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Auf die Ernährung kommt es an

Medizin. - Kaum eine andere innere Krankheit belastet Patienten derart nachhaltig wie die Darmerkrankungen "Morbus Crohn" und Colitis ulcerosa. Sie sind beide nicht heilbar und können allenfalls mit entzündungshemmenden Mitteln gelindert werden. Nun haben Forscher der Universität Kiel erstmals den genetischen Zusammenhang mit der verwandten Darmerkrankung "Morbus Crohn" belegt und dies im amerikanischen Fachmagazin "Nature Genetics" veröffentlicht.

Von Detlef Karg | 04.07.2008
    Am Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel ist man sich sicher: Die entzündlichen Krankheiten wie Asthma, Milchschorf, Morbus Crohn und Rheuma stecken seit langem in uns, kommen aber durch die industrialisierte Ernährung immer stärker zum Tragen und sie sind genetisch miteinander verwandt. Jüngstes Beispiel ist nun Colitis ulcerosa, eine geschwürige chronische Entzündung des Dickdarms. Noch 1945 war die Krankheit nicht existent, heute leiden in Deutschland 300.000 Menschen darunter. Institutsleiter Professor Stefan Schreiber beschreibt, wie das Kieler Forscherteam den genetischen Ursachen auf die Spur gekommen ist:

    "Früher haben wir gedacht, das Immunsystem spinnt, heute wissen wir es ist ein Problem, wie der Mensch mit seiner eigenen Mikroflora, seinen eigenen Darmbakterien umgeht. Bei Colitis ulcerosa stehen wir da erst ganz am Anfang. Hier haben wir zum ersten Mal Krankheitsgene gefunden, indem wir die Morbus-Crohn-Krankheitsgene systematisch in Tausenden von Colitis-ulcerosa-Patienten getestet haben, und wir verstehen jetzt, dass diese Krankheiten nicht hundertprozentig unterschiedlich sind, sondern wie vieles andere in der Medizin sich überlappen."

    Die Krankheit tritt in Schüben auf und belastet den Patienten vor allem durch Durchfälle – häufig verbunden mit starkem Blutverlust. Empfohlen wird eine ballaststoffreiche angepasste Ernährung. Doch das wird nicht reichen, so der Kieler Mediziner:

    "Die Medizin der Zukunft, glaube ich, wird eine individualisierte, molekular definierte Ernährungskomponente beinhalten. Also, wir werden nicht mehr darüber sprechen, nur noch Krankheitsbekämpfung zu machen, sondern wir werden auch über Gesundheitserhaltung reden müssen und wie wir das natürlich finanzieren wollen."

    Denn die Erkenntnis untermauert aufs Neue, was vermutet wird, aber noch nicht in allen Fällen wissenschaftlich klar ist: Unsere Lebensgewohnheiten machen uns krank. Denn, so Stefan Schreiber:

    "Aus der Morbus-Crohn-Forschung wissen wir, dass die entscheidenden Krankheitsgene, die heute die Entstehung eines Morbus Crohn begünstigen, wahrscheinlich so etwa 40.000 Jahre alt sind. Morbus Crohn kennen wir aber erst seit 100 Jahren. Also, wie kommt es jetzt zu Morbus Crohn, wo die Gene schon so lange mit uns sind? Das liegt daran, dass wir die Lebensbedingungen massiv verändert haben und ganz anders leben als früher. Wir haben das alles industrialisiert um überhaupt so viele Menschen ernähren zu können und um überhaupt so lange zu leben wie wir das tun, aber wir zahlen einen Preis."

    Für die Zukunft bedeutet dies: Wer unter entzündlichen Zivilisationskrankheiten leidet, braucht eine präventive Medizin. Seine Erbanlagen sind ausschlaggebend für das Risiko. Zu langsam sind heute die Mechanismen der klassischen Behandlung. Wer Asthma oder Morbus Crohn habe, so die Kieler Erkenntnis, der muss ganz anders behandelt werden, als dies heute geschieht. Schreiber:

    "In dieser Kombination muss man sagen, es gibt einfach Menschen, die haben ein Entzündungsrisiko, ein Barriererisiko. Und wir fangen an, Präventionsstrategien in Tieren auszuprobieren, wo wir sagen: wie kann ich die Ernährung ein bisschen unsauberer machen, ein bisschen mehr stimulierend machen ein wenig anders gestalten, um hier einzugreifen und das System zu stabilisieren?"

    Denn, so der Kieler Forscher, die Medizin laufe ihren Möglichkeiten trotz immer fortgeschrittenerer Möglichkeiten hinterher:

    "Jetzt kommen Sie auf Fragen, ob die Medizin tatsächlich vernünftig arbeitet, indem sie nach den Organsystemen Trennungen vollzieht und sich danach aufstellt oder ob nicht die Medizin der Zukunft eine Entzündungsmedizin sein sollte, die diesen Genen nachgeht und die dafür am besten geeigneten Therapien anwendet."

    Dazu gehört eindeutig die Ernährungswissenschaft. Denn was in Jahren schiefläuft, kann im Krankenhaus nicht einfach wieder gerade gerückt werden. In Kiel tun sich deshalb Ärzte und Ernährungswissenschaftler zusammen, um Strategien zu entwickeln, die greifen, bevor Menschen krank werden. Den funktionalen Ernährungen gehöre die Zukunft, so das Fazit von Stefan Schreiber:

    "Dazu wird natürlich auch gehören, dass wir in Zukunft versuchen werden, Zentren zu bilden, die Ernährungswissenschaften und Medizin zusammenbringen. Momentan findet Ernährungswissenschaft im Gesunden statt und Medizin am bereits komplett Kranken, Medizin bewegt sich auf den Frühkranken hin, den Gefährdeten, und da muss die Ernährungswissenschaft dazukommen."