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Anlagenbezogene Überprüfung der Sicherheitsstandards seien wichtig

Mit der Kernenergie und ihren Folgen für die Energieversorgung insgesamt beschäftigt sich beim Öko-Institut in Darmstadt Beate Kallenbach. Sie leitet dort den Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit und zeigt die Folgen der Laufzeitverlängerung auf.

Beate Kallenbach im Gespräch mit Georg Ehring | 06.09.2010
    Georg Ehring: Guten Tag, Frau Kallenbach.

    Beate Kallenbach: Guten Tag, Herr Ehring.

    Ehring: Frau Kallenbach, die Brücke wird verlängert. Brauchen die erneuerbaren Energien eigentlich diese längere Brücke?

    Kallenbach: Es hat ja schon bereits, bevor man angefangen hat, jetzt in den letzten Monaten so intensiv über die verschiedenen Varianten von Verlängerung mehr oder weniger zu diskutieren, Energieszenarien und Gutachten dazugegeben, die eindeutig gezeigt haben, dass der Ausbau der Erneuerbaren auch ohne eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke möglich wäre. Insofern hätte man diese ganze Diskussion an der Stelle aus meiner Sicht nicht gebraucht.

    Ehring: Nun sollen die Atomkraftwerke, die älteren, acht Jahre länger laufen, die neueren 14 Jahre länger. Was sagen Sie zu dieser Aufteilung?

    Kallenbach: Prinzipiell ist es natürlich richtig, dass man von der Grundidee unterschiedlicher, wenn man da schon über Laufzeitverlängerung nachdenkt, da auch Unterschiede in der Qualität bei alten und bei neuen Anlagen damit berücksichtigt. Was aus meiner Sicht überhaupt nicht geht, ist zu sagen, wir haben jetzt hier irgendwie so eine Art Freifahrtsschein, für die einen noch mal acht Jahre und die anderen noch mal 14, sondern wenn man es mit der Sicherheit ernst meint, muss man sich hier natürlich einer ganz klaren anlagenbezogenen Überprüfung des Sicherheitsstandards dann auch stellen. Da kommt auf die Länder, denke ich, viel Arbeit zu, da tatsächlich festzustellen, auf welchem Sicherheitsstandard die Anlagen sich bewegen und was getan werden muss, um einen noch zu definierenden Sicherheitsstandard, den man überhaupt ansetzen will, wenn man diese Verlängerung zugrunde legt, um da dann hinzukommen.

    Ehring: Wo sehen Sie denn die größten Defizite?

    Kallenbach: Die sind wie gesagt natürlich bei den alten und neuen Anlagen unterschiedlich. Alte Anlagen sind zum einen natürlich von der technischen Konzeption her an vielen Stellen eben noch nicht so fortgeschritten wie die neueren. Das betrifft natürlich zum einen die Debatte, die jetzt ja auch ins Spiel gebracht wurde, um die Dicke der Betonhüllen. Da werden natürlich, wenn man tatsächlich das Kriterium Flugzeugabsturzsicherheit anlegt, die Anlagen unterschiedlich dastehen, um irgendwie nachweisen zu können, dass sie dem standhalten. Es gibt aber auch hinsichtlich der sogenannten räumlichen Trennung, zum Beispiel wie weit hat man verschiedene sicherheitstechnische Einrichtung innerhalb der Anlage räumlich so voneinander getrennt, dass sie im Fall von Brand, Überflutung oder Ähnlichem weniger anfällig sind, durchaus Unterschiede bei neueren und älteren Anlagen.

    Ehring: Sind gerade die älteren Atomkraftwerke, die ja die Laufzeit auch nicht so lange verlängert bekommen sollen, sind die dann wirtschaftlich zu betreiben, wenn man sie zum Beispiel mit dickeren Betonhüllen versehen muss?

    Kallenbach: Das wird sich im Detail zeigen müssen. Das hängt natürlich wirklich davon ab, welche Sicherheitsstandards werden da zugrunde gelegt, und letztendlich auch von der Rechnung, die der Betreiber dann jeweils für sich selber aufstellt, was er da noch investieren will in so eine alte Anlage. Es gibt bestimmte Nachrüstungen, wenn man insbesondere an die Betonkuppel denkt, das wären natürlich Dinge, die ausgesprochen kostenintensiv wären, wenn man sie überhaupt in Angriff nehmen kann. Ich meine, da spielen bei verschiedenen Dingen nicht nur die Kosten eine Rolle, sondern auch wirklich die Frage, ist das überhaupt technisch machbar, habe ich genug Platz, um überhaupt da irgendwie gegebenenfalls eine Kuppel dicker zu bauen, geht das überhaupt von der Statik her, kann ich innerhalb der Anlage die notwendigen Verbesserungen machen. Das ist wie gesagt nicht nur eine Kostenfrage, aber natürlich auch, und an vielen Stellen wird die wahrscheinlich auch entscheidend sein.

    Ehring: Rechnen Sie also damit, dass das eine oder andere Atomkraftwerk trotz Verlängerung vorzeitig vom Netz geht?

    Kallenbach: Ich würde es zumindest nicht ganz ausschließen.

    Ehring: Was heißt denn der Kompromiss jetzt für den Atommüll? Auf wie viel mehr radioaktiven Abfall muss sich die Gesellschaft eigentlich einstellen?

    Kallenbach: Da muss man natürlich unterscheiden zwischen zum einen den sogenannten hoch radioaktiven Abfällen, worunter vor allen Dingen auch die abgebrannten Brennelemente fallen, für die es bisher ja noch gar kein Endlager in Deutschland gibt. Das heißt, auch die Diskussion um dieses Endlager wird aus meiner Sicht jetzt, indem man dieses Thema wieder, das so sehr gesellschaftlich umstritten ist, in der Diskussion hat, erheblich erschwert werden. Das heißt, wir haben da schon mal das Problem, tatsächlich in der Suche nach einem Endlagerstandort für die abgebrannten Brennelemente voranzukommen. Das ist die eine Sache.
    Zum anderen gibt es an den Standorten der Kernkraftwerke diese Zwischenlager für die abgebrannten Brennelemente. Da werden die Kapazitäten aus meiner Sicht bei den 14 Jahren nicht ausreichen. Vor allen Dingen werden auch die genehmigten Laufzeiten von 40 Jahren, die diese Zwischenlager haben, nicht ausreichen. Das heißt, da muss man tatsächlich noch mal nachlegen.

    Ehring: Herzlichen Dank! – Das war Beate Kallenbach vom Öko-Institut Darmstadt, Leiterin des Bereiches Nukleartechnik und Anlagensicherheit.

    Weitere Informationen zum Thema auf DRadio.de:
    Beiträge 2010-09-06 Merkel lobt Energiekonzept als "Revolution" - Regierung zeigt sich zufrieden mit Atomkompromiss, Kritik von Opposition, Schwerpunkt vom 6.9.2010