Mittwoch, 08. Mai 2024

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Alfred Hayes: "In Love"
In zweisamer Einsamkeit

New York in den 50er-Jahren: Ein fast 40-jähriger Schriftsteller pflegt ein Verhältnis zu einer geschiedenen Mittzwanzigerin. Doch es ist ein Verhältnis auf Zeit, als Liebe verkleidet. Alfred Hayes' Roman "In Love" gleicht einem altmodischen Kammerstück, in dem große Gesten so künstlich wirken, wie sie sind, und dennoch rührend.

Von Sacha Verna | 09.10.2015
    Tausend Dollar für eine Nacht und für die befriedigende Gewissheit, dass alle Frauen gleich sind, nämlich Flittchen. Dieser Handel steht im Mittelpunkt von Alfred Hayes' Roman. Es ist eine Transaktion mit Anspruch auf derart universelle Gültigkeit, dass die Protagonisten nicht einmal Namen tragen. Es gibt zwar Howard, den Textilunternehmer mit den tausend Dollar und vielen Millionen mehr, und es gibt Vivian, eine Dame mit der Menschenkenntnis einer raffinierten Handleserin und der entsprechend zynischen Weltsicht. Aber sie sind Nebenfiguren und austauschbar. Das Drama spielt sich zwischen dem Mann ab, der für Geld sitzengelassen wird, und der Frau, die ihn für Geld sitzenlässt. Genauer: Das Drama spielt sich im Kopf des Mannes ab, der auch als Erzähler fungiert.
    "In Love" ist im New York der 1950er-Jahre angesiedelt, wo das Buch damals erschien. Es ist das New York der Bürobienen und Schreibtischhengste, der Klubs, Cocktails und Zigaretten. Der Mann und die Frau haben weniger eine Beziehung als ein Arrangement. Er, ein bald 40-jähriger Schriftsteller, besucht sie regelmäßig in ihrer leicht schmuddeligen Wohnung. Sie, etwas über 20, geschieden und mit einer abwesenden kleinen Tochter, quält den Mann mit ihren Launen, empfängt seine Geschenke und geht mit ihm aus. Es ist ein Verhältnis auf Zeit, als Liebe verkleidet.
    Distanz, nicht Larmoyanz prägt den Text
    Dass die Frau das Angebot des Textilunternehmers Howard nach längerem Zögern annimmt, überrascht den Mann nicht. Ihn überrascht seine eigene Reaktion. Er ist verzweifelt. Er analysiert seine Wut, seine Trauer und sein Selbstmitleid, als läge er auf der eigenen Couch.
    Distanz, nicht Larmoyanz prägt den gesamten Text. "In Love" gleicht einem altmodischen Kammerstück, in dem große Gesten so künstlich wirken, wie sie sind, und dennoch rührend. Die Akteure vergessen nie, dass sie Rollen innehaben, wenn auch Rollen auf der Bühne des Lebens: der verschmähte Liebhaber und seine verletzte Eitelkeit, das skrupellos schutzbedürftige Mädchen, das seine vergängliche Jugend und Schönheit einsetzt, um materielle Sicherheit zu erlangen. Keine Frau von heute würde sich in diesem Stereotyp wiedererkennen wollen. Kein Mann möchte das Wort "bindungsunfähig" noch einmal hören.
    Ein perfekter Abgang
    Gerade das scheinbar Überholte dieses Modells verleiht "In Love" seine betörende Atmosphäre. Alfred Hayes paart Sarkasmus mit Tiefsinn, er spickt vorhersehbare Szenarien mit ungewöhnlichen Details. Er hält sich an literarische Traditionen, trotzdem mangelt es ihm nicht an stilistischer Originalität. Monologe wechseln sich ab mit Dialogen und indirekter Rede, Anschaulichkeit mit Überlegungen zum Wesen des Herzschmerzes an sich. Dadurch schafft Hayes einen gebrochenen Realismus, der viel mit dem Bild von Edward Hopper auf dem Umschlag des Buches gemeinsam hat. Es zeigt ein Paar in zweisamer Einsamkeit in einem Diner.
    Eingeklammert werden die Geschehnisse vom Anfang und Ende einer Szene in einer Hotelbar. Da sitzt der Sitzengelassene und unterbreitet einer jungen Frau denselben Vorschlag, der ihn um seine vorige Gespielin gebracht hat. "Sie gingen zusammen hinaus", heißt es, und der Vorhang fällt. Ein perfekter Abgang. "In Love" ist ein Roman wie ein trockener Martini: Die Tropfen am eisgekühlten Glas könnten auch Tränen sein.
    Alfred Hayes: In Love. Roman. Aus dem Amerikanischen von Matthias Fienbork. Nagel & Kimche Verlag, München 2015. 145 Seiten. 16.90 Euro.