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Auf den Spuren der Burg Anhalt

Die Grafschaft Anhalt wurde vor 800 Jahren gegründet. Viele kleine Fürstentümer entstanden dort zwischen dem Harz und der Stadt Coswig ganz im Osten. Der 70-jährige Eduard Prinz von Anhalt ist ein Nachfahre der ehemaligen Fürsten und hat sich auf die Reise ins Land seiner Vorfahren begeben.

Von Susanne Arlt | 05.02.2012
    Der Weg hinauf zum Erbe der Ahnen ist beschwerlich. Die Burg Anhalt liegt 150 Meter über dem Selketal. Oder besser gesagt: die Reste der Burg. Die matte Winter-sonne taucht die bergige Landschaft in gedämpftes Licht. Eduard Prinz von Anhalt, ein stattlicher Mann, weißes gelocktes Haar, läuft einen Waldpfad zwischen Eichen und Buchen hinauf, den vor über 800 Jahren vielleicht schon seine Vorfahren ge-nommen haben. Der Ort sei ihm irgendwie vertraut, erzählt der 70-jährige auf dem Weg nach oben. Vertraut auf eine Art, die er nicht so richtig definieren könne. Vielleicht sei es das Gefühl, dass seine Altvorderen hier gewesen seien.

    "Irgendwo ist das für mich spürbar. Aber hier an diesem Urort, wo man sagt, Anhalt, hier kommt der Name her und man sieht diese Umgebung, diese schöne Umgebung. Also für mich muss ich sagen, der in Bayern aufgewachsen ist, dieses Mittelgebirge hat wesentlich mehr heimatliche Gefühle in mir geweckt, als ich es je erwartet hatte. "


    Die Strecke führt durch dichtes Unterholz, 150 Höhenmeter hinauf, dann über einen schmalen Waldweg. Endlich tauchen die ersten Ruinenreste auf. Das Fundament der Burg besteht aus Grauwacke, einem Harzer Granit-stein. Die Gebäude wurden aus Ziegelstein errichtet. Diese leuchtend rote Burg muss sehr imposant ausgesehen haben, sagt der Prinz.

    "Weiter oben sieht man dann zwischen den Wurzeln auch die Ziegel noch. Die hier auch noch gebrannt wurden in dem Dorf Anhalt unten an der Selke. Die auch sehr hart sind, aber nicht so hart wie richtiger Naturstein und richtiger Felsgestein. Dafür wie die Zeit hier genagt hat dran muss ich sagen Hut ab vor der Leistung der Handwerker damals."

    Autorin: Heute halten nur noch die Wurzel der alten Eichen, Eiben und Buchen das spröde Gemäuer zusammen. An manchen Baustämmen hängen weiße Schilder. Sie erklären dem Besucher, an welchem Ort in der Burg er geradesteht: Wohnbauten, Kellerräume, Bergfried. Doch wohin man auch blickt, überall nur noch Ruinenreste aus längst vergangenen Zeiten. Und doch lässt sich erahnen, wie groß diese mittelalterliche Festung einst war.

    "Ja wenn ich hier stehe, fühle ich mich auch froh und munter und sage, wow, diese Ruine hat diesem Land den Namen ge-geben, was jetzt 800 Jahre alt wird. Kann man stolz drauf sein, sagen, habt ihr gut gemacht! "

    Im Westen geht langsam die Sonne unter. Der blassrote Ball verschmilzt mit der gegenüberliegenden Bergkuppe, verschwindet dann ganz und gar hinter dem Berg.

    Fünfzehn Kilometer weiter nördlich der Burg Anhalt liegt Ballenstedt am Harz. Kehrt Eduard Prinz von Anhalt in seine Geburtstadt zurück, besucht er gerne das Heimatmuseum am Schlossplatz. Dort im ersten Stock be-finden sich noch die meisten Andenken an seine Kindheit: Fotos des verstorbenen Vaters bei der Jagd, Porzellan der Fürstenfamilie, seine silberne Kinderrassel mit einem eingravierten Bären und einem ein-gelassenen Wildschweinzahn, auf dem der Prinz einst mit seinen Milchzähnen gekaut hat. Viele Ausstellungsobjekte, die in Vitrinen stehen, hat Karl-Heinz Meyer gesammelt. Schon als Zehnjähriger hat er sich für die Fürstenfamilie und ihr Schloss interessiert, das auf einer Anhöhe über Ballenstedt thront.

    "Zu DDR-Zeiten sprachen wir ja nicht über Anhalt. Wir wussten als Kinder gar nicht, dass es ein Anhalt gab. Oder einen Freistaat Anhalt. Das war kein Thema. Auch in der Schule sprach man nicht von Anhalt. Und wir entdeckten dann sozusagen erst so für uns hier außerhalb der Gesellschaft dieses Ambiente hier und haben uns gefragt, was ist das denn hier alles. Und wenn das ein Schloss war, dann lebten hier sicherlich auch ein Prinz und eine Prinzessin."

    Viele Jahrhunderte lang lebten die anhaltinischen Prinzen mit ihren Prinzessinnen auf diesem Schloss. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es mit diesem fürstlichen Leben aber vorbei. Der russische Geheimdienst ver-schleppte den Vater Joachim-Ernst in das Speziallager Buchenwald. Dort verstarb er 1947. Erst sechs Jahre später sollte die Familie von diesem Verlust erfahren. Dabei sei sein Vater gar kein Nazi gewesen, betont Eduard Prinz von Anhalt. Als die Nationalsozialisten Anfang der 30er Jahre Albrecht den Bären für ihre ideologischen
    Expansionspläne gen Osten missbrauchen wollten, soll er Joseph Goebbels forsch geantwortet haben.

    "Dr. Goebbels, glauben Sie denn, dass Ihr kleiner öster-reichischer Gefreiter mehr Erfolg haben wird in der Eroberung Osteuropas als Napoleon der große Feldherr. Und das war eigentlich der Ausschlag, anschließend hatten sie ihn furchtbar auf dem Kieker. Und wie oft bei den Nationalsozialisten, hat er, sobald sie an der Macht waren, auch persönliche Rache an ihm geübt. Ihn praktisch kaltgestellt, ihn aus seiner Stiftung heraus geworfen. Und im Krieg 1939 ist er dann nach Ballenstedt in den Arrest gesetzt worden. "

    Als er dann auch noch einen engen Mitarbeiter Heinrich Himmlers aus dem Schloss warf, ihn regelrecht hinaus schoss, standen zwei Tage später
    Gestapomänner vor der Tür. Sie brachten ihn in das Konzentrationslager Dachau in Beugehaft. Sechs Wochen lang war er dort interniert, wurde frühzeitig wegen einer Lungenentzündung entlassen. Als er zu uns
    zurückkehrte, war er ein kranker Mann, erinnert sich Eduard von Anhalt. Körperlich und seelisch.

    "Das ist schon sehr tragisch, er hatte zumindest Zivilcourage. Aber solche Fälle sind durchs Raster gefallen. Aber nicht in Russland, in Russland hat man das erkannt. In Russland hat man ihn rehabilitiert, in Russland hat man gesagt, man sollte sein Eigentum zurückgeben. Aber daran hat sich die deutsche Regierung nicht gehalten. "

    Im Winter 1945 floh die Mutter mit ihren Kindern in den Westen. Ihr Hab und Gut mussten sie in Ballenstedt zurücklassen. Es komme immer mal wieder vor, erzählt Karl-Heinz Meyer, dass er Gegenstände aus dem Schloss bei Freunden und Bekannten im Wohnzimmer entdecke. Die frage er dann ganz beiläufig, ob es für dieses Kleinod nicht einen besseren Platz gebe. Zum Beispiel als Leihgabe für die Anhalt-Ausstellung im Heimatmuseum. Obwohl sich Karl-Heinz Meyer schon früh für die Familie von Anhalt interessierte, blieb der Kontakt beiden Seiten jahrzehntelang verwehrt. Erst im Oktober 1989 durfte der Prinz auf Einladung des damaligen Pfarrers in seine Heimatstadt zurück-kehren, erinnert sich Karl-Heinz Meyer.

    "Es war eine, eine prickelnde Zeit. Wenn man so will, ist die Familie von Anhalt ja für mich ein lebendes Sammelstück. Das heißt also sie setzen meiner Sammlung und meiner Sammler-leidenschaft sozusagen die Krone auf. Und das ist natürlich ganz was Besonderes. "


    So wie einst seine Vorfahren will sich Eduard Prinz von Anhalt am nächsten Morgen auf eine Reise gen Osten begeben. Von Ballenstedt aus, der Wiege Anhalts, will er über Zerbst ins Gartenreich Wörlitz fahren. Das Thermometer zeigt zwei Grad Celsius. Es nieselt, der Himmel gräss-lich grau. Die Fahrt im Pkw führt über asphaltierte Bundesstraßen und holprige Landstraßen. Landschaften rasen vorbei. Erst bergige, dann geschwungene, schließlich flache, weite Landschaften.

    "Wir haben das anhaltische Vorland verlassen und fahren jetzt gen Osten, eigentlich entlang der Strecke, die meine Vorfahren genommen haben, um ihr Reich zu erobern. Aber jetzt sind wir erst einmal auf einer Strecke, die Kornkammer Anhalts, wenn man so will. Ein ganz ansprechendes Land, aber sehr flach. Kei-ne Wälder, weil natürlich, wenn der Boden sehr wertvoll ist, dann hat man keine Wälder gepflanzt. Sondern hier wächst alles, was zur Ernährung der Bevölkerung notwendig ist und war. "

    Anhalt ist ein Land mit vielen Gesichtern. Doch kaum jemand kennt heute noch die Region zwischen dem Harz im Westen und der Stadt Coswig im Osten. Wer aber die europäische Geschichte durchforstet, der stößt dort vielerorts auf anhaltische Spuren. Ein Beispiel ist Katharina die Große. Die Zarin machte Russland zur Weltmacht. Vor ihrer Heirat hieß die junge Frau Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst.

    Die Autofahrt endet nach anderthalb Stunden in Zerbst. Böse Zungen behaupten, das Schloss stehe sinnbildlich für die Stadt. Betreten auf eigene Ge-fahr, steht auf einem Bauschild an der Schlossmauer. Kurz vor Kriegsende wurde das Zerbster Schloss von den Alliierten zer-schossen. Die riesige, dreiflügelige Barockanlage brannte bis auf das Mauerwerk nieder. Darüber ärgert sich Dirk Hermann bis heute. Er führt den Besucher über eine provisorische Metalltreppe hinauf ins Erdgeschoss. Vor 330 Jahren ließ Fürst Karl Wilhelm das imposante Barockschloss erbauen. Anhalt-Zerbst war allerdings ein kleines Fürs-tentum, nur 20.000 Menschen lebten in dem Residenzstädtchen an der Elbe. Das Steueraufkommen war also überschaubar. Um sich nicht haltlos zu überschulden, gab der Fürst nur den Mittelteil des Schlosses in Auftrag.

    "Es ist dann dank der Mittel des Fürsten Christian August, der eben in preußischen Diensten so viel verdient hat, dass er sich diesen Osttrakt in dem wir jetzt stehen, leisten konnte. … Wo stehen wir jetzt hier, wenn ich fragen darf … im rechten Teil im Osttrakt rechts … und dieser ganze Teil ist kaputt gebombt. … Der ist abgerissen, der war vom Erhaltungszustand genau wie dieser hier. Aber kommunistische Zeiten, Oberbürgermeister erz-kommunistisch und dann Abbruch ab 1948 … Schade. "

    Der Prinz schüttelt verständnislos den Kopf. Hätte er vor sechs Jahren der Ruine einen Besuch abgestattet, dann hätte er vom Erdgeschoss aus noch direkt bis in den Himmel schauen können. Der Brand hatte die Decken zerstört, aus dem Mauerwerk wuchsen Birken und Gestrüpp. Doch Dirk Herrmann hat den Kampf gegen den Zahn der Zeit auf-genommen. Vor acht Jahren gründete er den Fördervereine Schloss Zerbst. Erklärter Wille ist, das Barockschloss vor dem weiteren Verfall zu retten.
    "Ja, auch die Öffentlichkeit hat das 2003 bei der Gründung des Fördervereins gesagt, jetzt dreht der Hermann völlig ab. Der hat 'ne Meise, das wird sowieso nix. Und als dann hier die ersten Ge-rüste standen, war man hier ganz anderer Meinung. "


    Inzwischen ist viel Beton verbaut worden. Zwischendecken wurden eingezogen, neue Fenster eingesetzt. Auf bisher 900 Quadratmetern von einst 2.200 Quadratmetern wurde Platz für Ausstellungen, Lesungen und Konzerte geschaffen. In den wieder hergestellten, ausgeschalten Räumen des Schlosses hängen viele großformatige Fotos: Sie zeigen die Pracht von einst - und den Verfall 200 Jahre später.
    "Das wäre einfach traurig, wenn das hier vom Boden ver-schwinden würde. Und vor allen Dingen auch die Zuwendung, die von den Menschen kommt vor Ort. Ist ja ganz wichtig, ist ja auch eine Art Liebe sich so zu engagieren und zu sagen, das kann ich nicht einfach vergessen. Und das einfach so versacken zu lassen, das kann man nicht zulassen. "

    Um das kulturelle Erbe Anhalts zu bewahren, packen heutzutage die Bürger freiwillig mit an. Der Förderverein konnte bislang über 600.000 Euro akquirieren. Obwohl Dirk Herrmann und sein Verein schon viel er-reicht haben, gibt es immer wieder Zerbster, die zu ihm sagen: Reiß den alten Ruinenkasten ab und steck die Gelder lieber in soziale Pro-jekte. Dirk Herrmann lässt sich dadurch aber nicht entmutigen.

    "Kann ich ja in gewisser Weise nachvollziehen, aber für mich als gebürtiger Zerbster, der abends nicht nur vor dem Fernseher sitzt, gehört dieses Objekt als Kulturgut dazu und natürlich durch den Hintergrund Katharina, hat das für mich eine solche hohe geschichtliche und kunstkulturhistorisch-geschichtliche Bedeutung, dass man hier einfach was tun muss und nicht ein-fach sitzen kann und sagt, na ja, lasst das Objekt, wie es ist, und lass es verfallen. Das geht nicht. "


    Nicht so in Wörlitz. 35 Kilometer weiter östlich in Anhalt scheint die Zeit
    stehen geblieben zu sein und die Welt noch immer in Ordnung. In Anhalt-Dessau schuf Leopold der III. Friedrich Franz sich und seinem Volk ein wunderschönes Gartenreich nach englischem Vorbild, ein Utopia, ein friedliches Land, in dem vieles entstand, was einen heute noch fasziniert: die Schönheit der Landschaft, die Suche nach sozialer Ge-rechtigkeit. Vater Franz war ein volksnaher Herrscher, sagt Eduard Prinz von Anhalt. Das zeigt sich sogar in der Architektur seiner Schlösser. Das klassizistische Wörlitzer Schloss nannten er sein Landhaus.

    Statt einer hochherrschaftlichen Paradetreppe führt eine schmale, ausgetretene Holzstiege bis in den dritten Stock. Ein ungewöhnlicher Aufstieg für einen Herrscher, findet Eduard Prinz von Anhalt. Uwe Quilitzsch gibt ihm recht.
    "Das ist irgendwie ganz unglaublich, unfassbar modern. Dass man diese schmalen Stiegen nach oben geht. In Wörlitz hat man zwei dieser schmalen Stiegen. Da könnte man noch sagen: Okay, verkehrstechnisch wurde das so gelöst, links die fürstliche Fami-lie, rechts die Dienerschaft. Noch interessanter wird es im Luisium, da gibt es nur eine Treppestiege. Da musste also die Prinzessin Luise und die Dienerschaft die gleiche Treppe be-nutzen. "

    Seit 24 Jahren betreut Uwe Quilitzsch von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz das Erbe des Fürsten Franz. Und noch immer kann sich der kompakte, drahtige Mann für den aufgeklärten Mann aus dem 18. Jahrhundert und seine Ideen begeistern.

    Eine faltbare Stiege führt hinauf in den Palmengarten, und von dort geht eine noch schmalere Wendeltreppe hinauf in einen kleinen Kuppelbau. Die Wände sind rund, das Dach gewölbt.

    "Eine sensationelle Akustik. Ich nenne es Observatorium. Das ist dieser kleine Kuppelbau auf dem Belvedere des Wörlitzer Schlosses. "

    Der Prinz und Quilitzsch machen einen Test. Sie stellen sich gegenüber, sind zwei-einhalb Meter voneinander entfernt und klingen doch so, als stünden sie direkt nebeneinander.

    Welche Absicht hinter dieser Idee steckt? Wir wissen es nicht, sagt Uwe Quilitzsch. Vielleicht war es nur eine Spielerei des Fürsten, die er gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff ausheckte. Vielleicht diente der Raum aber auch zu observatorischen Zwecken. Ganz sicher aber verprasste er sein Geld niemals sinnlos, sagt Prinz Eudard.

    "Ganz nah ist mir der Vater Franz, weil er meiner pazifistischen
    Erfahrungszeit, bzw. meiner Übersättigung durch Weltkriege den ruhigen Gegenpol setzt. Der so viel Tolles geschaffen hat, dass man ihn heute noch Vater nennt. Wo gibt es das in einem Herrscherhaus, dass die Leute zu einem der Herrscher noch Vater sagen. Ich finde ein Herrscher ist eigentlich nur etwas wert, wenn er für die Menschen was getan hat."