Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Die wilden Wogen weltlicher Wünsche

Der Haein-Tempel gilt ist eines der drei bedeutendsten buddhistischen Klöster Koreas. Der "Tempel der Reflexionen auf ruhiger See" gilt seit langer Zeit als Symbol für Buddhas Lehre, und ist ein Ort von mystischer Kraft und Schönheit.

Von Bodo Hartwig | 05.02.2012
    "Wenn die See, die der menschliche Geist ist, von den wilden Wogen der weltlichen Wünsche und Begierden befreit ist, wird sie schließlich den Stand einer spiegelgleichen Friedlichkeit erreichen, in der sich das wahre Bild aller Existenz klar und deutlich widerspiegelt."

    Diese Zeilen aus dem Avatamsaka Sutra standen Pate für den Namen eines der drei bedeutendsten buddhistischen Klöster Koreas: Hae-in-sa, was so viel heißt wie "Tempel der Reflexionen auf ruhiger See" gilt seit langer Zeit als Symbol für Buddhas Lehre, und ist ein Ort von mystischer Kraft und Schönheit.

    Dicke Wolken hängen über den Bergwipfeln des Gayasan Nationalparks. Seit Tagen regnet es in Strömen. Es ist Monsunzeit, dazu mitten in der Woche. Nur wenige Menschen kommen an einem solchen Tag die steile, serpentinenartige Straße heraufgefahren, mit dem Bus aus einer der umliegenden Großstädte wie Daegu, Hapcheon oder Goryong.

    Hier, am Fuße des heiligen Bergs Gaya, wo ein muntererer Gebirgsbach moosbewachsene Felsbrocken umspült, wo grünes Dickicht aus Farnen und Sträuchern zwischen jahrhundertealten Ginko- und Pinienbäumen wuchert, ließen sich einst zwei Mönche nieder. Sie waren aus China heimgekehrt, wo sie den Mahayana Buddhismus studiert hatten.

    Das ist Mönch Joung Hyun - hellgraue Robe, glattrasierter Kopf, im Haeinsa zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Sein verschmitzter Blick schweift in die Ferne, wenn er die überlieferte Geschichte erzählt.

    "Während ihrer Praxis in China hatte einer der beiden Mönche namens Suneung, einen ziemlich konkreten Traum. Er träumte vom Gayaberg als ein Ort, geschützt vor den Gefahren der drei Elemente Wasser, Feuer und Wind, also Naturgewalten. Und als die Mönche zurückkamen, bauten sie hier dann eine kleine Hütte. Damit war Haeinsa an einem vermeintlich sicheren Standort gegründet."

    Wir schreiben das Jahr 802. Auf der koreanischen Halbinsel, dem damaligen Shillareich, regiert König Aejang. Als dessen Frau plötzlich schwer erkrankt, schickt er seine Dienerschaft dringend nach Hilfe.

    ""Ärzte als solche gab es zu dieser Zeit nicht, aber Mönche galten als geschätzte Gelehrte und Heilsbringer. Als die königlichen Diener am Berg einen Lichtstrahl bemerkten, trafen sie dort auf die beiden meditierenden Mönche. Doch statt mit ihnen in den Palast zu gehen, gaben diese ihnen nur den Rat: "Bindet einen Faden um den Finger der Königin und das andere Ende an einen Bambusbaum vor dem Palast. Richtet auf einem Altar feine Speisen und betet inständig die ganze Nacht." "

    "Sie taten, wie ihnen die Mönche auftrugen. Und als am nächsten Tag die Königin erwachte, war sie genesen. Der Baum hingegen war verwelkt und tot."

    Als Zeichen seines tiefen Dankes lässt der Monarch vor der Hütte der beiden Mönche eine Zelkove pflanzen. In König Aejang sollten sie fortan einen großzügigen Gönner haben, der Haeinsa mit prunkvoll verzierten Gebäuden und Zeremonienhallen ausstattet.
    Die Zelkove steht noch heute dort. Als Mythos für die Entstehungsgeschichte Haeinsas kann der stattliche, hohle Baumstamm im Eingangsbereich des Tempels bewundert werden.

    "Sie kommen ja an den Tempel heran auf einem langen Weg, der durch einen Wald führt."

    Dr. Werner Sasse, graues Haar, Brille, Bart, geht gerne diesen Weg durch das Naturparadies.

    "Dort muss man dann erst mehrere Stufen hochsteigen."

    Der emeritierte Professor für Koreanistik an der Universität Hamburg lebt schon lange in Korea, wo er sich eingehend mit der Kultur und Mythologie des Landes beschäftigt.

    "Und dann kommt ein großes Tor, wo links und rechts die Torwächter sind - Furchterregende Gestalten – das sind die Gottheiten der verschiedenen Himmelsrichtungen, die die bösen Geister aus dem Tempelbezirk weghalten."

    Und dann kommen sie doch, ... die Reisegruppen aus China und Japan.

    Mit ihren Kameras wollen sie nur einen flüchtigen Blick erhaschen, von den goldenen Buddhas in prächtigen Hallen aus weinroten Säulen und grünlich-bunt verziertem Holz mit ausladenden schwarzen Ziegeldächern, an deren geschwungenen Enden kleine Glocken aus Bronze hängen.

    Sie haben Glück, die große Trommel verkündet gerade die Botschaft Buddhas an alle Lebewesen, ein Mönch in grau brauner Robe wirbelt die Schlegel im Kreis. Nur dreimal am Tag erklingen unter dem Dach des Glockenpavillons die heiligen Instrumente:

    "Ja, das ist die Trommel, daneben gibt es eine große Bronzeglocke, die ist in etwa zwei Meter hoch, mit entsprechendem Durchmesser, und hat einen sehr tiefen Ton."

    Dieser Klang soll der Erlösung von allen menschlichen Leiden dienen.

    "Und dann gibt es noch einen hohlen, aus Holz gefertigten Fisch. Das sind alles Instrumente, die benutzt werden, um die Zeit anzusagen und zugleich, das Tal mit dem Wort Buddhas zu füllen."

    Während viele der Mönche sich jetzt zum abendlichen Gebet in der höher gelegenen Haupthalle versammeln, verlieren sich auf dem weitläufigen Platz neben dem Glockenpavillon langsam die Touristen.

    Ein junger Mann, Ende 20, steht dort am Tempelbrunnen und gönnt sich eine Kelle heiliges Wasser.

    "Ich bin zum ersten Mal an einem regnerischen Tag im Haeinsa und muss sagen, die Atmosphäre ist gerade wunderbar. Ich komme aus Seoul, einer ja ziemlich hektischen und lauten Stadt. Aber hier ist alles ruhig und entspannt. Die Geräusche der Regentropfen und der Windspiele an den Dächern inspirieren mich. Ich glaube, das ist der perfekte Ort, sich mal so richtig vom Alltag zu lösen."

    Sind Sie Buddhist?

    "Ehrlich gesagt, ich bin Atheist, muss aber gestehen, ich habe Vertrauen in die buddhistische Lehre. Natürlich habe ich auch schon Erfahrungen mit dem Christentum gemacht. Aber am Buddhismus beeindruckt mich, dass er so gar nicht dogmatisch rüberkommt. Die Mönche sprechen viel über Weisheit und Toleranz, was sehr lebensnah und praktisch für den Alltag ist. Daher finde ich den Buddhismus als Religion eigentlich am sympathischsten."

    Mönch Jeong Hyun ist ebenfalls auf dem Weg in Richtung Haupthalle. Gerade noch hat er in seinem Büro an der aktuellen Ausgabe des Tempelmagazins gearbeitet. Jetzt läuft er die steinernen Treppen zur nächst höheren Ebene hinauf.

    "Haeinsa hat ja vier Ebenen und insgesamt 108 Treppen. Daran lässt sich eine gewisse Hierarchie erkennen. Da unten zum Beispiel praktizieren die Laien, hier drüben studieren die Mönche und dort oben finden die Zeremonien statt."

    Auf einem quadratischen Platz unterhalb der Haupthalle bleibt der Mönch kurz stehen und verneigt sich. Dabei legt er die Handflächen auf Brusthöhe zusammen. Wind weht durch das Glockenspiel an einer sechs Meter hohen Steinpagode, rechts vor ihm.

    "Diese dreistöckige Pagode ist ein Reliquienschrein. Dem Stil und der Form nach stammt sie aus der späten Shilla Zeit vor gut 1200 Jahren. Wahrscheinlich wurde sie zusammen mit der Steinlaterne hier vorne, bei der Gründung von Haeinsa errichtet."

    Die nächsten Stufen sind schon steiler und führen hoch zur "Halle des Großen Stillen Lichts", der Haupthalle des Tempels.

    "Die Haupthalle steht im Zentrum des Tempels. Sie beherbergt den "Vairocana"-Buddha."

    "Hier wird immer gebetet und rezitiert."

    Die weit geöffneten Flügeltüren geben den Blick frei ins Innere der Halle. Von einem breiten, mit Kerzen, Blumen und Obst geschmückten Altar strahlen hell drei riesige, goldene Buddhastatuen. In festliches Licht gehüllt, lächeln sie milde, mit halb geschlossenen Augen auf die versammelten Mönche herab, die dort im Lotussitz ehrerbietende Gesänge rezitieren.

    "Die Rezitation der Mönche ist eine Methode der Praxis. Sie wird drei mal am Tag durchgeführt und zwar frühmorgens, vormittags und abends. Sie dient der Verehrung Buddhas, seiner Jünger und aller praktizierenden Mönche, die seine Lehre bis heute weitergegeben haben."

    Mönch Jeong Hyun geht um das kunstvoll verzierte Gebäude herum auf eine noch steilere Treppe zu.

    "Normalerweise steht ja die Gebetshalle an höchster Stelle, aber hier im Haeintempel werden auf höchster Ebene die "Pal-man-dae-jang-kyeong" aufbewahrt. Ein großes Heiligtum, das die Lehre Buddhas - die Essenz des Buddhismus’ beinhaltet."

    "Pal-man-dae-jang-kyeong" heißt wörtlich übersetzt "80.000 große, lange Bücher". Was sich dahinter verbirgt, ist die weltweit älteste und vollständigste Sammlung Buddhistischer Lehrtexte, vor mehr als 750 Jahren eingraviert in hölzerne Druckplatten. Ein Schatz ohne Gleichen, der, wie Professor Sasse weiß, auch politische Aspekte hat.

    "Die Druckplatten sind, wenn man so will, ein militärisches Mittel gewesen, und zwar ging es darum, dass die Mongolen Korea ja besetzt hatten, das ging los im 13. Jahrhundert."

    Schon vor dieser Zeit existierte bereits ein vollständiger Satz solcher Druckplatten. Dieser fiel jedoch den Brandschatzungen der Mongolen zum Opfer. Die Unbill der Fremdherrschaft wiederum stärkte den eisernen Willen der Koreaner, dieser militärischen Übermacht zumindest eine geistige Kraft entgegenzusetzen.

    "Eines der Mittel, um letztlich die Mongolen wieder zu vertreiben war, dass man sich also an Buddha wandte und hoffte, durch das Wiedererstellen eines solch grandiosen Werkes, dass man durch diese gute Tat, stark und die Mongolen wieder los wird. - Hat ja auch funktioniert, ... die Mongolen sind weg!"

    Dass die Druckstöcke bis heute unversehrt sind, hat zum einen mit der ausgeklügelten Sorgfalt ihrer Herstellung zu tun. So lagerte das Holz vor der Gravur erst mehrere Jahre in Salzwasser. Harz von Lackbäumen schließlich sorgte für die Konservierung der Oberfläche.

    "Und sie sind untergebracht in einem Gebäude, wo eines der wichtigsten Elemente der traditionellen koreanischen Architektur wirksam eingesetzt worden ist, nämlich der Luftumtausch. Im Haeinsa ist das so: Sie haben Fenster verschiedener Größe und die sind an verschiedenen Höhen angebracht, und zwar so, dass ein ständiger Luftstrom, den sie im Normalfall noch nicht einmal merken, die Luft im Innenraum auswechselt."

    Die schlichten Lagerhallen aus Lehm und Holz aus dem frühen 17. Jahrhundert haben allen Naturgewalten, Feuersbrünsten und Kriegen widerstanden. Zusammen mit den Druckplatten und auch der Haupthalle des Tempels gehören sie heute zum UNESCO Weltkulturerbe.

    "Zum Glück, muss man sagen, begnügen sich auch die meisten Leute damit, diese Hauptgebäude zu sehen, und machen sich nicht die Mühe, zu den kleineren Tempelchen und Retreets in den Berg zu gehen, wo eigentlich die Schönheit des koreanischen Buddhismus noch deutlicher wird."

    Rund 30 solcher Einsiedeleien sind hier verstreut, wohin Mönche sich für eine bestimmte Zeit zur Meditation zurückziehen. Steil nach oben führt der schmale Weg zum "Bek-lyn-Am"-Retreet, in gut 1000m Höhe. Dort praktizierte bis zu seinem Tod 1993 der berühmte Zenmeister Seong Cheol, aus dessen Schule viele namhafte Mönche hervorgegangen sind.

    Ein grandioses Bergpanorama öffnet sich. An üppig bewachsene Felsen schmiegen sich kleine traditionelle Tempelbauten aus Holz. Mönch Il-ji, Anfang 30, ist hier der stellvertretende Abt.

    "Sie sehen hier gerade viele Kinder, Bek-lyn-am bietet zweimal im Jahr ein Ferien-"Tempelstay" für junge Leute an. Hier lernen sie gemeinsam mit den Mönchen die heiligen Stätten kennen, erfahren "rituelles Essen" oder die Niederwerfungspraxis. Auch buddhistisches Kunsthandwerk, wie das Basteln von Lotuslaternen oder Gebetsketten."

    Während die Kinder den hereinbrechenden Regen zum Toben nutzen, übt sich oben in der Gebetshalle gerade eine junge Frau in der Niederwerfungspraxis. Mit schweißnassem Rücken sinkt sie immer wieder auf die Knie, um sich anschließend auf der Matte, vornüber, halb auf dem Boden auszustrecken, und dann mit gefalteten Händen wieder aufzurichten.

    "Hae-in-sa - Bek-lyn-am ist ja berühmt für die Niederwerfungspraxis:
    "Mach 3000 Niederwerfungen und triff Dich selbst" pflegte Meister Seong Cheol zu sagen. Der Sinn mag dem Unwissenden nicht einleuchten: "Wozu sollte ich mich so quälen?". Ein schwacher Körper jedoch sollte trainiert werden, um gesund zu bleiben. Das gleiche gilt für einen schwachen Geist. "Die Zahl 3000 ist dabei gar nicht wichtig". Es ist ja kein Leistungssport, vielmehr eine Übung für die Ausdauer: "Wie lange bin ich imstande, unnütze Gedanken auszublenden, während ich für das Glück aller anderen Lebewesen bete?". Auf diese Weise lassen sich das eigene Ego und die Leiden überwinden, um schließlich Freude und Glückseligkeit zu erfahren."

    Die Kinder erzählen, dass Sie hier morgens um 3 Uhr aufstehen und alles manchmal ziemlich anstrengend sei.

    Aber morgen ist ihr letzter Tag, und dann geht es wieder nach Hause.
    Ob das wirklich so gut sei, darüber scheint man sich nicht ganz einig,...

    ...am Gayaberg zumindest beruhigen sich dann wieder die "wilden Wogen der weltlichen See".