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Alchimisten der Kraft

Chemie. - Auch auf der größten Tagung der deutschen Chemiker stehen Energie, Treibstoffe und Umwelt auf der Agenda. Ein Beispiel dafür ist ein neues Material, durch das Öl- und Gaskraftwerke deutlich effektiver werden.

Von Hellmuth Nordwig | 18.09.2007
    Die Substanz sieht nicht spektakulär aus: ein feinkörniges weißes Pulver. Und auch die Werkstoffklasse ist nicht neu: Keramik hat jeder zu Hause im Bad. Doch es gibt zwei entscheidende Unterschiede zu dem Material, aus dem Waschbecken bestehen, sagt Professor Martin Jansen vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart.

    "Das eine Merkmal bezieht sich auf die Zusammensetzung: Sie besteht aus vier Elementen, frühere Keramiken meist aus zwei. Das zweite Merkmal: Die meisten Keramiken sind kristallin, während diese amorph ist. Amorph bedeutet, dass eine völlig regellose Struktur vorliegt. Ein hoch vernetztes Gerüst, das eine besondere Stabilität entwickelt."

    So ähnlich wie Glas. Auch da sind die Atome regellos angeordnet wie bei einer Flüssigkeit. Theoretisch wäre ein Kristall die stabilere Form - Glas und die Stuttgarter Keramik sind metastabil, wie es in der Fachsprache heißt. Das bedeutet: Würde man nur lang genug warten, dann würden sich die Atome in einem Kristallgitter anordnen.

    "Ich bin aber keineswegs sicher, dass das wirklich geschehen wird. Wir kennen metastabile Zustände in der Natur, die extrem lange verharren. Man braucht sich nur die Gläser anzusehen, alte Gläser, die unverändert über Jahrtausende existieren."

    Und weil die Atome so fest zusammenhalten, ist die neue Keramik auch unzerbrechlich. Kein Problem also, sie in der Technik einzusetzen. Da hat sie einen entscheidenden Vorteil, und der hängt ebenfalls damit zusammen, dass die Bindungen zwischen den vier Atomsorten besonders innig sind. Das Material aus Silizium, Bor, Stickstoff und Kohlenstoff hält deutlich höhere Temperaturen aus als herkömmliche Keramik.

    "Außerhalb von Luft bis 2000 Grad, im Sauerstoff der Luft bis 1600 Grad, und unter mechanischer Beanspruchung kann man davon ausgehen, dass man die Arbeitstemperatur von Wärmekraftmaschinen um maximal 200 Grad erhöhen kann. Das ist dramatisch viel. Es gibt Abschätzungen, aus denen hervorgeht, dass man circa 30 Prozent Energie mehr aus derselben Brennstoffmenge holen kann, wenn die Turbine eines Kraftwerks bei dieser erhöhten Arbeitstemperatur laufen kann."

    Aus dem gleichen Grund interessiert sich auch die Raumfahrtbranche für die Hochtemperatur-stabile Keramik. Nun ist Martin Jansen Direktor an einem Max-Planck-Institut. Deshalb sieht er seine Aufgabe nicht darin, der Industrie zuzuarbeiten.

    "Wir freuen uns sehr, dass die Fraunhofer-Gesellschaft, das Institut für Silikatforschung in Würzburg, den Staffelstab übernommen hat und eine Pilotanlage gebaut hat, um diese Keramiken in einem größeren Maßstab herzustellen. Noch wichtiger: Dort verfügt man über die Expertise, Fasern daraus herzustellen. Diese Fasern sind jetzt auf dem Weg zu potenziellen Kunden, die ihre Eigenschaften testen und schon die ersten Bauteile daraus herstellen."

    Denkbar ist etwa der Einsatz für Hitzeschutzkacheln von Raumfahrzeugen. Diese Bauteile müssen bekanntlich besonders hohen Temperaturen standhalten. Wenn sich die neue Keramik dort bewährt, dann sollte sie erst recht dazu taugen, Brennkammern von Kraftwerksturbinen auszukleiden, sagt Martin Jansen. Und er hat noch eine weitere Anwendung im Visier.

    "Es gibt ein kleines Bauteil in einer Flugzeugturbine, einen Diffusorring. Wenn man nur den austauschen würde, könnte man schon sieben Prozent Kerosin einsparen, was auch sehr viel ist. Der ließe sich daraus fertigen."

    Derzeit laufen die ersten Praxistests des neuen Materials. Wenn alles klappt, sollte das unscheinbare Pulver aus Stuttgart schon bald dazu beitragen, dass Kraftwerke effizienter werden und die Raumfahrt sicherer.