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Auf der Suche nach dem Glück

Wo das Glück beginnt, endet die Kunst. Das ist auch in Helena Waldmanns "GlückStück" nicht anders.Die Choreografin widmet sich einem sehr kunstfernen Thema und macht sich in ihrer neuen Tanzperformance auf die Suche nach dem Glück.

Von Elisabeth Nehring | 17.12.2011
    Die Kunst endet dort, wo das Glück beginnt. Meistens jedenfalls. Kein Mensch dreht einen Film über das Happy End hinaus; die Theater- und Tanzbühnen der Welt sind seit Jahrhunderten bevölkert von Liebe, Tod, Tragik – und Unglück. Aber Glück? Ganz selten. Wo das Glück beginnt, endet die Kunst. Das ist auch in Helena Waldmanns "GlückStück" nicht anders, denn – entgegen der Suggestion durch den Titel – hat sich die Choreografin in ihrer Tanzproduktion nicht dem Glück gewidmet, sondern allenfalls der Suche nach Glück. Und das in einem recht bekannten Rahmen.

    Glittervorhang, kleine Treppe, Spotlight: die vier Tänzer – drei Männer und eine Frau – suchen ihr Glück in der Show, im Rampenlicht, in der Aufmerksamkeit anderer, mitunter auch in der Gemeinsamkeit im Tanz. Sie swingen, steppen und twisten, schwingen die schmalen Hüften und werfen sich in Pose. Eine große Entertainmentnummer mit Anleihen an die Formen von Revue, Zirkus und Kirmes. Wenn Glück Lebendigsein bedeutet, dann kommen die Tänzer ihm ganz nah. Ihre Dynamik ist umwerfend. Vor allem die drei Männer Moo Kim, Tobias Draeger und André Soares, der in seiner Expressivität ein bisschen an Klaus Kinski erinnert, lassen ihre Energien nur so hin und her fliegen.
    Dass sie bei alledem dennoch nicht glücklich sind, erkennt man bald: Im lässigen Schritt-vor-Schritt-zurück macht sich irgendwann Anspannung bemerkbar. Das Lächeln friert ein, Zähne werden zusammengebissen. Strahlende Gesichter erstarren. Der Kopf wippt im Takt der Musik, bis es schmerzt. Immer weiter wird getanzt, doch ohne Leichtigkeit. Etwas Angestrengtes, ja Gequältes, mitunter sogar Bitteres, Erschöpftes und Leeres scheint immer stärker auf.
    Das Glück ist ambivalent, keine Frage und die Suche danach gleicht einer Jagd, die in Verzweiflung enden kann. Oder gar im Tod, auch im freiwilligen – darauf zielen wohl auf den Vorhang projizierte Sätze wie "Der Tod tritt ein in zehn Minuten" oder "Man nehme ein Mittel gegen Übelkeit und 80 Schlaftabletten". Kein Glück ohne Leid, das Glück als Grenzerfahrung – diesen Horizont möchte die Choreografie eröffnen.

    Warum sich Helena Waldmann dabei auf die Form der Revue beschränkt, bleibt allerdings rätselhaft. Die gesamte Inszenierung bewegt sich damit in einem eingegrenzten und vorhersehbaren Motivrahmen – dem Übergang von Freude (Freude trifft es eher als Glück) zu Erschöpfung, Erstarrung oder Wut. Doch letztlich bleibt es auch bei diesem Wechselspiel; andere Zugangsmöglichkeiten eröffnen sich nicht. Dass zum Beispiel das Glück immer nur im Augenblick, im Spontanen liegt, dass es unvorhersehbar und unkontrollierbar ist oder sogar stets nur eine Sehnsucht bleibt – das sind zwar auch Plattitüden, aber bis dahin ist das "GlückStück" gar nicht gekommen.

    Helena Waldmann ist eine sehr ernsthafte Tanzregisseurin, wie sich selbst nennt. Ob in der engagierten und kontinuierlichen Zusammenarbeit mit iranischen Schauspielerinnen für das Stück "Letters of Tentland" oder "revolver besorgen" einer Solo-Produktion über Demenzerkrankte – die ernsthafte Erforschung des Gegenstandes ist keine Selbstverständlichkeit und die große Stärke Helena Waldmanns. In der Bearbeitung eines so kunstfernen Themas wie dem Glück hat sie sich jedoch nicht wirklich entfaltet.