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Allein auf weiter Flur

Forschungspolitik. - Die Jahrestagung der ist eine altehrwürdige Veranstaltung, bei der man vor wie auch hinter dem Rednerpult nahezu nur Männer sieht. Umso eher fiel da ein Vortrag ins Auge, in dem eine Frau über Geschlechterunterschiede in der Gesellschaft referierte. Der Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Monika Seynsche.

Monika Seynsche im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Seynsche: Herr Krauter, Sie haben den Vortrag gehört: Haben es denn Frauen wirklich schwerer in der Wissenschaft?

    Krauter: "Ja, ganz eindeutig. Zu diesem Schluss kam jedenfalls Professorin Petra Rudolf von der Universität Groningen in den Niederlanden. Sie ist eine angesehene Experimentalphysikerin und hat hier in ihrem Plenarvortrag unter dem Titel "Arbeitsweise, Produktivität und Selbsteinschätzung bei Männern und Frauen in der Wissenschaft" einmal zusammengetragen, was es denn an wissenschaftlichen Studien zum Thema gibt. Das Ergebnis ist eindeutig: Für Frauen ist es bis heute noch immer schwieriger, in einer harten Naturwissenschaft wie etwa der Physik Karriere zu machen. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass Frauen deutlich seltener als Hauptvortragende zu großen Konferenzen eingeladen werden oder auch seltener Erfolg haben, wenn sie sich bewerben auf eine Professur oder ein Forschungsstipendium."

    Seynsche: Woran liegt das denn?

    Krauter: "Es gibt natürlich viele Gründe, und über vieles wurde bereits gesprochen, wie etwa familiärer und gesellschaftlicher Hintergrund. Prägung führt natürlich dazu, dass weniger Mädchen als Jungs sich für mathematisch-naturwissenschaftliche Leistungskurse schon in der Schule entscheiden. Der Pool an Interessierten ist von vornherein kleiner, was dazu führt, dass in Deutschland nur einer von zehn Physikdiplomanden oder Doktoranden tatsächlich weiblich ist. Um das zu ändern, ist natürlich viel Zeit nötig und vielleicht auch unkonventionelle Methoden. Ein Vorschlag dazu kommt von Frau Professor Rudolf selbst:"

    Was wir wirklich dringend brauchen, ist eine Physikerin in einer Soap-Opera, um unser ganzes Bild der Physikerinnen zu verändern. Was sich die Leute vorstellen unter der Arbeit einer Physikerin, entspricht überhaupt nicht der Realität. Und das etwas deutlicher zu machen gegenüber jungen Leuten, das wäre unheimlich toll. Ich glaube, da würde sich viel ändern.

    Krauter: "Statt der Super-Nanny vielleicht in Zukunft die Super-Physikerin - wer weiß? Aber der Kern des eigentlichen Problems ist, dass selbst jene Mädchen oder junge Frauen, die sich für die Naturwissenschaft entscheiden, es immer noch deutlich schwerer haben, dort Karriere zu machen, als ihren männlichen Kollegen. Das belegt eine Studie von 2002, in der 3000 Physikerinnen befragt wurden. Eine von dreien beklagte: "Wir machen deutlich langsamer Karriere als unsere vergleichbaren männlichen Kollegen." Die Hauptgründe dafür liegen eigentlich auf der Hand. Es liegt daran, dass die wissenschaftliche Produktivität von Frauen anders bewertet wird als die von Männern. Das geschieht größtenteils nicht absichtlich, sondern vor allem unbewusst. Es bedeutet aber letztlich, dass Frauen eben deutlich mehr auf dem Kasten haben müssen, um etwa eine Professur zu bekommen. Es gibt mehrere Studien, die das auch belegen. Ein besonders prägnantes Beispiel liefert eine Studie aus Schweden: hier wurde untersucht, wie Bewerber für eine Medizin-Professur von Gutachtern beurteilt wurden. Das Ergebnis war eben, dass Frauen deutlich mehr publiziert haben müssen, um sozusagen den gleichen Kompetenzlevel attestiert zu bekommen. Gleich behandelt wurden lediglich die Bewerberinnen, die also ein Jurymitglied persönlich kannten - woran man auch sehen kann, wie wichtig akademische Netzwerke sind."


    Seynsche: Sie sagten gerade, Frauen müssten mehr publiziert haben. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade Frauen mit Kindern da ein Problem haben, weil sie eine ganze Zeit lang ausfallen. Sind die denn weniger produktiv?

    Krauter: "Sie publizieren eine gewisse Zeit lang tatsächlich weniger, jedoch über die Summe gerechnet nicht. Das geht aus einer anderen Studie aus Japan hervor, wo konkret Physikerinnen befragt wurden. Ergebnis ist: Kinder beeinflussen die über das Leben gemittelte wissenschaftliche Produktivität überhaupt nicht. Es ist vielmehr so, dass diese Frauen eben im Alter um 35 Jahre weniger publizieren als Männer, aber ab 50 Jahren dann umso mehr - sie holen also den Rückstand auf. Was die Qualität der Arbeit der Frauen angeht, kann man sogar sagen, dass die besser sind: sie werden nämlich im Mittel sogar deutlich häufiger zitiert als ihre männlichen Kollegen."

    Seynsche: Hat denn Frau Rudolf etwas dazu gesagt, was jetzt passieren muss - also wie man das ändern kann?

    Krauter: "Neben den Allgemeinplätzen, die man schon so oft gehört hat, also bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sensibilisierung der Beteiligten, stärkere Netzwerkbildung der Frauen untereinander - das ist alles gefallen. Aber Petra Rudolf hat eben auch einen spannenden Vorschlag gemacht, den sie an ihrer Universität erfolgreich ausprobiert hat: Sie fordert, die Stellenausschreibungen sollten möglichst nicht zu spezifisch sein, sondern relativ breit angelegt. Hintergrund ist der, dass eine Studie in den USA gezeigt hat, dass sich Frauen sehr häufig nur auf Stellen bewerben, wenn sie hundert Prozent der Anforderungen erfüllen. Männer sind im Vergleich dazu wesentlich bewerbungsfreudiger - ihnen reicht schon, wenn sie 60 bis 70 Prozent der Anforderungen erfüllen. Wenn man das ändert - das wurde in Groningen gemacht - bewerben sich deutlich mehr Frauen auf Führungspositionen und die Zahl der weiblichen Führungskräfte ist dort in relativ kurzer Zeit schon deutlich gestiegen."