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An der Wurzel gepackt

Medizin. - Seit Arzneien verkauft werden – egal ob von seriösen Apothekern oder kuriosen Wunderheilern – sind Haarwuchsmittel ein besonderer Renner. Allerdings ist der Effekt vieler Mittel unbefriedigend. Das könnte sich aber vielleicht ändern, dank Gentechnik und dem Erbgut einer arabischen Familie.

Von Michael Lange | 25.02.2008
    Für die Familie aus Saudi Arabien war es ein Schock. Obwohl die Eltern nicht unter Haarlosigkeit litten, blieben einige Kinder der Großfamilie kahlköpfig. Ein arabischer Hautarzt beschrieb die Krankheit der Familie in einer Fachzeitschrift, und so wurden Humangenetiker der Universität Bonn auf die Familie aufmerksam.

    "Wir haben Eltern und neun von zehn Kindern. Und von diesen neun Kindern sind wiederum vier von Haarlosigkeit betroffen. Wenn so viele Personen in einer Familie betroffen sind, dann ist eine genetische Erkrankung ziemlich wahrscheinlich."

    Regina Betz leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe der DFG am Institut für Humangenetik der Universität Bonn. Sie erhielt Blutproben der arabischen Familie zugeschickt, gewann daraus die DNS und suchte in der Erbinformation nach der genetischen Ursache für die Haarlosigkeit der Familie.

    "Die Eltern haben immer eine gesunde und eine kranke Anlage und wenn beide Eltern die kranke oder ungünstige Anlage an die Kinder weiter geben, werden diese erkranken. Es betrifft vor allem das Kopfhaar, aber auch die Körperbehaarung ist leicht betroffen."

    Ansonsten sind die betroffenen Kinder gesund. Die Erbgutveränderung wirkt, so scheint es, ausschließlich auf das Haarwachstum. Dem Team um Regina Betz gelang es nun, die verantwortliche Erbanlage aufzuspüren, auf dem Chromosom Nummer 13. Bei den vier Kindern der Großfamilie führt das fehlerhafte Gen dazu, dass ein bestimmtes Biomolekül auf der Oberfläche ihrer Zellen nicht richtig gebildet werden kann. Dieser so genannte Rezeptor funktioniert nicht. Ein Rezeptor ist ein Empfänger-Protein. Es erkennt bestimmte Substanzen, die von außen auf die Zelle treffen, und reagiert darauf. Der Rezeptor gibt die Botschaft weiter in das Innere der Zelle.

    "Wir erhoffen uns, dass wir diesen Rezeptor überstimulieren können, und dass daraus möglicherweise nicht nur Therapien nicht nur für die Familie, sondern auch andere Formen von Haarlosigkeit entstehen können."

    Den betroffenen Kindern der Familie könnte nur eine Gentherapie helfen. Denn bei ihnen ist der Rezeptor defekt. Sie brauchen einen neuen, einen intakten Rezeptor. Um die Abläufe genauer zu erforschen, wollen die Bonner Genetiker nun eine kahle Maus züchten, bei der genau dieser Rezeptor fehlt. Bei Männern mit der weit verbreiteten, üblichen Form der Haarlosigkeit ist das anders. Sie haben den Rezeptor. Er müsste nur stärker aktiviert werden, um das Haarwachstum zu fördern. Dazu haben sich die Bonner Genetiker bereits mit Pharmakologen zusammengetan. Gemeinsam mit ihnen suchen sie nach geeigneten Substanzen, um den Rezeptor künstlich zu aktivieren. Die Biologin Sandra Pasternack vom Intsitut für Humangenetik der Universität Bonn erklärt das Konzept.

    "Dieser Rezeptor braucht halt eine bestimmte Substanz, die ihn aktiviert. Diese Substanz wird in jedem Menschen vom eigenen Körper hergestellt. Das ist der natürliche Ablauf. Wenn man jetzt aber noch zusätzliche synthetische Substanz zugibt, kann man diesen Rezeptor zusätzlich aktivieren, und dadurch wird es dann zu vermehrtem Haarwachstum kommen."

    Das würde so ablaufen: Ein genau passendes Wirkstoff-Molekül verbindet sich mit dem Rezeptor in der Zellhülle. Der Rezeptor leitet das Signal weiter in die Zelle und stimuliert die Vorgänge, die für Haarwachstum zuständig sind. So ließe sich theoretisch auch die Entstehung einer Glatze bei Männern hinauszögern. Bedarf für ein solches Haarwuchsmittel wäre also garantiert.