaggebend. Die Frage ist, ob man sich so diskreditiert hat, wie das Martini, von Wiese, Fricke, Frenzel, Schwerte, Emmrich gemacht haben. Da wird die Scham sie überleben, denn sie haben unter nichterpressten Bedingungen Texte geschrieben, die grauenhaft sind. Ich fand die Darstellung von Wapneswski nobel, plausibel, nachvollziehbar und er hat ja nun auch wirklich gelitten. Und ich glaube nicht, dass das Selbststilisierung ist, wenn er sagt, dass er dem Tod ins Auge geschaut hat, wegen Wehrkraftzersetzung.

    Schlossig: Hatten die 68er Recht, auch diese Frage an Sie, hielten vorwiegen alte Nazis die deutschen Germanistiklehrstühle bis in die 60er, 70er Jahre besetzt.

    Hörisch: Damit hatten Sie Recht. Als Struktureinsicht ist das, was jetzt an den Tag kommt doch sehr gewichtig und nachvollziehbar. Dass heißt, die ganze Germanistik, wenn man überhaupt von der ganzen Germanistik sprechen darf, war auf eine Art und Weise rechtslastig, dass man darüber nur kopfschüttelnd verzweifelt, wütend sein kann. Es war eine deutsche Wissenschaft wie der damals sensationell rezipierte Band, den Lemmert und andere herausgegeben haben, hieß. Was eben immer wieder bedenken muss, ist, dass die Nazis ja nicht eine Gewaltherrschaft über die Deutschen ausgeübt haben, sie haben auch das gemacht, aber es war eben eine Gewaltherrschaft die gewollt war. Die Massen haben die Nazis gewollt und haben Hitler und haben den Faschismus gewollt. Und zu diesen Massen gehörten eben auch die habilitierten, promovierten Germanisten in ihrer großen Zahl. Es gab die bewundernswerten Ausnahmen, Alewin, um ihn mal als Typus zu nennen, voran.

    Schlossig: Aber jene Zwischengeneration – Wapnewski, Höllerer, Jens – hat der Spiegel diese Angelegenheit nicht doch etwas ungebührlich zur Skandalgeschichte aufgemotzt?

    Hörisch: Doch, sicher. Dass, was Augstein gemacht hat, als junger NSDAP-Offizier, oder denken Sie an Karrieren, wie die von Franz Josef Strauß, Schmidt, schweigen wir von Filbinger oder Kiesinger. Das waren entweder Wehrmachtskarrieren und das waren nicht unbedingt überzeugte Nazis, bei Helmut Schmidt ganz gewiss nicht, aber das waren lauter Leute die auf ihre Art und Weise mitgemacht haben. Das soll einfach nur heißen, Widerstandskämpfer waren das nicht. Das sind aber noch ein bisschen andere Jahrgänge, als die, über die wir jetzt sprechen, also die Jahrgänge von Wapnewski. Also Sie sehen Herr Schossig, ich will etwas was ganz unaufgeregtes sagen, wir sprechen in der Tat über Siebzehn-, Achtzehnjährige. Ich bin ´51 geboren, nicht 1920. Wie weit mein Opportunismus gegangen wäre, wie weit meine Zivilcourage siebzehn-, achtzehnjährig gewesen wäre, wenn ich von der HJ aus vorgeschlagen wäre – ich weiß das nicht – also mein Bedürfnis, das zu verurteilen ist gering. Ich sage Ihnen auch warum: Weil die Taten, für die man sich schämen müsste, grauenhafte antisemitische Texte etwa zu schreiben, wie Fricke oder Frenzel das getan haben, das ist nun bei den Namen, über die wir gesprochen haben – Wapnewski, Höllerer, Walter Jens eben definitiv nicht der Fall.

    Schlossig: Wie sinnvoll ist es, wenn ein Lexikon heute kommenden Generationen eine NSDAP-Mitgliedschaftserklärung, zum Beispiel von Jens, überliefert?

    Hörisch: Sehr sinnvoll. Weil man einfach sieht, wie Biographien und Strukturgeschichte ineinander reichen. Und natürlich kann man daraus etwas lernen. Ich halte naiv daran fest, dass man aus Geschichte lernen kann. Und sagen kann, ich lass mich nicht verwalten. Man sollte auch danach gucken, wo der kleine Opportunismus, die Jahrgangsüblichkeit dann eben doch in eine große Fehlzündung landen kann, auch wenn man siebzehn, achtzehn, neunzehn Jahre alt ist. Also insofern ist das als Strukturdatum hochgradig aufschlussreich. Das ganze Fach war in überwältigender Majorität von Leuten geprägt, die ihrerseits von Zustimmung zum NSDAP-System geprägt waren.