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AOK-Chef: Nächste Gesundheitsreform ist absehbar

AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens rechnet nach dem Inkrafttreten der Gesundheitsreform mit schnellen Änderungen. "Das Gesetz löst die Probleme nicht, die es lösen soll", sagte der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes. In einigen Passagen sei es gar unpraktikabel und müsse schnell geändert werden.

Moderation: Gerd Breker | 02.02.2007
    Gerd Breker: Die zuständige Ministerin kann es noch hören. Viele andere haben allerdings Schwierigkeiten mit dem Wort Gesundheitsreform. Es hängt halt irgendwo raus. Nur wir sind alle betroffen und können uns dem nicht entziehen. Heute also die Abschlussveranstaltung, die Abstimmung über das mühselige Reformwerk, was den Namen Gesundheitsreform trägt. Es wird alles gut gehen, im Sinne der Großen Koalition zumindest. Schließlich stimmten die Probeabstimmungen zuversichtlich für den heutigen Tag.

    Am Telefon begrüße ich nun den Vorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Hans Jürgen Ahrens. Guten Tag, Herr Ahrens!

    Ahrens: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Sie haben schon vor dieser Abstimmung Ihren Widerstand gegen die Reform aufgegeben. Was ist das, Resignation? Fügt sich da einer ins Unvermeintliche? Don Quichote kämpft nicht mehr gegen Windmühlen?

    Ahrens: Nein. Es ist einfach so: Die Kritik bleibt in vollem Umfang weiter bestehen. Das Gesetz löst die Probleme nicht, die es lösen soll. Nur es gibt einen Unterschied. Es liegt jetzt ein Gesetz vor, und wenn ein Gesetz vorliegt, dann hat es auch Anspruch darauf, umgesetzt zu werden, zumindest dort, wo es umgesetzt wird.

    Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wir dürfen nicht vergessen, wir haben ja einiges erreicht durch unseren Widerstand. Erstens die Finanzmittel, die gehen jetzt dorthin, wo Kranke sind, durch den morbiditätsorientierten RSA. Zweitens, dieser Beitragseinzug ist so geblieben, wie er richtig war. Drittens, die Insolvenzregelung ist jetzt in einem Sondergesetz, so dass man vielleicht auch damit leben kann. Viertens, es gibt mehr Geld für dieses System und fünfstens, der Fonds ist verschoben auf 2009. Und dann werden wir sehen, was dann kommt.

    Breker: Sie sagen es, Herr Ahrens. Fast alle haben noch kurz vor Schluss etwas für sich herausschlagen können: die Privatkassen, die Krankenhäuser, die Pharmaindustrie, die Ärzte und zum Trost schießt Vater Staat auch noch ein paar Milliarden ins System. Also Ihr Fazit wäre, es hätte noch viel schlimmer kommen können?

    Ahrens: Unser Fazit ist Folgendes: Wir sagen, es liegt jetzt ein Gesetz vor, wo wir es geschafft haben, dass wir in diesem Gesetz noch eine Veränderung durchgeführt haben. Aber dieses Gesetz hat Chancen; die können wir jetzt gleich nutzen. Das werden wir tun, zum Beispiel dass man sagt, wir können den Versicherten jetzt unterschiedliche Tarife anbieten. Es gibt auch mehr Wettbewerb mit den Leistungserbringern, nicht ganz in dem Umfang, wie wir uns das vorgestellt haben. Der andere Punkt ist auch der, dass wir sagen: Dort allerdings, wo es Unausgereiftheiten gibt, handwerkliche Fehler gibt, beim Fonds beispielsweise, da muss allerdings erheblich nachgebessert werden. Denn wenn so ein Teil funktionieren soll, dann muss man auch dafür Sorge tragen, dass es das tut. Zurzeit wird das nicht der Fall sein.

    Oder zum Beispiel: Es kann nicht angehen, dass wir immer noch eine Regelung haben, wenn jemand schwer krank wird und er dann keine Vorsorge getroffen hat, dass er dann mehr Geld bezahlen muss für Arzneimittel. Diese Dinge die müssen heraus, aber ich hoffe, da haben wir noch ein bisschen Zeit, um dort nachzubessern.

    Breker: Auffällig in dieser Prozedur war ja, Herr Ahrens, dass die Experten der Parteien in dem zuständigen Ausschuss, etwa die elf Mitglieder der SPD im Gesundheitsausschuss, davon haben sechs bei der Abstimmung gekniffen. Daraus muss man doch irgendetwas lernen. Was sagt uns das?

    Ahrens: Es sagt uns ganz eindeutig: Bei diesem Gesetz und diesem Vorgang handelt es sich um einen politisch gewollten Kompromiss. Dieser politisch gewollte Kompromiss, der hat, ich glaube mal, auch vielleicht andere Zielrichtungen als unbedingt die Zielrichtung, die diese Experten im Auge hatten. Also die Kritik an diesem Gesetz bleibt weiter bestehen. Das ist gar keine Frage. Aber es ist nun mal da. Und nun müssen wir sehen, wie wir damit umgehen.

    Breker: Es ist nun mal da und für die Versicherten, Herr Ahrens, nennen wir es, die gefühlte Reform bedeutet einfach nur mehr Zuzahlung und höhere Beiträge.

    Ahrens: Wir müssen jetzt wirklich sehen, wir dürfen jetzt nicht so tun, als sei dieses Gesetz, das jetzt auf dem Markt liegt, als sei das unverrückbar, weil ich auch glaube, dass diejenigen, die das Gesetz beschlossen haben, jetzt ein bisschen Zeit haben, um sorgfältig zu prüfen, welche Auswirkungen das hat. Da liegen einige positive Ansätze drin. Die werden wir jetzt auch sofort versuchen anzubieten. Das sind die unterschiedlichen Tarife. Es liegen einige Gefahren darin, und darüber müssen wir reden miteinander: Wie gehen wir damit um und wie können wir diesen Gefahren begegnen? Es ist ja eine gewisse Einsicht da, zum Beispiel was die Frage von Beiträgen angeht, indem die Koalition jetzt ja doch darüber nachdenkt, dass die Steuerzuschüsse, die ja gekürzt waren, jetzt wieder aufgebaut werden. In diesem Sinne müssen wir nun weiter miteinander konferieren, weil ich glaube, es hat jetzt keinen Zweck, Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern man muss einfach die Devise ausgeben, Chancen nutzen und Risiken minimieren oder dort, wo sie nicht minimierbar sind, dafür Sorge zu tragen, dass sie ausgehebelt werden.

    Breker: Gedacht war ja an eine Strukturreform, die das Gesundheitssystem langfristig lebensfähig macht, lebensfähig hält. Ist das gelungen?

    Ahrens: Nein. Wir haben hier ein Gesetz vorliegen. Dieses Gesetz hat die politischen Vorstellungen von zwei großen Parteien versucht zusammenzuführen. Aber der große Wurf, dass damit nun strukturell etwas verändert wird und dass wir dann auf lange Sicht hin Ruhe haben werden, der ist damit sicherlich nicht gelungen. Deshalb bin ich auch ziemlich sicher, dass dieser Reform sehr schnell Weitere folgen werden.

    Breker: Sie sagen es: Zwei große Parteien haben sich zusammengetan. Ist Ihr Eindruck, Herr Ahrens, dass SPD und Union sich vor allen Dingen mit dieser Reform Optionen für spätere, für nachkommende Legislaturperioden offen halten wollten?

    Ahrens: Ich habe den Eindruck, da keine der beiden großen Parteien sich mit ihren Vorstellungen hundertprozentig wiederfindet, dass sich damit doch die Hoffnung verbindet, dass, wenn es andere Konstellationen gibt, dass man dann vielleicht in der Lage ist, das umzusetzen was man gerne umgesetzt hätte.

    Breker: Und gemessen an den Ansprüchen vorher, wo stehen wir jetzt nachher?

    Ahrens: Es ist gar keine Frage: Mit diesem Gesetz werden die Eckpunkte, die die Koalition sich gesetzt hat, nicht erfüllt. Es wird weder eine dauerhafte Finanzierung geben noch mehr Wettbewerb geben. Es sind Ansätze da. Diese Ansätze, die kann man weiter ausarbeiten. Aber man muss einfach konstatieren: Es gibt hier einen politischen Willen für einen Kompromiss. Der ist jetzt Gesetz geworden, und jetzt müssen wir sehen, erstens, was machen wir daraus, wie können wir die Vorteile, die darin liegen, nutzen, wie können wir die Risiken minimieren und wie können wir dafür Sorge tragen, dass die Zielrichtung, die in den Eckpunkten gelegen hat, vielleicht doch noch erreicht wird.

    Breker: Ein Jahrhundertwerk, Herr Ahrens, war uns angekündigt. Was sagt der Experte? Wann kommt die nächste Reform?

    Ahrens: Erstmal wird auch dieses Gesetz sehr schnell verändert werden müssen, einfach deshalb, weil es in einigen Passagen gar nicht klappen kann. Wenn die Koalition der Meinung ist, dass die Eckpunkte, die sie vorgestellt hat, Grundlage einer Reform sein sollten, dann werden sicherlich noch sehr bald neue Schritte kommen müssen.

    Breker: Ist der heutige Tag, Herr Ahrens, aus Ihrer Sicht ein wichtiger Tag, den man sich im Kalender anstreichen sollte, oder ist das eigentlich ein Alltag?

    Ahrens: Nein, das ist schon ein wichtiger Tag. Man muss einfach sagen: Es ist schon bemerkenswert, wenn ein Gesetz beschlossen wird, dem so viel Widerstand entgegengesetzt worden ist, und zwar von allen Gruppierungen der Bevölkerung und von den Menschen auch selbst. Wenn ein solches Gesetz dann beschlossen wird, ist es schon ein wichtiger Tag. Das heißt aber noch nicht, dass man nun in Trauer und Asche gehen muss, sondern man muss jetzt sehen, wenn ein solches Gesetz vorliegt, wie man versucht es umzusetzen, da wo es umsetzbar ist.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes Hans Jürgen Ahrens. Herr Ahrens, danke für dieses Gespräch.

    Ahrens: Gerne. Auf Wiederhören.