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Asyl
Flüchtlinge oft mit niedrigem Bildungsstand

Diese Schlagzeile überraschte: Flüchtlinge, die nach Europa kommen, seien besser qualifiziert als bislang vermutet. Die Zahlen dazu stammten allerdings aus Österreich. Da stellt sich die Frage: Wie sieht es in Deutschland aus? Ist das Qualifikationsniveau der hierzulande angekommenen Flüchtlinge ähnlich hoch?

Von Renate Bölingen und Matthias Götte | 14.01.2016
    Ein Arbeiter im Blaumann demonstriert zwei schwarzen Auszubildenden in einer Werkhalle einen Arbeitschritt.
    Flüchtlinge werden in einem Betrieb in Bayern ausgebildet. (dpa/picture alliance/Sven Hoppe)
    So sah es in unserem Nachbarland aus: Die Zahlen stammen vom "Arbeitsmarktservice Österreich", dem Gegenstück zur deutschen Bundesagentur für Arbeit. Demnach besaßen 67 Prozent der befragten Flüchtlinge eine abgeschlossene Berufsausbildung, einen Schulabschluss oder gar ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Bei den Flüchtlingen aus dem Irak waren es 73 Prozent, bei jenen aus dem Iran sogar 90 Prozent.
    Bemerkenswert: Bei den weiblichen befragten Asylberechtigten waren die Prozentzahlen sogar noch höher. Schlecht schnitten dagegen Flüchtlinge aus Afghanistan ab: Nur 26 Prozent von ihnen hatten eine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung. 30 Prozent waren überhaupt nicht in der Schule. Dies liegt vermutlich daran, dass dort der Schulbesuch teilweise verboten war.
    In Deutschland gibt es nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums keine repräsentativen Daten zur Qualifikationsstruktur. Zur Begründung erklärt das Ministerium: "Der Bildungsstand und die berufliche Qualifikation wurden bei Ankunft der Flüchtlinge bislang nicht erfasst, weil diese Angaben für das sich anschließende Asylverfahren nicht relevant sind."
    Der Flüchtling im weißen Hemd beugt sich über einen Tisch, an dem eine Betreuerin sitzt.
    Ein Flüchtling wird im Ausbildungsbetrieb "Werkstatt Bremen" unterrichtet. (Deutschlandradio, Franziska Rattei)
    Erste Anhaltspunkte über die Situation in Deutschland gibt allerdings eine Studie, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Januar herausgab. Dazu wurden 2014 rund 2.800 Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge unter anderem aus Afghanistan, Irak und Syrien über ihre Lebenssituation befragt. Die Zahlen weichen deutlich von jenen aus Österreich ab: Nur rund 10 Prozent dieser Flüchtlinge haben demnach einen höheren Schulabschluss bzw. ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Und von diesen sind nur wenige in akademischen Berufen tätig. Dazu heißt es in der Studie: "Dies könnte ein Hinweis sein, dass höher qualifizierte Befragte, insbesondere solche mit Studienabschluss, unterhalb ihres Bildungsniveaus beschäftigt sind". Das entspricht dem oft gezeichneten Bild des in Deutschland taxifahrenden promovierten Wissenschaftlers aus dem Irak.
    Das Bundesamt verfügt auch über Zahlen des vergangenen Jahres. Sie beruhen auf freiwilligen Selbstauskünften und sind deshalb trotz hoher Fallzahlen nicht repräsentativ, wie das Bundesamt betont. Demnach haben unter den 2015 befragten Flüchtlingen 13 Prozent eine Hochschule besucht, rund 17 Prozent ein Gymnasium und 30 Prozent eine Haupt- oder Realschule. 24 Prozent der Befragten hatten lediglich eine Grundschule besucht, 8 Prozent gar keine Schule.
    Der Auszubildende sitzt im grauen Overall und Schutzbrille einer grünen Maschine an einer Maschine.
    Ein auszubildender Flüchtling beim Fahrzeug- und Maschinenhersteller MAN. (Deutschlandradio/Susanne Lettenbauer)
    Auch das sind Zahlen, die erheblich von jenen in Österreich abweichen. Das passt zu einer Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einer Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Das Institut stellt fest: Es "kann davon ausgegangen werden, dass die berufliche Qualifikation der Flüchtlinge nicht nur deutlich geringer ist als die des Durchschnitts der Deutschen, sondern auch anderer Ausländer oder Migrantengruppen." Es bleibe hier bei der Integration einiges zu tun, folgert das Institut: Das künftige Fachkräftepotenzial werde erheblich von Investitionen in Bildung und Ausbildung abhängen. Im Klartext: Soll der Mangel an Fachkräften in Deutschland durch die vielen Flüchtlinge gemindert werden - wie es sich ja viele in Wirtschaft und Politik erhoffen - dann bleibt also noch einiges zu tun.
    Für diese Aufgabe sieht sich die deutsche Industrie gewappnet: Der deutsche Industrie- und Handelskammertag verweist auf die duale Ausbildung. "In der DIHK-Lehrstellenbörse sind zurzeit über 41.000 offene Ausbildungsplätze zu finden", sagte sein Sprecher Thomas Renner dem Deutschlandfunk. Voraussetzung seien allerdings ausreichende Deutschkenntnisse und Ausbildungsreife. Fehle beides, seien Praktika und Einstiegsqualifizierungen ein guter Anfang.