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Norwegischer Attentäter ist "eine Art Selbstradikalisierer"

Der ARD-Extremismusexperte Stefan Schölermann weist darauf hin, wie schwer es für die Polizei sei, Täter wie den Norweger Anders Behring B. an ihren Taten zu hindern. Wenn die Personen nicht mit anderen kommunizieren würden, sei es unmöglich, durch V-Männer an sie heranzukommen.

Stefan Schölermann im Gespräch mit Bettina Klein | 25.07.2011
    Bettina Klein: Norwegen versucht, mit einem Verbrechen fertig zu werden, das bei vielen schlicht Fassungslosigkeit ausgelöst hat. Noch ist gar nicht klar, wie sehr es das Land verändern wird. Inzwischen wird gemeldet, dass der Hafttermin für den mutmaßlichen Täter unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird. Das hat der zuständige Richter entschieden und entzieht dem Mann damit die öffentliche Bühne. Heute Mittag hat das Land mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht. Zugeschaltet ist uns nun Stefan Schölermann, Extremismusexperte für die ARD. Herr Schölermann, lassen Sie uns schauen auf die Geisteshaltung, die aus dem Pamphlet des mutmaßlichen Täters spricht. Das ist das Einzige, was wir von ihm ja in dieser konkreten Form vorliegen haben. Wie würden Sie das beschreiben?

    Stefan Schölermann: Das ist ganz schwer. Es trägt ein bisschen manische Handzüge, würde ich mal sagen. Das Pamphlet hat 1516 Seiten, es ist verziert mit dem roten Kreuz des Templerordens. Er selbst hat ja angegeben, er sei Freimaurer. Das heißt, er hat offenkundig einen Hang zu Verschwörungen. Und wes Geistes Kind er ist, macht er unter anderem auch deutlich. In zwölf Einträgen findet sich Angela Merkel wieder und er beschreibt sie beispielsweise als eine Führungsfigur einer Euro-Arabisierung, unterstellt ihr den Versuch, Europa durch EU-Erweiterung der Islamisierung freizugeben, bezeichnet sie als Kulturmarxistin, selbstmörderische Humanistin. "Wir bekämpfen die imperialistischen Marxisten wie einst Sitting Bull gegen die Yankees und Figuren wie Merkel sind die General Custers der Neuzeit." Das heißt, was da deutlich wird, ist eine Angst vor Islam, vor Überfremdung, es ist ein Fremdenhass darin, er befindet sich praktisch aus seiner Sicht in einem Endkampf um den Erhalt des christlichen Abendlandes. Ich glaube, das ist die Geisteshaltung, wenn man eine solche Geisteshaltung als solche bezeichnen will.

    Klein: Kann man dem eine allgemeinere Strömung zuordnen? Die Stichworte, die gefallen sind: christlich-fundamentalistisch, rechtsextremistisch, Multikulti-Hasser, islamfeindlich. Gibt es eine Strömung, die man unter diesen Überbegriffen tatsächlich subsumieren kann?

    Schölermann: Ich glaube, das ist von allem ein bisschen was. Die Elemente, die er nennt, sind eindeutig rechtsextremistisch motiviert. Aber es ist ja eine Strömung, das ist ein Spezifikum von Norwegen. Wir haben keine ausgeprägte rechtsextreme Szene, wir haben aber sehr wohl einen großen Rechtspopulismus, und da gibt es natürlich Schnittmengen, denn auch die Rechtspopulisten der Freiheitspartei fürchten um den Untergang des Abendlandes, fürchten die Homo-Ehe, fürchten das Gespräch über Abtreibung, fürchten sich vor Überfremdung. Das ist so diese eine Welle, die verschiedene Peaks, verschiedene Höhepunkte eigentlich hat, verschiedene Ausprägungen hat.

    Klein: Und eine Szene, die so, wie Sie sie jetzt beschrieben haben, vor allen Dingen im Internet vorzufinden ist?

    Schölermann: Das ist ganz offenkundig so. Wir wissen von ihm beispielsweise in keiner Weise, dass er sich mit richtigen Menschen getroffen hätte. Wir wissen, dass er vor Jahren einerseits in einem rechtsextremen Forum verkehrt hat in Schweden, dort war er gemeldet. Er bezieht sich andererseits auch in seinen Seiten auf den Blogger Fjordman. Das ist ein christlicher Fundamentalist, dessen Identität nicht genau bekannt ist. Und in diesem Blog gibt es auch eine deutsche Seite, auf der dann auch christliche Fundamentalisten hierzulande miteinander kommunizieren. Aber das genau zu erfassen, ist ganz schwer, weil auch für die Verfassungsschutzbehörden es ja die Frage ist, ob sie die überhaupt beobachten können. Christlicher Fundamentalismus ist ja keine Angelegenheit der Verfassungsschützer. Und das ist so ein brisantes Gemisch in irgendeiner Weise, das einfach schwer zu benennen ist.

    Klein: Christlicher Fundamentalismus, das ist etwas, worüber wir aus den USA immer wieder mal berichtet haben, weniger aus Europa. Ist das jetzt hier ein neues Phänomen oder eines, wo die Behörden jetzt erst darauf aufmerksam werden?

    Schölermann: Ich habe das Gefühl, der Fokus ist jetzt erst darauf gerichtet. Er selbst gibt beispielsweise an, mit ähnlich denkenden Leuten in England schon verkehrt zu haben. Natürlich gibt es so was schon immer, aber es hat natürlich auch eine gewisse Kultur oder eine gewisse Konjunktur. Es ist das Spiegelbild einer moderner werdenden Gesellschaft und die Kehrseite besinnt sich auf das, was sie meint, konservative Werte. Und wenn Bewegungen wie die Pro-Bewegung einen Zulauf haben – und in Norwegen hatten sie das zumindest eine ganze Weile -, dann gibt es dort ähnliche Tendenzen. Auch christliche Fundamentalisten fürchten Islamisierung, fürchten eine Arabisierung. Das sind ähnliche Elemente zumindest, die dort geteilt werden.

    Klein: Wir haben darüber gesprochen, dass sich das vor allen Dingen im Internet ausdrückt. Wie würden Sie den politischen Einfluss beschreiben, den solche Strömungen haben?

    Schölermann: Schwer zu sagen, weil man keine Zahlen kennt, das muss man ehrlicherweise sagen, wie viele Leute an diesen Blogs teilnehmen. Es gibt Blogs, da sind 300, 400 Leute. Aber ob es sich immer um dieselben, ob es sich um unterschiedliche Menschen handelt oder dieselben Menschen mit unterschiedlichen Identitäten handelt, ist ganz schwer zu sagen, zumal wir auch bei ihm nur wissen, dass er über Blogs kommuniziert hat und über Foren, aber wir wissen nicht, mit welchen Menschen er wirklich verkehrt hat.

    Klein: Inzwischen debattieren wir in Deutschland schon wieder über Fragen der inneren Sicherheit. Interessant wäre ja auch noch mal festzuhalten, wie das eigentlich in Norwegen war. Wie schätzen die Behörden das ein? Haben deren Mittel versagt, oder ist nach dem, was die anwenden dürfen und können, das überhaupt nicht möglich gewesen, solche Pläne offenzulegen?

    Schölermann: Zwei Dinge. Das erste ist: Die rechtsextreme Szene, die gewaltbereite Szene, wie wir sie hier kennen, in anderen Teilen Skandinaviens kennen, gibt es in Norwegen eigentlich nicht. Es gibt rechtsextreme Netzwerke, aber die sind weitestgehend unter der Oberfläche und sie treten auch nicht in Erscheinung. Das heißt, man muss ihnen offenbar auch nicht so viel Aufmerksamkeit schenken wie hierzulande. Das ist das eine. Das Zweite ist aber: Selbst wenn dieser Fall sich hierzulande abgespielt hätte, hätten die Behörden Probleme gehabt, denn die sind im rechtsextremen Spektrum ganz gut vernetzt, anders als im islamistischen Spektrum, oder in linksextremen Spektren. Die sind Klandestiner. Bei Rechtsextremisten ist es für die Polizei oder für die Behörden relativ leicht, V-Männer zu gewinnen, die dort ihnen erzählen, was in der Szene sich tut. Nur dazu muss ja jemand erst mal mit anderen aus dem Spektrum kommunizieren, muss mit ihnen sprechen, und genau das ist bei ihm offenkundig nicht der Fall gewesen. Er hat nicht sich mit Leuten getroffen, das ist quasi eine Art Selbstradikalisierer, ein Phänomen, das die Sicherheitsbehörden fürchten auch im Islamismus, beispielsweise bei Leuten, die nicht in die Moschee gehen, sondern im Grunde genommen ihren Glauben oder ihren Hass aufladen über Hassvideos im Internet und Ähnliches. Die sind schwer zu erfassen.

    Klein: Das heißt, man kann im Moment wirklich auch noch nicht sagen, wie sehr er in einer solchen Szene verwurzelt gewesen ist oder ob er vor allen Dingen für seine eigenen kruden Ideen steht? Und da haben wir den Kollegen Stefan Schölermann aus der Leitung verloren. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.