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Anders B. und das Internet

Der mutmaßliche Attentäter, der in Norwegen am vergangenen Freitag nach bisherigem Erkenntnisstand 76 Menschen getötet hat, hat die Angebote des Web 2.0 sehr intensiv genutzt, um seine Ansichten in der Welt zu verbreiten. Doch wie gut kennt sich der 32-Jährige wirklich mit den Neuen Medien aus?

Wissenschaftsjournalist Maximilian Schönherr im Gespräch mit Arndt Reuning | 25.07.2011
    Arndt Reuning: Über 90 Todesopfer haben die Anschläge in Norwegen gefordert. Auffällig ist: Der mutmaßliche Täter gehört offenbar zu einer computeraffinen Generation. Und er versteht es, sich mithilfe von sozialen Netzwerken im Internet zu inszenieren. Im Studio begrüße ich nun meinen Kollegen Maximilian Schönherr. Herr Schönherr, wie gut kennt sich der Verdächtige denn mit Computertechnik aus?

    Maximilian Schönherr: Er ist also kein Hacker - im Sinne von sich in fremde Datenbanken hineinzuhacken. Aber Anders Behring B. nutzt die Computertechnologie sehr intensiv, vor allem um seine Meinungen zu verbreiten. Er kannte sich zum Beispiel mit Feinheiten aus, wie man seine Texte am einfachsten weitergibt. Zum Beispiel rät er dazu, E-Mail-Anhänge mit kleinen Text-Dokumenten zu benutzen, weil die eher von Spamfiltern übersehen werden als größere Anhänge. Und konkret heißt es zum Beispiel in der Einleitung zu seinem anti-islamistischen Manifest:

    Zitat: "Du kannst das volle Office-Paket kaufen oder die kostenlose Testversion von Microsoft bei office.microsoft.com herunterladen. Alternativ bieten sich folgende Torrent-Seiten für einen kostenlosen Download an: (...). In jedem Fall brauchst Du aber zunächst ein Torrent-Programm. Das beste ist ... und findet sich bei ..."

    Schönherr: Das ist eine Einleitung, die sich wie eine Bedienungsanleitung für Filesharing-Netzwerke liest, also das, was von der Musikindustrie gerne so inkriminiert wird: eine Einleitung in Datenformate. Er empfiehlt dem Leser, wenn er sein Buch weitergibt oder übersetzen will, es mit Microsoft Word zu schreiben, und gibt dann eine Anleitung, wo man die Seriennummer findet, um diese Word-Version für längere Zeit freizuschalten. Er gibt zeitgemäße Tipps, den Text vom PDF in Word umzuwandeln und empfiehlt den Google-Übersetzungsdienst für eine Rohübersetzung. Und er empfiehlt auch die Umrechnung seines Textes in eine Smartphone-verträgliche Einheit, etwa um es auf dem iPhone oder Amazon Kindle dann zu lesen.

    Reuning: Das heißt, Text als Medium ist B. in der Tat wirklich sehr wichtig?

    Schönherr: Diesen Anschein hat es. Aber er hat gleichzeitig versucht, das 1500-seitige Manuskript in einem zwölfminütigen YouTube-Video zusammenzufassen. Dieses Video ist eine Mischung aus Text und Bild und ist ein Kampf gegen den Islam im Grunde - unterlegt mit gregorianischer Musik. Jedenfalls angelehnt daran, New-Age-Musik. Aus B.s Facebook-Profil weiß man, dass er solche Musik liebt.

    Reuning: Sie haben den Film gesehen. Wie geht das, wenn die Facebook-Seite mittlerweile offline ist?

    Schönherr: Das ist typisch für das Internet von heute? Es vergisst einfach wirklich nichts mehr. Gerade wenn jemand so in die Schlagzeilen rückt wie B. muss man damit rechnen, dass sein Facebook-Profil, bevor es gelöscht wird von den Facebook-Betreibern, und das YouTube-Video, bevor es von Google gelöscht wird, irgendwo anders abgespeichert wird. Ich habe es heute über einen Torrent, eben über einen Filesharing-Dienst heruntergeladen und mir angeguckt.

    Reuning: In diesem Facebook-Profil ist zu lesen, dass der mutmaßliche Attentäter männlich ist. Er ist Single, er betreibt E-Sport und ist Anhänger von World of Warcraft. Ist das ein typischer Attentäter?

    Schönherr: Also, wie haben uns ja im Vorfeld schon drüber unterhalten, Arndt Reuning: Es gibt wirklich viele Massaker, die von Attentätern geführt werden, die diesem Profil entsprechen. Aber das heißt - und das belegen eigentlich auch alle seriösen Studien - noch lange nicht, dass jemand, der diese Computerspiele spielt und der keinen Sport treibt, sondern nur E-Sport, wie B. das nennt, also das heißt Tischtennis oder was auch immer dann am PC spielt, dass diese Leute zu Massenmördern werden. Das wird eine Diskussion jetzt wieder einleiten, die auf uns zukommt.

    Reuning: Welche Rolle spielt das soziale Kurznachrichten-Netzwerk Twitter denn in diesem Fall?

    Schönherr: Bei Anders B. offenbar eine geringe Rolle. Er ist nur einmal in Twitter aufgetaucht, jedenfalls ist das von ihm bekannt - ein historisches Zitat über die Macht eines Einzelnen. Und abgesetzt hat er diese Nachricht am 17. Juli, kurz vor dem Attentat sozusagen. Auch seine Facebook-Präsenz ist erst eine Woche vor seinen Attentaten passiert. Wahrscheinlich hatte er vorher schon andere Profile angelegt. Interessant ist, dass von der Insel Leute um Hilfe gerufen haben über Twitter und deswegen von Nachbarinseln Schiffe gerufen wurden.

    Link:

    Aktuell zum Attentat