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"Alarmmodell Elbe"

Egal, ob Hochwasser oder Schadstoffverbreitung, ein Fluss macht nicht an Ländergrenzen Halt. Besonders augenscheinlich konnte man das jahrzehntelang am Beispiel der Elbe verfolgen. Vom Riesengebirge im Norden Tschechiens bis nach Hamburg - der Strom galt schon zu DDR-Zeiten als europäische Abwasserrinne und wurde als "dreckigster Fluss Europas” geschmäht. Ein Grund dafür war lange Zeit die mangelnde Zusammenarbeit der Anrainer-Staaten. Und selbst beim Jahrhundert-Hochwasser 2002 waren die Daten über die Verbreitung von Schadstoffbelastungen noch äußerst ungenau.

Von Mark Michel | 19.10.2004
    "Alamo Elbe" soll damit nun Schluss machen. "Alamo Elbe" ist ein neues deutsch-tschechisches Frühwarnsystem. Heute wird es offiziell vorgestellt in Leipzig, im Rahmen der Vollversammlung der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe.

    Ja, Flüsse kennen keine Grenzen, und an der Elbe ist das sehr früh schon erkannt worden. Schon 1990 haben sich die damalige tschechisch-slowakische Republik und die Bundesrepublik zusammengetan und sich völkerrechtlich verpflichtet, für den Schutz der Elbe zusammen zu arbeiten. Es war der erste völkerrechtliche Vertrag, den das wiedervereinigte Deutschland nach 1990 unterschrieben hat.

    Viel hat sich seitdem getan. Die Elbe erholt sich, erklärt Helmut Blöch, Präsident der Internationalen Elbe Schutz Kommission:

    Die Punktquellen, das heißt Abwasser, Einleitungen aus Gewerbeindustrie und Kommunen, sind weitgehend abgehakt oder auf die Bahn gebracht.

    Und die Erfolge sind sichtbar: Mittlerweile leben wieder Fischarten in der Elbe, die es ganz früher schon gegeben hat – und sogar ganz neue Arten haben sich angesiedelt. Sogar Lachse hat man schon gefangen – und die brauchen besonders sauberes Wasser. Doch noch sind nicht alle Gefahrenquellen ausgeschaltet:

    Was die Kläranlagen betrifft, hat die tschechische Seite noch ein wenig Nachholbedarf, wie wir das auch in den neuen Bundesländern hatten. Hier gibt es aber klare Termine. Und sicherlich steht unter den neuen Beitrittsländern Tschechien mit in der Oberliga, was den Gewässerschutz angeht. Hier sind also enorme Fortschritte gemacht worden.

    Noch gibt man sich aber nicht zufrieden. Denn immer noch verschmutzen zum Beispiel Abwässer aus der Landwirtschaft oder Gifte nach Chemie-Unfällen die Elbe. Auf deutscher und tschechischer Seite hat man sich deshalb Gedanken gemacht und ein Schadstoff-Frühwarnsystem entwickelt:

    Hier geht es darum, die Schutz- und Verhütungsmaßnahmen zu treffen, andererseits aber auch die Partner unterhalb der Elbe zu verständigen, damit nicht dort Schmutzstoffe in Trinkwasserversorgung, in Kühlwasseranlagen oder in Beregnungsanlagen hineinkommen. Dafür ist ein rechnergestütztes Vorhersagemodell entwickelt worden.

    Gelangen bei einer Havarie oder bei einem Unfall Schadstoffe in die Elbe, werden in zwölf Messstationen entlang des 1000 Kilometer langen Flusses die Werte der jeweiligen Chemikalien automatisch gemessen. Der Computer berechnet dann, wie schnell sich eine Giftstoffwolke ausbreitet und mit welchen Gefahren flussabwärts zu rechnen ist. Helmut Blöch ist stolz auf das neue System:

    Wir wollten auch ein Modell übergeben, was praxisgerecht ist und anwendbar ist. Sie hören dieser Tage, dass die Software für die Hartz-IV-Anträge nicht so richtig funktioniert, das können wir für das Alarmmodell Elbe ausschließen. Das ist unter verschiedensten Bedingungen getestet worden. Verschiedene Wasserstände - die Elbe fließt bei Hochwasser schneller, aber auch im Sommer bei Niederwasser. Aber auch mit verschiedenen Ausbreitungsstoffen, so dass Simulationen errechnet werden können. Und wir sagen können, das ist praxisgetestet, damit können nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Praktiker jeden Tag damit arbeiten.


    Ein ähnliches Frühwarnsystem wie das für die Elbe gibt es auch schon am Rhein. Denn die EU will, dass jeder europäische Fluss so überwacht wird. Nachholbedarf haben da noch die neuen Beitrittsländer. Deshalb treffen sich in Leipzig in den nächsten Tagen über 200 Umweltexperten aus den osteuropäischen Ländern. Es geht um eine erste Bestandsaufnahme in Sachen europäisches Flussgebietsmanagement. Wolf von Tümpling, Mitarbeiter im Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig, hat das Treffen mit geplant und organisiert:

    Das Problem der neuen Beitrittsstaaten liegt darin, dass dort die alten Betriebe nicht so konsequent geschlossen wurden während des Zeitraumes des Beitrittes. Sondern dass die alten Fabriken heute weiter arbeiten und nur schrittweise modernisiert werden und auf den neuesten Stand des Umweltschutzes gebracht werden. Anders als in den neuen Ländern, wo die meisten alten Betriebe geschlossen wurden. Und wenn, dann wurde unter den neuen Auflagen der EU-Wasserrahmenrichtlinie neu aufgebaut, so dass keine Emissionen mehr zu erwarten waren.

    Das Wichtigste auf diesem Treffen ist deshalb erst einmal der Austausch über die jeweilige Situation in den einzelnen Ländern. Beim nächsten Treffen in einem Jahr will man dann gemeinsam an konkreten Konzepten arbeiten:

    Wichtig für uns ist das gegenseitige Verständnis. Dass wir für unsere Seite einen konsequenten harten Schnitt gemacht haben, aber dass das für die neuen Beitrittsländer gar nicht möglich ist. Die Industrie läge einfach in diesen Regionen brach und niemand wäre da, der die Menschen dort versorgen könnte. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt des Verständnisses, dass es möglicherweise etwas länger dauert. Und auf der anderen Seite ist es für die neuen Länder auch Ansporn, sich anzuschauen, wie sich am Beispiel der Elbe ein Fluss verändern kann, wenn man konsequent Umweltschutz betreibt.

    Das gemeinsame Ziel der Wissenschaftler: So sauber wie die Elbe heute ist, sollen einmal alle Flüsse in Europa sein.