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Asyldebatte
"Nicht im Stundentakt über Gesetzesverschärfungen reden"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner hat die Union in der Asylrechtsdebatte davor gewarnt, in einen Wettbewerb mit Rechtspopulisten zu treten. Das schüre Vorbehalte, sagte er im Deutschlandfunk.

Ralf Stegner im Gespräch mit Thielko Grieß | 11.01.2016
    Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der SPD, am Rednerpult
    Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der SPD (Imago)
    CDU und CSU seien immer schnell mit Gesetzesvorschlägen, aber bei der Umsetzung hapere es. Die Koalition habe längst erleichterte Abschiebemöglichkeiten im Asylrecht verabredet. Zudem zeige der Fall des Pariser Attentäters, der in Recklinghausen gewohnt habe, dass der Datenaustausch zwischen den Behörden verbessert werden müsse, Auch das sei mit der Union längst verabredet.
    Der SPD-Vize warnte zudem vor Pauschalisierungen. Die meisten Flüchtlinge seien froh, dass sie in Deutschland Schutz fänden. Die Solidarität der SPD gelte daher 99 Prozent der Menschen. Nur eine ganz kleine Minderheit unter ihnen sei kriminell. Die jüngsten Übergriffe auf Flüchtlinge in Köln seien ein Teil der Reaktionen der aufgeheizten Debatten, fügte Stegner hinzu: "Wir müssen darauf achten, dass wir besonnen sind und nicht im Stundentakt über Gesetzesverschärfungen reden."
    SPD-Chef Gabriel hält es dagegen für sinnvoll, auch anerkannten Asylbewerbern den Wohnsitz vorzuschreiben. Bisher unterliegen nur Flüchtlinge ohne Anerkennung einer Residenzpflicht. Bundesinnenminister de Maizière sprach sich dafür aus, neben schärferen Gesetzen auch vorbeugende Aufklärung in Erstaufnahmeeinrichtungen auf den Weg zu bringen.

    Das Interview in vollständiger Länge:
    Thielko Grieß: Die Angriffe auf Frauen in Köln und andernorts in der Silvesternacht haben viel ausgelöst: Fürchterliche Gefühle bei den Opfern, den Rücktritt eines Polizeipräsidenten, Demonstrationen in Köln am Samstag, und die Debatte ist so groß und vielfältig, dass sie vor eine Reihe von Karren gespannt werden kann.
    Manche fordern jetzt weniger Zuzug oder gar keinen mehr, andere mehr Polizei, wieder andere machen auf alltäglichen Sexismus unter Nichtmigranten aufmerksam, es wird mehr Geld für Integration gefordert und Etliches mehr. Und manche dieser Stränge werden in Berlin wohl zu neuen Gesetzen gerinnen in der nächsten Zeit.
    Mitgehört hat, zugeschaltet aus Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, Mitglied des SPD-Parteivorstands. Herr Stegner, guten Morgen.
    Ralf Stegner: Schönen guten Morgen.
    Grieß: Verschärfte Gesetze für Asylbewerber, womöglich auch schnellere Abschiebungen, all das ist jetzt in der Diskussion in der Großen Koalition. Die SPD ist gesprächsbereit. Das lese ich, das höre ich an diesem Montagmorgen. Ist Ralf Stegner auch bereit?
    Stegner: Na ja, es ist doch klar, dass unsere Solidarität den 99 Prozent der Flüchtlinge gilt, die zu uns kommen, weil sie vor Verfolgung, vor Krieg, vor Elend flüchten, und nicht der ganz kleinen Minderheit, die hier straffällig werden. Die haben nicht unsere Solidarität.
    Grieß: Die Prozentzahl haben Sie jetzt aber nicht selber nachgezählt, oder?
    Stegner: Nein, aber das liegt doch auf der Hand. Die meisten Flüchtlinge, die zu uns kommen, die sind froh, dass sie bei uns Schutz finden und betätigen sich nicht kriminell. Und wir sollten auch nicht so tun, als sei das anders. Das ist nämlich eines der Probleme, mit denen wir es zu tun haben.
    Bei Kriminalität gibt es null Toleranz. Das gilt übrigens für Deutsche wie für Nichtdeutsche, um das mal hinzuzufügen. Und da muss die SPD nicht überzeugt werden, sondern das ist unsere Aufgabe. Und wir haben uns ja auch in der Großen Koalition auf Verschiedenes schon verständigt, was diesen Punkt angeht.
    Das wartet nur auf die Umsetzung. Bei der Umsetzung hapert es teilweise, wie man ja erkennen kann. Denken Sie nur an den Fall mit dem Terrorverdächtigen, der in mehreren verschiedenen Asylunterkünften war. Das zeigt, dass das mit dem Datenaustausch, mit der Registrierung besser werden muss. Das ist längst verabredet in der Koalition und muss jetzt auch endlich passieren, damit solchen Dingen vorgebeugt werden kann.
    Grieß: Nun heißt es, dass heute Morgen oder heute Vormittag in Berlin schon zwischen den Fraktionen gesprochen werden soll. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann kann man sich das eigentlich sparen, weil es gar nichts zu besprechen gibt?
    Stegner: Das will ich so nicht sagen, weil es natürlich auch Punkte gibt, die endlich passieren müssen. Sie haben das eben mit dem Sexualstrafrecht erwähnt. Das hat die SPD im Sommer schon vorgeschlagen, die Union hat sich dagegengestellt, weil das auch deutsche Ehemänner betreffen kann. Deswegen waren die da dagegen. Jetzt, wenn es verknüpft ist mit den Flüchtlingen, will man das tun. Sei es drum! Dass das jetzt passiert, ist gut.
    "Wir müssen darauf achten, dass wir besonnen sind"
    Grieß: Das ist aber schon im Dezember auf den Weg weitergeleitet worden, da war von Köln noch nicht die Rede, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit den Übergriffen.
    Stegner: Nein. Das muss aber jetzt trotzdem beschlossen und umgesetzt werden und bisher hat die Union das blockiert. Wenn sie das nicht mehr tut, ist es gut.
    Der Punkt, über den wir zu reden haben, ist, dass der Staat handlungsfähig ist, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens, indem er sich kümmert um Integration und Bildung, und zweitens, indem er sich kümmert, dass Menschen sicher sein können vor Kriminalität, und dass man das nicht durcheinanderbringt, nicht Pauschalverdächtigungen erhebt. Sie haben das ja berichtet in Ihrem Programm. Es gab heute Nacht Übergriffe gegen Flüchtlinge in Köln. Das ist ein Teil der Reaktionen der aufgeheizten Debatte. Und wir müssen darauf achten, dass wir besonnen sind und nicht im Stundentakt über Gesetzesverschärfungen reden.
    Deswegen muss es auch Gespräche in der Koalition darüber geben, dass das, was wir miteinander vereinbart haben, umgesetzt wird und nicht immer nur neue Forderungen erhoben werden. Das ist nämlich ein Teil der Schwierigkeiten, die wir in den letzten Wochen hatten.
    "Die Union ist sehr, sehr schnell immer mit Gesetzesverschärfungsvorschlägen"
    Grieß: Herr Stegner, was ist schlecht daran, wenn man die Gesetze an der Stelle verschärft, wenn es darum geht, Asylbewerber auch dann schon ausweisen zu können und abschieben zu können, wenn sie geringere Straftaten als bisher begangen haben?
    Stegner: Wir sind bereit, bei Gesetzeslücken darüber zu sprechen. Aber gerade auch die erleichterte Abschiebe-Möglichkeit für straffällig gewordene Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben wir schon verabredet. Die müssen nur noch umgesetzt werden. Und man muss das prüfen, auch da bin ich gegen einen Wettbewerb in den Presseerklärungen nach dem Motto, je schriller man formuliert umso besser. Denn natürlich gibt es auch Abschiebe-Hindernisse. Wir werden Menschen nicht in Länder schicken, wo der Henker auf sie wartet oder sie gefoltert werden. Das sind zum Beispiel Punkte, die muss man öffentlich auch genauso klar machen. Deswegen geht das manchmal nicht so schnell.
    Die Union ist sehr, sehr schnell immer mit Gesetzesverschärfungsvorschlägen, aber in der Umsetzung dessen, was wir gemacht haben, da ist sie deutlich langsamer und das muss sich verändern.
    "Die SPD will, dass der Staat handlungsfähig ist"
    Grieß: Nicht nur die Union, scheint mir, Herr Stegner. Ihr Parteichef, Sigmar Gabriel, hat sich gestern ja im Ersten Deutschen Fernsehen auch entsprechend geäußert. Er sagte zum Beispiel, wenn eine Reihe von Diebstählen zusammenkomme, dann wird in der Regel nur auf Bewährung verurteilt und dann könne man nicht abschieben. Das müsse man ändern. Der ist da schon ein Stück weiter als Sie?
    Stegner: Nein. Wir wissen, dass es relativ schwierig ist, auf die Praxis der Gerichte Einfluss zu nehmen. Wir haben eine unabhängige Justiz. Das ist schwierig und das weiß jeder, dass das kompliziert ist. Da wo der Strafrahmen vielleicht zu gering ausfällt im Gesetz, darüber kann man sprechen. Darüber haben wir übrigens Bedarf zu reden nicht nur wegen der Flüchtlinge, denn zum Beispiel die Attacken gegen Polizeibeamte, die gibt es ja auch in Deutschland von Deutschen, und da muss was verbessert werden. Darüber sind wir gesprächsbereit.
    Was ich aber falsch finde und deswegen muss man darüber politisch diskutieren ist, dass wir uns in einen Wettbewerb begeben mit den Rechtspopulisten, eine schärfere Forderung nach der anderen. Das sollten wir nicht tun. Das schürt Vorbehalte und das können wir nicht gebrauchen.
    Die SPD ist die Partei, die für Seriosität in der Regierung sorgt und will, dass der Staat handlungsfähig ist.
    Grieß: In dem gerade schon von mir angesprochenen Interview mit Parteichef Gabriel gestern ist noch ein anderes interessantes Stichwort gefallen. Hören wir da noch mal kurz rein:
    Sigmar Gabriel: "Ich finde, wir haben gute Erfahrungen gemacht auf dem Arbeitsmarkt mit verpflichtenden Integrationsvereinbarungen, wo derjenige, der kommt, sagt, was er braucht, und wir sagen, was wir von ihm fordern. Das funktioniert am Arbeitsmarkt gut. Ich finde, so etwas brauchen wir auch im Bereich der Integration von Flüchtlingen."
    "Die Integrationsaufgabe ist die eigentliche Mammutaufgabe"
    Grieß: Sigmar Gabriel gestern im Ersten. - Herr Stegner, ist das die Integrationsverpflichtung, von der CDU und CSU auch schon eine Weile sprechen?
    Stegner: Nein. Wir haben ja seit 2005 schon die Verpflichtungen für Flüchtlinge, die hier Aufenthaltsrechte haben, an Integrationskursen teilzunehmen. Es ist vor allen Dingen die Verpflichtung des Staates, dafür zu sorgen, dass es genügend solcher Integrationskurse gibt und die Hürden abzubauen, dass das auch stattfindet, dass es da keine finanziellen Schwierigkeiten gibt.
    Klar ist, die Integrationsaufgabe ist die eigentliche Mammutaufgabe. Das bedeutet, Milliarden in die Hand nehmen zur Integration von Menschen. Die Hälfte der Flüchtlinge ist unter 25. Da bestehen gute und große Chancen, dass sie auch gut integriert werden können.
    Bei den Älteren ist das schwieriger, aber das müssen wir eben tun, und das ist genau das, worauf Sigmar Gabriel hingewiesen hat, doppelte Handlungsfähigkeit des Staates, Integration auf der einen Seite und Bekämpfung der Kriminalität auf der anderen.
    Grieß: Aber warum hat er das gestern noch mal eigens erwähnt, wenn ohnehin schon alles klar ist?
    Stegner: Na ja, weil es teilweise in der Praxis nicht stattfindet, weil es nicht genügend Kurse gibt, weil Menschen viel zu lange hier warten müssen, um überhaupt Anhörungstermine zu bekommen. Auch das ist übrigens eine Vereinbarung in der Großen Koalition, die ganz alt ist, die der Bundesinnenminister sehr zögerlich umgesetzt hat, um nicht zu sagen schlecht umgesetzt hat. Das muss sich verbessern, dass Menschen nicht so lange warten, sondern dass sie schnell integriert werden können, dass sie die Spielregeln lernen, die bei uns gelten, und ich füge hinzu, die immer für alle gelten.
    Wir müssen immer aufpassen, so zu tun, als ginge es immer nur um die, die zu uns kommen, sondern es geht immer um alle Menschen, Politik für alle Menschen. Alles andere spaltet nämlich. Das ist unser Job und darauf hat der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hingewiesen.
    Grieß: Ja, der ein kreativer Mensch ist, haben wir gestern gelernt. Stichwort Wohnsitzauflage. Damit meinte Gabriel gestern auch im Gespräch, Asylbewerber sollten dazu verpflichtet werden, an einem bestimmten Ort sich niederzulassen und es ihnen nicht mehr freizustellen, damit sie nicht alle in die großen Städte kommen. Will die SPD die Asylbewerber aus ihren Familien reißen, trennen, Freundschaften nicht ermöglichen und sie in die Provinz verbannen?
    Stegner: Nein, das wollen wir nicht, und so schwarz-weiß sind die Bilder auch nicht. Aber was wir nicht brauchen können ist, dass die Probleme sich sozusagen an bestimmten Stellen konzentrieren, sondern dass wir das vernünftig machen, dass auch nicht große Kommunen die Herausforderungen alleine zu bewältigen haben.
    Die Freizügigkeit soll ja insgesamt nicht eingeschränkt werden, aber dass es auch aus fiskalischen Gründen um eine gerechte Verteilung geht, ...
    Grieß: Und wie macht man das denn vernünftig, Herr Stegner?
    Stegner: ... , das ist eine Aufgabe der Praxis, über die eben zu reden ist, und das werden wir gemeinsam lösen. Das schafft man nicht in einem Interview in 30 Sekunden.
    Grieß: Das ist schade!
    Stegner: Ja das ist aber manchmal so. Die Wirklichkeit ist leider komplexer. Das kann man nicht jeder Stellungnahme anhören, die wir am Wochenende von dem einen oder anderen gehört haben.
    Grieß: Meinen Sie damit jetzt auch wieder Ihren Parteichef?
    Stegner: Nein, den meine ich überhaupt nicht. Aber ich habe ja der CDU-Klausur zugehört. Wenn man sich das angehört hat, da haben die einen gewetteifert mit den Rechtspopulisten und die anderen setzen ein bisschen darauf, wenn man so Symbolthemen anspricht, Frau Klöckner tut das regelmäßig, dass das denjenigen hilft, die dann in die Parlamente kommen, um progressive Mehrheiten zu verhindern. Wir wollen das nicht.
    "Beim Kampf gegen rechts verstehen wir gar keinen Spaß"
    Grieß: Das war jetzt Ihr Beitrag zum Parteifrieden?
    Stegner: Ja so ist das aber manchmal. Denn schauen Sie: Es geht bei den März-Wahlen auch darum, ob sich die politische Rechte in Deutschland etabliert. Das müssen wir miteinander verhindern. Wir sehen in Europa, was es für ein Unheil anrichtet, und auch deswegen ist die Handlungsfähigkeit des Staates gefragt. Da verstehen wir gar keinen Spaß, muss ich Ihnen ehrlich sagen, beim Kampf gegen rechts.Für die ist das doch geradezu ein Segen, was da in Köln passiert ist, und wenn wir damit falsch umgehen, dann profitieren die davon. Das müssen wir dringend verhindern, indem wir weder verschweigen, was es dort gegeben hat, noch so tun, als sei die Mehrheit der Flüchtlinge, die zu uns kommt, gewaltbereit, was wirklich großer Unsinn ist. Die flüchten vor Krieg, vor Verfolgung, vor Elend.
    Grieß: Ralf Stegner, SPD-Bundesvize, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Stegner, danke!
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.