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Alles muss raus!

Bis in die 90er Jahre gehörte die deutsche Wirtschaft zu einem großen Teil sich selbst. Für ausländische Unternehmen gab es kaum die Chance, einen deutschen Großkonzern zu übernehmen. Gespannt wurde das Netz von den Finanzkonzernen, den mit Abstand größten Aktienbesitzern in Deutschland. Und sie sind es auch, die heute das Netz der Deutschland AG wieder entflechten.

Autor: Matthias Rumpf | 17.04.2005
    "Boston Consulting hat sich angeschaut, wie sich die Verflechtung von deutschen Unternehmen entwickelt hat. Verflechtung heißt hier letztlich eine kapitalmäßige Verflechtung, wo also Firmen wechselseitig Anteile halten. Und wir wie gesagt geschaut, gibt es dieses Netzwerk überhaupt. Und es ist so wenn man zurück geht in die Mitte der 90er Jahre, dann ist es so, jawohl, dieses Netzwerk gibt es. Kern des Netzwerks sind sicherlich die bekannten Namen wie Allianz, Deutsche Bank und Münchner Rück, die viele Industriebeteiligungen gehalten haben. Es gibt aber auch erhebliche Beteiligungen zwischen einzelnen Industriefirmen, die jeweils dann Anteile aneinander halten. Und das wurde dann auch halt Mitte der 90er Jahre mit der Deutschland AG gekennzeichnet."

    Berlin-Mitte. Das Hauptstadt-Büro der Beratungsfirma Boston Consulting. Daniel Stelter sitzt vor einer Schautafel mit den großen Namen der deutschen Wirtschaft. Fast alle Dax-Werte sind versammelt, also jene Aktiengesellschaften, die an erster Stelle an der Frankfurter Börse gehandelt werden.

    Ein beinahe undurchdringliches Geflecht von Linien symbolisiert die Beteiligungen der Unternehmen untereinander. Mitten drin, wie Spinnen im Netz, die Finanzkonzerne Allianz, Deutsche Bank und Münchener Rück. Kaum ein Unternehmen an dem die drei nicht direkt oder indirekt beteiligt sind. Das Schaubild zeigt den Stand von 1996.

    "Wenn man sich das selbe Bild anschaut für 2004, die letzten Daten, sieht man, dass sich das Netzwerk deutlich gelichtet hat. Es gibt deutlich weniger Verknüpfungen zwischen den Industriefirmen, es gibt aber auch ein deutlich ausgedünntes Netz an Beteiligungen zwischen den Finanzkonzernen als auch der Finanzkonzerne an Industriefirmen."

    Man muss schon solch eine Skizze zu Hilfe nehmen, um zu ermessen, wie stark sich die Unternehmensstruktur in Deutschland in den letzten zehn Jahren gewandelt hat. Bis in die 90er Jahre gehörte die deutsche Wirtschaft zu einem großen Teil sich selbst. Viele Industrieunternehmen hielten gegenseitig Anteile, waren über Aktienpakete miteinander verflochten. Das hielt die Konkurrenz auf Distanz und schützte von Übernahmen.

    Für Ausländer gab es kaum die Chance, einen deutschen Großkonzern zu übernehmen. Gespannt wurde das Netz von den Finanzkonzernen, den mit Abstand größten Aktienbesitzern in Deutschland. Und sie sind es auch, die heute das Netz der Deutschland AG wieder entflechten.

    "Grundsätzlich haben wir uns dazu entschlossen uns von diesen Nicht-Kernbeteiligungen uns von denen zu trennen. Weil diese Beteiligungen Kapital binden und zu Wertschwankungen geführt haben in der Vergangenheit. Und wir wollen dieses Kapital eben freisetzen, um in unseren Kerngeschäften, auf der Investmentbankseite, auf der Privatkunden- und Vermögensverwaltungsseite zu investieren."

    Axel Wieandt, Leiter der Konzernentwicklung bei der Deutschen Bank. In streng gesicherten Räumen im 21. Stock der Bankzentrale in Frankfurt räumt der 38-jährige Bänker jetzt auf. Für rund sechs Milliarden Euro hat Wieandt gemeinsam mit seinem Team in den vergangen Jahren Beteiligungen der Deutschen Bank verkauft: Buderus, Continental, Deutsche Börse, Heidelberger Zement, Münchner Rück – alles musste raus. Heute hält die Bank nur noch größere Anteile an Daimler Chrysler und Linde - noch.

    Auch die Versicherungen haben kräftig verkauft. Für rund 30 Milliarden Euro hat die Allianz in den vergangenen Jahren Industriebeteiligungen abgestoßen. Selbst Aktienpakete, die über Jahrzehnte im Besitz des Konzerns waren wurden verscherbelt. Gemeinsam mit der Münchener Rück und der Commerzbank hat sich die Allianz nach rund 30 Jahren von ihren Anteilen an MAN getrennt. Das erklärte Ziel: die Aktienquote bei ihren Anlagen von einst 35 Prozent auf rund 10 Prozent zu senken. Denn wie fast alle Versicherer in Deutschland hat sich der Münchener Konzern in den vergangen Jahren an der Börse die Finger verbrannt. Dieter Hein, Analyst für die Finanzbranche.

    "Durch die Erfahrungen der letzten zehn Jahre, als die Aktien Ende der 90er Jahre deutlich gestiegen sind, sind die Versicherungen prozyklisch in die Aktienmärkte rein und haben ihre Aktienanteile deutlich erhöht und hatten dann sehr hohe Kursverluste, die zu einigen Fastpleiten geführt haben und von daher gehen die Versicherer auch wieder auf Nummer sicher und bei steigenden Aktienkursen werden die Aktienquoten reduziert. "

    Einige Versicherungen hatten nach dem Platzen der New-Economy-Blase so viel Geld am Aktienmarkt verloren, dass sie nicht einmal mehr den staatlich vorgeschrieben Mindestzins auf ihre Lebensversicherungen zahlen konnten. Mehrere Konzerne drohten zusammenzubrechen.

    Die Banken haben noch andere Gründe für den Ausverkauf. Die Aktienpakete sind schlicht zu teuer geworden. So müssen die Banken nach den neuen Regeln zur Risikoabsicherung für jeden Euro, den sie in Aktien gesteckt haben, einen Teil ihres Eigenkapitals auf die Seite legen. Geld, das dann für andere Investitionen fehlt. Auch deshalb honorieren es die Anleger längst nicht mehr, wenn sie mit einer Bankaktie über die Beteiligungen auch noch einen kleinen Investmentfonds erwerben. Axel Wieandt von der Deutschen Bank.

    "Jeder Aktionär, der Aktionär der Deutschen Bank ist, kann ja eine Aktie eines börsengelisteten Unternehmens kaufen, das wir in unserm Industriebeteiligungsportfolio halten. Also in so fern ist er nicht mehr auf die Bank angewiesen und in so fern ist es aus Investorensicht sinnvoller, sich zu trennen. Die Investoren kaufen unsere Aktie nicht, weil sie damit eine bestimmte Exposure zu einem Portfolio an Industriebeteiligungen kriegen, sondern die kaufen unsere Aktie, weil sie auf unsere Kompetenzen und unsere Ertragskraft im Bankgeschäft setzen."

    Allerdings, Kompetenz im Bankgeschäft hin, Kursrisiken her, der massive Verkauf der Beteiligungen hätte wohl nicht stattgefunden, wenn nicht die Bundesregierung kräftig nachgeholfen hätte. Denn, so Markus Nöth von der Universität Mannheim, seit der Unternehmenssteuerrefom 2000 gilt für die Beteiligungen, ...

    "...dass man das eben Steuer sparend auflösen kann und in so fern hat der Aktionär eben ein Interesse daran, dass man das Steuersparmodell, dass das ausgenutzt wird und das Geld wieder dem eigenen Zweck zugeführt wird, nämlich Bankgeschäfte durchzuführen."

    Doch wie sind die Banken eigentlich zu ihren Beteiligungen gekommen, derer sie sich nun so eilig entledigen? Wie ist also die Deutschland AG entstanden? Für die Versicherungen ist der Fall klar, denn irgendwo müssen die Institute das Geld ihrer Versicherten anlegen. Und Aktien sind neben Immobilien und festverzinslichen Wertpapieren nur eine weitere Anlageform.

    Auch für Banken ist der Besitz von Unternehmensanteilen nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Er ist so zu sagen ein natürliches Nebenprodukt des Kreditgeschäfts. Noch einmal Markus Nöth von der Uni Mannheim.

    "Wie kommt eine Bank eigentlich zu Beteiligungen? Normalerweise vergibt eine Bank einen Kredit und hofft dann, dass das Geld zurückkommt. Wenn das Geld nicht zurückkommt, es also einen Ausfall gibt, dann besteht die Möglichkeit und so ist das auch vorgesehen in der Regel, dass der Kredit in eine Beteiligung umgewandelt wird. Die Altaktionäre haben nichts mehr am Unternehmen, weil das Unternehmen ist ja insolvent und dieses Beteiligungen nehmen sie dann und versuchen das Unternehmen zu sanieren, indem sie externe Berater typischerweise reinnehmen und dann versuchen sie diese Beteiligung wieder im Markt zu verkaufen. "

    Faule Kredite erklären freilich nur einen Teil des Aktienbesitzes der deutschen Finanzinstitute. "Denn Unternehmen in Bankenhand" ist gewissermaßen ein Strukturmerkmal der deutschen Wirtschaft. Die Gründe dafür reichen weit zurück. Anders als in den USA, wo es schon lange einen funktionierenden Aktienmarkt gibt, wurde in Deutschland die Industrialisierung weitgehend durch die Banken finanziert. Weil Anleger hierzulande nicht in Aktien investieren wollten, sammelten sie das Geld bei den Sparern ein und verteilten es als Kredite auf die Unternehmen. Geht man nur 15 oder 20 Jahre zurück...

    "und dann war es eben auch für eine BASF beispielsweise relativ schwierig, eine eigene Anleihe zu begeben, weil die Integration der Finanzmärkte nicht so weit war. Das war nicht ganz so einfach. Und in so fern war es für die ganz praktisch, dass die Deutsche Bank als Hausbank ihnen einen Kredit geben konnte und informell auch mal einen größeren Kredit gegeben hat, wenn es notwendig war. "

    Um dieses Kreditgeschäft abzusichern beteiligten sich die Banken an den jeweiligen Unternehmen und die Bänker zogen in deren Aufsichtsräte ein. Der legendäre Ex Chef der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, war so in mehr als 30 Aufsichtsgremien vertreten. Doch das ist längst Geschichte. Sein Nachfolger Josef Ackermann nimmt nur noch vier Mandate war.

    Der Rückzug kam, weil heute das Geschäftsmodell der Banken ein anders ist. Statt Kredite an Großunternehmen zu geben, helfen die Banken lieber den Unternehmen, sich selbst am Kapitalmarkt zu finanzieren. Die Bank ist Dienstleister für die Emission von Anleihen. Ein lukratives Geschäft und anders als die Vergabe von Krediten ganz ohne Risiko. Die Bank schreibt einfach eine Rechnung, wenn die Anleihe am Kapitalmarkt platziert ist. Doch wer nur noch Gebühren kassiert, der muss sich auch im Aufsichtsrat nicht mehr darum kümmern, ob das Unternehmen seinen Schuldendienst noch leisten kann. Und ohnehin sind die Aufsichtsratsmandate für die Banken seit einiger Zeit eher unbequem.

    "Liebe Kollegen, wir haben es geschafft. Es liegt viel Arbeit jetzt vor uns beziehungsweise vor Euch. Die Banken, ich sagte das mit Respekt und mit Anerkennung, haben schließlich ihre gesamtwirtschaftliche, ihre soziale Verantwortung angenommen und wir sorgen dafür, dass das so bleibt."

    Frankfurt im Herbst 99. Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündet vor den Arbeitern des Baukonzerns Philip Holzmann, dass ihr Unternehmen vor der drohenden Pleite gerettet wird. Auf öffentlichen Druck hatte vor allem die Deutsche Bank einer weiteren Sanierung zugestimmt. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie als Großaktionärin mit Sitz im Aufsichtsrat die Insolvenz des Baukonzerns nicht verhindert hat.

    "Also der Fall Holzmann war ja ein besonderer, weil es quasi die dritte Sanierung war, die Ende 99 anstand. Und Deutsche Bank als Beteiligungsgeber und Hauptkreditgeber hatte sich ja in vorangegangnen Sanierungen auch schon stark engagiert. Und bei dieser neu anstehenden Sanierungen, da war absehbar von Seiten der Banken, dass das kein Erfolg sein wird. Was dann aber zu solch einem Aufschrei in der Öffentlichkeit geführt hat, dass quasi der öffentliche Druck dazugeführt hat, dass man sich die eigene Entscheidung noch mal überlegt hat und dann eben noch mal zu einer dritten Sanierung bereit war. Und das war eindeutig eine Fehlentscheidung, man hat da gutes Geld dem schlechten hinterher geworfen und es hat den Banken mit Sicherheit geschadet und es hat deren Bereitschaft, sich in solchen riskanten Unternehmen zu engagieren nicht gerade gefördert."

    Sagt Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und trifft damit die Stimmung bei der Deutschen Bank.

    "Sicherlich geht einher mit der zunehmenden Entflechtung, dass man dann auch in der Öffentlichkeit nicht mehr im Rampenlicht steht, wenn die Unternehmensentwicklung in die eine oder andere Richtung laufen. Das ist sicher richtig, die Feststellung."

    Auch das Holzmann-Debakel hat der Deutschen Bank ihre Industriebeteiligungen verdorben. Noch im Dezember 1999 verkündete der damalige Vorstandssprecher Rolf Breuer, die Bank werde sich von ihren Industriebeteiligungen trennen. Markus Nöth von der Uni Mannheim ist überzeugt, dass es auch für die Aktionäre von Vorteil ist, wenn sich die Banken aus ihrer Doppelrolle als Kreditgeber und Anteilseigner zurückziehen. Denn es sei so,

    "...dass es für einen Kreditgeber ein bestimmtes Optimum gibt, wie investiert wird und für einen Kapitalgeber gibt es ein anderes Optimum und dazwischen hat man dann einen Widerstreit. So, wenn jetzt die gleiche Person auf beiden Seiten ist, kommt es eben sehr darauf an, ob die Kreditinteressen größer sind, oder die Eigentumsinteressen größer sind. Und bei einer Bank sind es immer die Kreditinteressen, die größer sind. Und dann ist es so, wenn Karstadt in die Insolvenz geht oder droht in die Insolvenz zu gehen, dann versuche ich eben, dass nicht bei mir runter geschrieben wird, sondern dass ich die Eigenkapitalgeber unter Druck setze und sage, also wenn ihr nicht nachlegt kräftig Geld, dann geht das Unternehmen bankrott, dann gehört uns das Unternehmen komplett und ihr habt gar nichts mehr, auch in der Zukunft, wenn wir das Unternehmen saniert haben."

    Doch wenn die Banken, die Versicherungen und auch die Aktionäre der Industrieunternehmen der Entflechtung der Deutschland AG gelassen entgegen sehen und sie sogar begrüßen, wie sieht man in den Unternehmen diesen Prozess? Wolfgang Reitzle, der Chef der Linde AG, hat jedenfalls gemischte Gefühle. Er sagte auf der Bilanz-PK Ende März.

    "Wenn sie an einem Unternehmen 30 35 Prozent loyale Großaktionäre haben, die auch schlechte Zeiten mit ihnen durch gestanden haben und nicht verkauft haben und auch nicht als der Aktienkurs wieder höher gewesen ist einfach weggelaufen sind, weil sie damit einen Gewinn hätten machen können. (...) Und jetzt jubeln alle, dass sich die Deutschland AG im Grunde komplett aufgelöst hat. Und da tritt ja was anderes an deren Stelle. Wir haben ja eine Tür aufgemacht. Weil jetzt sind ja alle Unternehmen, die vorher vernetzt in der Deutschland AG waren, sind jetzt dem Wind der Kapitalmärkte ausgesetzt."

    Reizle hält seinen Großaktionären – es sind die Deutschen Bank, die Allianz und die Commerzbank - zu Gute, dass sie sein Unternehmen dank ihrer Sperrminorität noch nicht voll dem rauen Wind der Kapitalmärkte ausgesetzt haben. Allerdings ist Axel Wieandt von der Deutschen Bank überzeugt, dass es eher eine frische Brise ist, die den Unternehmen vom Kapitalmarkt entgegenweht - wenn sich die Großaktionäre erst einmal verabschiedet haben.

    "Ich glaube, dass der Free Float ansteigt, das führt dazu, dass die Preisbildung in diesen Aktien besser wird. Das führt dazu, dass mehr inländische und internationale Investoren angezogen werden am Kapitalmarkt zu investieren. "

    Ein größerer Anteil an Free Float oder Streubesitz kann erst einmal vorteilhaft für die Unternehmen sein. Denn je geringer der Anteil der Großaktionäre ist, desto größer ist auch das Gewicht des Unternehmens im Dax oder einem anderen Index. Und je größer das Gewicht, desto besser ist das für den Kurs.

    Es könnte allerdings auch sein, dass andere Großinvestoren mit weniger friedlichen Interessen den Platz der Banken einnehmen. Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.


    "An die Stelle treten könnten Private Equity Fonds treten. Ein Private Equity Fonds ist nicht was eine Hausbank war. Die Private Equity Fonds sind eben stark renditeorientiert. Die gehen einfach raus, ja wenn es sich nicht mehr lohnt. "

    Private Equity Fonds, das sind die neuen Akteure auf dem deutschen Kapitalmarkt. Seit einigen Jahren schon kaufen sie Beteiligungen an Unternehmen, bauen sie um oder zerschlagen sie und bringen dann Teile mit großem Profit an die Börse. Für Beschäftige und gewachsene Strukturen haben sie wenig Sinn. Bisher haben sich die Fonds auf vor allem auf Unternehmen konzentriert, die noch nicht an der Börse notiert sind. Aber das könnte sich ändern. Das Volumen der Transaktionen dieser Fonds ist in den vergangen Jahren rasant gestiegen. Selbst Dax-Unternehmen sind mittlerweile ins Visier der Fonds geraten - auch die Linde AG. Deren Chef Wolfgang Reitzle sieht die Gefahr für das Traditionsunternehmen.

    "Natürlich könnten Sie mit der Zerschlagung von Linde kurzfristig ein paar Euro verdienen. Aber was wäre dann nach 125 Jahren übrig geblieben. Also definitiv nichts worauf wir stolz sein können als Management und definitiv nichts was im Sinne unserer Mitarbeiter wäre. "

    125 Jahre Unternehmensgeschichte! Linde ist auch deshalb ein attraktives Objekt für eine Zerschlagung, weil in der Deutschland AG zu lange Strukturen konserviert wurden. Die beiden Unternehmensteile Gabelstapler und Industriegase passen nicht wirklich zusammen und Linde hat die weltweite Konsolidierung in den beiden Branchen verpasst. Und Linde kämpft auf dem internationalen Kapitalmarkt noch mit einem anderen Handikap, das es mit den anderen deutschen Unternehmen teilt. Daniel Stelter von der Boston Consulting Group.

    "Wenn man sich die deutschen Unternehmen anschaut und mal rein die Börsenunternehmen. Die sind im internationalen Vergleich viel zu tief bewertet. Das ist keine Kaufempfehlung für deutsche Aktien, also in so fern nicht gleich so interpretieren. Aber man muss natürlich sehen, wir haben ein Fülle von Faktoren. Zum einen sind deutsche Unternehmen im Schnitt deutlich weniger profitabel, als ihre ausländischen Wettbewerber. Das zweite ist, dass deutsche Unternehmen auch an der Börse für die gleiche Profitabilität weniger gut bewertet werden, wie Unternehmen in England oder auch den USA."

    Chronische Unterbewertung und eine wenig effiziente Struktur machen deutsche Unternehmen dann zum Spekulationsobjekt. Was passieren kann, zeigt der Fall der Deutschen Börse, die im Februar mit der Übernahme der London Stock Exchange zur größten Börse Europas wachsen wollte.

    "Da gab es den bisher einmaligen Vorgang, dass sich letztlich zwischen der Abgabe des Angebots und dem Zurückziehen die Aktionärsstruktur deutlich geändert hat, dass dort im großen Stil angelsächsische Hedge-Fonds eingestiegen sind um dann das Ganze zu Fall zu bringen und die Deutsche Börse statt zur Übernahme zum Ausschütten von Geld zu bewegen. Sie zeigt nur was passiert, wenn die Aktionärsstruktur nicht mehr stabil ist, sondern man ständig wechselnder Aktionärsstruktur gegenübergestellt ist."

    Der einzige Schutz gegen solche Attacken, kommen sie von Hedge-Fonds oder Private Equity Fonds, ist ein hoher Aktienkurs. Nur wenn die Unternehmen für Übernahmen zu teuer sind, können sie spekulative Investoren abhalten. Dieser Devise sind auch die Allianz und die Münchener Rück beim Verkauf ihrer MAN-Anteile gefolgt. Das Unternehmen kämpft mit ähnlichen Strukturproblemen wie Linde, konnte sich aber im Schutz der Großaktionäre zunächst einmal sanieren. Den Rückzug hat der Aktienkurs deshalb gut verkraftet und das Unternehmen ist erst einmal vor Übernahmen geschützt.

    "Für mich ist es so, dass wir die Firmen in die freie Welt entlassen, so ähnlich, wie die Schildkröten, die aus dem Nest schlüpfen und auf dem Weg zum Wasser, zum rettenden Wasser hat man immer das große Fest der Vögel, die die kleinen frisch geschlüpften Schildkröten fressen. Und darum geht es im Prinzip, dieses Überbrückungszeit aus dem Nest heraus, bis sie sich entwickeln können, das ein bisschen zu überbrücken und ein bisschen Lufthoheit herzustellen und so muss man das verstehen. "

    Ob die Unternehmen alleine den Weg aus dem Geflecht der Deutschland AG schaffen oder unterwegs übernommen werden, in jedem Fall werden Effizienz und kurzfristiger Profit in Zukunft eine größere Rolle spielen.