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"Alles ist erfunden"

Andreas Gursky ist berühmt für seine überdimensionalen Fotografien. In seiner neuen Schau im Kunstpalast Düsseldorf nutzt Gursky erneut die manipulativen Möglichkeiten der Computerbearbeitung, sagt Stefan Koldehoff - und zeigt sich begeistert, wie "ästhetisch und wie schön das sein kann".

Das Gespräch führte Beatrix Novy | 22.09.2012
    Beatrix Novy: Andreas Gursky gehört zu den wenigen Fotografen, deren Bekanntheit schon an Popularität grenzt. Es gibt jedenfalls viele, die gleich eines seiner enorm großformatigen Bilder vor Augen haben, wenn sie seinen Namen hören. Wie seine ebenfalls berühmten Kollegen Candida Höfer, Thomas Ruff oder Thomas Struth lernte Gursky bei den großen Meistern des Fachs, bei Bernd Becher und Hilla Becher. Und jetzt zeigt das Museum Kunstpalast in Düsseldorf eine große Ausstellung mit Gurskys Werken, die Stadt Bangkok spielt darin eine Rolle, Stefan Koldehoff hat diese Schau gesehen. Aber ich habe ihn erst einmal gefragt, ob man Andreas Gursky eigentlich wirklich einen Fotografen nennen kann?

    Stefan Koldehoff: Vielleicht ist er gerade deswegen, Frau Novy, so bekannt und so berühmt und vielleicht haben sich seine Bilder deswegen schon für vier Millionen Dollar verkauft, weil er sich eigentlich am radikalsten von dieser so oft zitierten Becher-Schule abgesetzt hat. Die Bechers waren ja diejenigen, die die sogenannte typologische Fotografie entwickelt haben, also fast identische Motive, Wassertürme, Fabrikhallen, Fachwerkhäuser, Kohleminen, Fördertürme und solche Geschichten, und die dann unter immer gleichen Bedingungen, flaues Wetter, Zentralperspektive, an verschiedensten Orten der Welt fotografiert haben, um zu zeigen, eigentlich sieht es überall doch halbwegs gleich aus.
    Gursky macht jetzt was ganz anderes. Gursky lässt sich Bildeindrücke von der Wirklichkeit liefern, sei es nun ein Konzert der Popsängerin Madonna, sei es nun eine Rennstrecke in Arabien, und komponiert aus den Fotos, die er dort vor Ort aufnimmt, dann eigentlich ganz neue Welten – das in riesigen Ausmaßen, monomentale Fotos, zum Teil fünf mal drei Meter groß, perfekte Tiefenschärfe, perfekt abgezogen, perfekt glänzend gerahmt -, sodass man davor steht und denkt, wau, da hat aber jemand ganz toll großartig die Wirklichkeit abgebildet. Tatsächlich darf man Gursky eigentlich zumindest in den letzten Jahren kein einziges Bild mehr glauben, weil nichts von dem, was er zeigt, so in der Wirklichkeit existiert. Alles ist erfunden, alles ist inspiriert von der Wirklichkeit, alles ist am Computer zusammengesetzt, und damit pervertiert er ja eigentlich das, für das die Fotografie ursprünglich mal gehalten wurde, nämlich das Medium, das am wahrsten, am objektivsten, am ehrlichsten die Wirklichkeit wieder abbildet. Pustekuchen, kann man da eigentlich nur sagen.

    Novy: Und er zeigt das mit seiner Arbeit. Die Motive sind also nur Anregung, die Ergebnisse sehen aber dann wirklich aus bei Gursky. Das ist aber doch in der Ausstellung, die Sie jetzt gesehen haben, nicht immer so, es geht doch da in die Abstraktion hinein?

    Koldehoff: Na ja. Wenn man ganz genau hinguckt, dann merkt man, dass da was nicht in Ordnung ist. Dann merkt man, dass die Fahrspuren dieses Rennkurses in einem arabischen Land eigentlich gar nicht zueinanderpassen, dass man da gar nicht richtig fahren kann, dass diese Pyramidenwand eigentlich gar keine Diagonale hat, wie sie eigentlich haben müsste, sondern wie eine Mauer senkrecht nach oben geht. Man merkt, dass bei einem Bild, das jetzt in Düsseldorf – die Ausstellung ist sowohl Retrospektive als auch Präsentation neuer Arbeiten aus Bangkok, darauf spielen Sie an, da komme ich gleich noch hin -, dass beispielsweise auf einem Foto von Madonna das Publikum aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu sehen ist, wie das in der Realität nie sein könnte, und die Sängerin mindestens dreimal auf der Bühne steht. Also wenn man genau hinguckt, dann merkt man schon, dass da irgendwas erfunden und montiert ist.

    Diese neue Serie, das sind "einfach" Bilder aus einem Fluss in Bangkok, den er dort so vorgefunden hat und dessen Oberfläche er immer wieder fotografiert hat: mit Spiegelungen, mit Verschlierungen von Öl, mit Dreck, mit Magazinen, mit Bündeln, die da in diesem Wasser schwimmen. Und auch das wirkt auf den ersten Blick zunächst mal vielleicht ein bisschen sozialkritisch, da könnte man an Umweltthemen denken, und erst auf den zweiten Blick merkt man auch da, dass die Größe eines Magazins eigentlich überhaupt nicht zur Größe des Mülls, der daneben schwimmt, passt, und man stellt auch fest, dass diese Ölspuren, die auf dem Wasser schimmern und glänzen, ein bisschen wie ein Tarnmuster beim Militär aussehen, dass es die so eigentlich gar nicht geben kann, aber vielleicht könnte.

    Novy: Am Ende erkennt man aber auch gar nicht mehr, dass da ein Fluss ist. Es geht doch wirklich hin zur reinen Form?

    Koldehoff: Ja. Deswegen war es völlig richtig, dass Sie gerade von Abstraktion gesprochen haben. Man steht einfach davor und kann es nur wirken lassen. Und vielleicht ist das auch das Schöne an dieser Ausstellung. Niemand von uns würde wahrscheinlich ernsthaft versuchen, wenn man sich eine Symphonie von Beethoven anhört, das zu verstehen, Beethoven richtig zu verstehen und zu durchdringen, wie hat er das denn nun gemacht. Bei der Fotografie möchte man das eigentlich immer noch: Wo hat der Fotograf gestanden, was erkenne ich wieder, was steht wie zueinander. Und wenn diese Ausstellung von Andreas Gursky vielleicht so was wie eine Quintessenz oder einen erhobenen Zeigefinger hat, dann könnte es der sein: Lasst es doch auch bei der Fotografie, lasst doch auch die einfach auf euch wirken und guckt, wie ästhetisch und wie schön das sein kann, man muss doch nicht immer alles verstehen müssen.

    Novy: Man muss auch nicht alles haben. Was sind das für Formate, die Sie da gesehen haben, auch so groß wie das, was Sie vorhin beschrieben haben, oder kann man sich das irgendwo hinhängen?

    Koldehoff: Es sind erstaunlicherweise alle Formate: also von den fünf mal drei Meter großen Bildern, die ich schon beschrieben habe, bis hin zu kleinen, die nicht viel größer als DIN A4 sind und damit durchaus auch bei uns, Frau Novy, übers Sofa passen würden. Die anderen, das sind sicherlich Museumsformate oder für die ganz reichen Sammler. Ich habe Gursky übrigens gefragt, wie das denn überhaupt funktionieren kann, er entwirft am Computer und es muss hinterher ein riesengroßes Bild sein, ob er in der Lage ist, aus einem kleinen Monitorausschnitt tatsächlich zu projizieren, wie groß und wie das mal wirken wird. Und da sagte er, nein. Wenn er der Meinung ist, es sei fertig, dann macht er tatsächlich einen riesengroßen Probeprint, und wenn dann was nicht in Ordnung ist, dann muss am Computer noch mal retuschiert und neu montiert werden, und dann gibt es wieder einen Print und wieder und wieder. Also technisch ist das alles kein Kinderspiel.

    Novy: Kunst macht Arbeit, klar, aber selten so viel Aufwand. – Andreas Gursky heißt die Ausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf und das war Stefan Koldehoff.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.