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ARD-Sommerinterview
Merkel reagiert gelassen auf Gabriels Distanzierungsversuche

Kanzlerin Merkel zeigt sich von Vizekanzler Gabriels Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik unbeeindruckt. Die Bundesregierung habe bereits vieles erreicht - etwa bei der Sicherheit, sagte Merkel im ARD-Sommerinterview. In der Frage der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU setzt die Kanzlerin weiter auf Verhandlungen.

Von Stefan Maas | 28.08.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU) wird am 28.08.2016 auf einer Empore des Elisabeth-Lüders-Hauses in Berlin von den ARD-Moderatoren Tina Hassel und Thomas Baumann befragt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommerinterview der ARD (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Beim Thema Flüchtlinge und Integration kann sich die Kanzlerin normalerweise eher auf die Unterstützung der Sozialdemokraten verlassen als auf die Schwesterpartei CSU. Im Sommerinterview des ZDF aber kritisiert Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel die Union und auch Angela Merkel deutlich: "Es reicht nicht, wenn sie ständig sagen, wir schaffen das. Sondern sie müssen die Voraussetzungen dafür, dass wir das auch hinkriegen. Und das hat die CDU/CSU immer blockiert. Es hat immer ein Jahr gedauert, bis wir so weit waren, Geld für die Kommunen bereit zu stellen. Es hat ein Jahr gedauert, anderthalb sogar, bis wir den Ländern geholfen haben. Das heißt, wir haben nichts getan, oder die CDU wollte nichts tun im Bereich innerer Sicherheit. Wir Sozialdemokraten haben 3000 Polizeistellen durchsetzen müssen, die CDU wollte das gar nicht." Gabriel erklärt, es gebe eine Obergrenze bei der Integration von Flüchtlingen: "Wir haben immer gesagt, es ist undenkbar, dass Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen aufnimmt."
    Aktuelle Zahlen zeigen allerdings, dass ein solches Szenario in diesem Jahr – zumindest nach aktueller Lage – unwahrscheinlich ist. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein starker Rückgang der Flüchtlingszahlen zu beobachten. Sofern das Türkei-Abkommen Bestand hat und die Balkan-Route geschlossen bleibt, rechne er mit 250 bis 300-tausend Flüchtlingen, die nach Deutschland kämen, sagte der Leiter des BAMF, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise der Bild am Sonntag. Bis zu dieser Zahl könne seine Behörde einen optimalen Ablauf garantieren. Kämen mehr Menschen, käme seine Behörde unter Druck. Zustände wie im vergangenen Jahr seien aber selbst dann nicht mehr zu erwarten. Allerdings würden die Verfahren dann länger dauern als angestrebt.
    Merkel will Ablehnung von muslimischen Flüchtlingen nicht hinnehmen
    Die Kanzlerin selbst reagiert im Sommerinterview der ARD gelassen auf die Distanzierungsversuche ihres Vizekanzlers. "Also, ich beteilige mich jetzt nicht daran, zu sagen, wer hat wo mehr Bedenken gehabt." Man habe bereits vieles erreicht, sagt Angela Merkel: "Wir haben sowohl viele Geldmittel in die Hand genommen, aber wir haben vor allem auch viel Gesetzesarbeit geleistet, um die Sicherheit zu verbessern, um zum Teil die Gesetzgebung zu verstärken. Und, wissen Sie, wir haben alles gemeinsam beschlossen, wir haben auch vieles sehr sehr schnell beschlossen. Und ich glaube, dass, was noch ansteht, zum Beispiel auch Maßnahmen mit Blick auf die innere Sicherheit in den nächsten Wochen wieder gemeinsam zu beschließen."
    Weniger erfolgreich waren in dieser Woche die Reisen der Bundeskanzlerin zu vielen europäischen Regierungschefs. Zumindest wenn es um die Frage nach der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU ging: "Ich glaube, dass wir eine gemeinsame Lösung finden müssen, und dass jeder seinen Anteil zu dem gesamten Thema leisten muss. Wie dann die einzelnen Komponenten gewichtet werden, muss man sehen. Was ich nach wie vor finde, was nicht geht, dass einige Länder sagen, Muslime wollen wir generell in unserem Land nicht haben, egal ob das auch humanitären Gründen notwendig ist oder auch nicht. Darüber müssen wir weiter sprechen."
    Kanzlerin will Gemeinsamkeiten in der EU-Flüchtlingspolitik ausloten
    Angela Merkel hatte sich unter anderem mit den Regierungschefs der so genannten Visegrad-Gruppe getroffen. Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Diese stehen der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin besonders ablehnend gegenüber. So hatte der ungarische Ministerpräsident Orban am Freitag angekündigt, die ungarischen Anlagen an der Grenze zu Serbien zu verstärken, um gewappnet zu sein, sollte die Türkei den Flüchtlingsdeal mit der Europäischen Union aufkündigen.
    Merkel hatte vor ihren Treffen immer wieder betont, nach dem Referendum in Großbritannien müsse es nun darum gehen, die Gemeinsamkeiten in den verbleibenden 27 EU-Staaten auszuloten. Das wiederholte sie auch im ARD-Interview. Mitte September werden sich die EU-Mitglieder in Bratislava treffen, um über die Zukunft der Union zu beraten.