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Auf keiner Landkarte verzeichnet

In fünf Dolomitentälern Südtirols wird noch heute ladinisch gesprochen. Die Menschen lebten in diesen Gebirgstälern lange in großer Abgeschiedenheit. So konnte ihre Sprache überleben - und das Bewusstsein einer gemeinsamen Identität entstehen. Mit rund 30.000 Muttersprachlern ist Ladinisch eine der kleinsten Sprachen Europas, die jedoch bis heute gepflegt wird.

Von Diana Engel | 19.10.2008
    " Guten Morgen!"

    Morgens um acht ist die Welt noch in Ordnung. 21 Viertklässler kramen in ihren Schultaschen, ziehen Federmäppchen und Bücher hervor. Sie gehen da zur Schule, wo andere Urlaub machen: in Corvara, einem Dorf in Südtirol, am oberen Endes des Gadertals, das von mächtigen Bergen umarmt wird: den Dolomiten. Während die Seilbahnen die ersten Touristen hinauf in die Berge spucken, beginnt unten im Tal der Ladinisch-Unterricht.

    Heute lesen die Kinder die Fabel vom stolzen Hahn und vom schlauen Fuchs. Zweimal in der Woche unterrichtet Irene Clara Ladinisch. Das macht sie gern, schließlich ist es ihre Muttersprache. Die Bewohner des Gadertals pflegen diese alte Sprache. Ihr Ursprung liegt schon 2000 Jahre zurück: Die Alpengebiete werden ins Römische Reich eingegliedert, die einheimische Bevölkerung romanisiert. Allmählich nimmt sie die lateinische Sprache der römischen Söldner an, eine Art Sprechlatein, das sich stark von der Hochsprache der Literaten in Rom unterscheidet.

    Das Gadertal ist eines von fünf Dolomitentälern um das mächtige Sellamassiv herum, in denen ladinisch gesprochen wird. Die Menschen lebten in diesen Gebirgstälern lange in großer Abgeschiedenheit. So konnte ihre Sprache überleben - und das Bewusstsein einer gemeinsamen Identität. Nach dem Ersten Weltkrieg wird das Kaiserreich Österreich-Ungarn aufgelöst. Der südliche Teil Tirols geht an Italien - mit ihm jene fünf Dolomitentälern. Seitdem bilden die Ladiner Südtirols eine Minderheit in der Minderheit. Heute ist ihre Sprache in Italien als Minderheitensprache offiziell anerkannt. Für manche ist sie wie ein rohes Ei, das jeden Moment herunterfallen könnte. Das Leben im Grenzgebiet zwischen deutschem und italienischem Sprachraum bedeutet in der Gegenwart, drei-, ja viersprachig aufzuwachsen: An den Grundschulen wird ab der vierten Klasse inzwischen auch noch englisch unterrichtet.

    "Es gibt Kinder, die sehr sprachbegabt sind, bei diesen Kindern ist zusätzliche Sprache nie ein Problem. Bei Kindern, die Schwierigkeiten haben, ist das immer ein Problem, wenn etwas zusätzlich dazukommt. Schwierig wird es einfach deshalb, weil die Kinder nicht nur die Sprache lernen, sondern auch alle anderen Fächer, Mathematik, Naturkunde und so weiter in zwei Sprachen lernen müssen, italienisch und deutsch."

    Eine Herausforderung. Zumal, da es die alte ladinische Sprache nicht in Reinkultur gibt. Viele Worte aus anderen Sprachen haben sich eingeschlichen. Die kleine Valentina hat ein Beispiel:

    "I mangi n gelato. Das heißt auf deutsch: Ich esse ein Eis."

    Und warum ist das falsch?

    "Weil "gelato" sagt man nicht auf ladinisch, sondern "dlacin”."

    "Unsere ladinische Sprache ist einfach verschmutzt, durch viele italienische und sehr viele deutsche Wörter."

    Bis zur neunten Klasse können die Kinder im Gadertal zur Schule gehen. Danach gehen die meisten an eine Oberschule nach Brunneck, nach Brixen oder Bozen. Sie verlassen Ladinien, dieses Land, das sich auf keiner politischen Landkarte findet.

    "Deswegen ist es auch so wichtig, dass sie in der Grundschule und in der Mittelschule so viel ladinisch sprechen wie möglich, weil: das lernen sie dann nie wieder in der Schule."

    Mit rund 30.000 Muttersprachlern ist Ladinisch eine der kleinsten Sprachen Europas. 90 Prozent der Bevölkerung im Gadertal sind Ladiner. Dennoch besteht die Gefahr, dass ihre Sprache allmählich ausstirbt. Die Gader zieht sich durch das Tal und gibt ihm seinen Namen. Auf ladinisch heisst sie "La gran Ega”, "das große Wasser". Von Corvara fließt sie nordwärts das Tal hinab und führt uns ins zehn Kilometer entfernte Sankt Martin in Thurn. Beschaulich geht es hier zu. Statt auf Massentourismus hat Sankt Martin die Kultur bei sich zu Hause. Gleich zwei renommierte Kultureinrichtungen gibt es im Ort: das Museum für Kultur und Geschichte der Ladiner oberhalb des Dorfes und das ladinische Kulturinstitut unweit der Kirche. Hier arbeitet Leander Moroder. Er ist der Direktor des Instituts, einer, der gegen das Aussterben der Sprache ankämpft. Mit dem Ladinischen geht es seit 1000 Jahren bergab, sagt er.

    " Die ganze Sprachgemeinschaft ist an sich gefährdet, das ist einfach so. Es ist eher ein Rückgang als ein Aufblühen, denn die Konkurrenz der Großsprachen ist natürlich unerhört groß - deutsch, italienisch hier bei uns, aber englisch auch immer mehr."

    Doch in der Mehrsprachigkeit sieht er einzige Chance für die Ladiner. Eine Mehrsprachigkeit, bei der das Ladinische die Muttersprache ist, das erste Standbein. Darum erfindet er Worte - moderne Worte, die Dinge beschreiben, die es früher nicht gab. Das ist an sich schon eine knifflige Aufgabe, denn in jedem Tal wird ein wenig anders ladinisch gesprochen. Da ist es nicht leicht, eine gemeinsame Schriftsprache zu entwickeln. Doch manchmal gelingt es bei einem einzelnen Wort: Als im benachbarten Grödnertal eine unsinnig große Müllverbrennungsanlage gebaut werden sollte, da suchte Moroder nach einem ladinischen Wort und fand eine Lösung:

    ""Borjé” heisst verbrennen, Doia ist ein Suffix für ein Gerät oder eine Maschine oder so was, also wurde eine "borjadoia” daraus."

    Das neue Wort kam gut an. Es tauchte in einem Artikel auf, fand darüber seine erste größere Verbreitung. Leander Moroder glaubt, dass es jetzt von den Ladinern in allen fünf Tälern akzeptiert wird. Das ist nicht immer so. Die Bildung neuer Wörter, die Modernisierung der Sprache erfordert einen sehr sorgsamen Umgang. Eine Arbeit, die den Sprachtüftlern aber auch Spaß macht:

    "Computer ist für uns Computer wie auf der ganzen Welt. Aber wir haben uns den Gag erlaubt, die Maus zu ladinisieren: Wir sagen "soricia”, das ist die wörtliche Übersetzung."

    Es gibt eine Entwicklung im Gadertal, die den besorgten Sprachkämpfer aufhorchen lässt: die Musik der Ladiner. Heute singen sie viel mehr in ihrer Muttersprache gesungen, als noch vor 20 oder 30 Jahren. Ein großes Potenzial. Ob jung oder alt: Das Gadertal ist reich an musikalischen Talenten, und die Vielfalt ihres Werks ist enorm.

    Wenige Meter oberhalb des Instituts wohnt Iarone Chizzali. Er leitet den Kirchenchor in Sankt Martin und singt den zweiten Tenor im "Quartett Göma”. Die vier Gadertaler haben ihr Quartett nach dem Göma-Joch am Beitlerkofel benannt. Von dort oben hat man eine fantastische Aussicht auf die Bergwelt der Dolomiten. Wenn sie nicht gerade dort oben sind, treffen sich die vier unten im Tal und singen a cappella, zweimal im Monat.

    " Vor allem ist es sehr schön, ladinisch zu singen, weil die Sprache so weich ist. Deutsch ist lange nicht so weich. Das Englische ist aktuell, aber diese Weiche, das Musikalische hat die Sprache nicht."

    Zeige dem Wanderer unsere Häuser, Wälder und Wiesen - es sind die Schönsten auf der ganzen Welt singt das Quartett Göma in crusc de crep, auf deutsch: Bergkreuz. Die Natur, die Jahreszeiten und die Liebe, das sind die Themen in den Liedern der Ladiner. Und das nicht nur unter den 60-Jährigen. Die Musik im Gadertal hat eine besondere Stellung: In jedem Ort gibt es Kirchenchöre und Kapellen, dazu kommen auffallend viele junge Musiker und kleine Bands. Iarone Chizzali war bis zu seiner Rente Musiklehrer an den drei Mittelschulen im Tal. Er glaubt, dass es neben der langen Tradition vor allem an der Stimmbildung liegt, die so viele musikalische Talente hervorbringt.

    "Uns liegt das, zum Beispiel dieser Umlaut "ë”. Das bringt uns die Stimme irgendwo, wo sie eben sein muss, also im Gesang, also in der Stimmbildung. Die Deutschen können nicht leicht das "ë” aussprechen: "fëgn” oder: "deplëgn”."

    "Die Hexen der Nacht ziehen herum, dies wurde bereits früher gesagt, aber auch heutzutage streifen sie herum, Mädchen mit schlechtem Ruf. Huren, Flittchen, und was noch alles gesagt wird..."

    Der Liedermacher Alexander Mutschlechner ist der erste, der moderne ladinische Musik gemacht hat. Als junger Mann hat er angefangen, die Musik zu öffnen. Und er ist der populärste im Tal. Les stríes, die Hexen hat er schon in den 70er Jahren aufgenommen. Geschrieben hat er es für die jungen ladinischen Frauen, über die damals so schlecht geredet wurde, weil sie mehr als einen Freund im Leben hatten.

    "Die haben mir viel gegeben, ich habe viel von denen gelernt. Ich habe eine kennengelernt, so eine Hexe, wenn man so das sagen kann, und das war ein super Mädchen mit Verstand und so, und dann habe ich ein Lied für diese Hexen komponiert, und das wird von den ganzen Mädels gerne gehört: "Les stries" - wahrscheinlich fühlen sie sich so."

    Heute ist Alexander Mutschlechner über 50. Er hat sich einen Künstlernamen gegeben, "Alexander Dal Plan”, der "Alexander von Sankt Vigill”. In diesem Dorf in einem Nebental des Gadertals ist er aufgewachsen. Und hier lebt er im Sommer. Den Winter verbringt er auf seiner Berghütte Graziani. Hier oben, auf 2080 Meter Höhe, hielt der Urgroßvater seine Schafe, zu einer Zeit, als das Wort Wintertourismus erst noch erfunden werden musste.

    Heute surren hier die Liftanlagen - und Alexander Mutschlechner verdient sich seine Brötchen als Gastwirt und als Liedermacher. Letzteres aber nur, wenn die Sonne scheint.

    "Ich mache das mit Freude und es ist auch ein Hobby. Und da spiel ich auch, allerhand, auf deutsch, auf ladinisch, auf englisch, auf spanisch auf der Terrasse, und die Leute hören gern zu und das macht mir wieder Freude. Also die Musik macht mir immer Freude, und dann wird die Arbeit auch ganz leicht."

    Der Liedermacher kann die Sorge um seine Sprache nicht teilen, im Gegenteil. Für ihn ist sie ein Privileg. Er besingt sie, gibt ihr neue Melodien auf und einen Klang, den sie nicht kannte, als er ein kleiner Junge war und auf den Wiesen im Tal spielte.

    "Vor 40, 50 Jahren hat man sich fast geschämt, ladinisch zu reden, weil es war minder. Da hat man eher deutsch oder italienisch gesprochen. Aber heutzutage ist das ganz anders. Die Leute sind bewusster geworden, Ladiner zu sein, in einer solchen Minderheit zu leben. Die Jugendlichen sind eigentlich stolz, dass sie Ladiner sind, und dass sie die ladinische Sprache haben. Das ist etwas ganz Schönes."

    Der Stolz kam durch den Wohlstand. Und den Wohlstand brachte der Tourismus. Vor allem im oberen Gadertal mit seinen teuren Wintersportzentren geht nichts mehr ohne. Ein Skiurlaub in den Dolomiten lockt internationales Publikum an, dass sich den Spaß auf den präparierten Pisten einiges kosten lässt. Doch das Geschäft mit den Touristen steht auf wackligen Beinen. Es hängt vom Wohlstand anderer ab - und nicht zuletzt von den Folgen des Klimawandels, der dem Wintersport einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen könnte. Die Einheimischen hängen am Tropf des Tourismus. Auch das erfüllt Leander Moroder vom ladinischen Kulturinstitut mit Sorge.

    " Sollte es einen Rückgang geben im Tourismus, dann wäre das ein Riesenproblem für viele Leute, die sich hoch verschuldet haben, für die Großbauten, die wir aufgestellt haben, die vielen Gelder, die wir investiert haben - in die Aufstiegsanlagen, Beschneiungsanlagen, das kostet alles ein Schweinegeld. Deswegen, bis alles so super läuft wie im Moment, kann sich ja keiner beklagen, wirtschaftlich gesehen. Wehe, wenn es ein bisschen zurückgehen würde."

    Mit dem Massentourismus kamen auch die modernen Alpenhäuser ins Tal. Sie haben mit der ladinischen Architektur der alten Bergbauernhöfe nicht mehr viel zu tun. Über Jahrhunderte lebten die Ladiner von der Landwirtschaft. Die Erträge in den Hochtälern waren mager.

    "Meine Großeltern haben immer gesagt: Wir sind ein armes Volk, Bergvolk - hier wächst ja nichts, und hier ist man nur arm. Wir leben von 1300, 1400 Meter aufwärts, recht viel mehr als Erdäpfel und einfache Getreidesorten gibt es hier nicht, und deswegen wurde man eher immer belächelt, wenn man dann hinauskam in die niedergelegeneren Täler."

    In den vergangenen 50 Jahren hat sich das Leben im Gadertal in einem Tempo verändert, wie in keinem Jahrhundert davor. Die Bergbauern bilden heute eine Minderheit. Kaum ein Bauer im Gadertal kann noch allein von der Landwirtschaft leben. Zwischen Sankt Martin und Corvara, nördlich der Ortschaft Abtei, liegt der Hof Sotciastel. Hier lebt die Familie Pitscheider. Ihr Bauernhaus ist 200 Jahre alt. Einfach gebaut, aber solide.

    Erika Pitscheider macht das Mittagessen. Wie jeden Tag zündet sie ein wenig Papier an und bringt die Holzscheite in der Küchenhexe zum Brennen. Wer sie auf ihrem allein stehenden Bauernhof besucht, taucht in eine Welt, die auf den ersten Blick nichts mit dem Treiben in den touristischen Zentren zu tun hat. Doch der erste Blick trügt. Ohne den Tourismus könnten die Pitscheiders nicht überleben: Bauer Pitscheider stand Winter für Winter als Liftmann neben dem Schlepplift. Heute schafft seine Frau Erika das nötige Kleingeld ran. In ihrer kleinen Küche neben der Stube bietet sie Kochkurse für Touristen an und erzählt von der traditionellen ladinischen Küche:

    "Es ist von vornherein eine arme Küche. Es wächst nicht viel, wir sind auf 1400 Meter. Möglichkeit, weiß Gott wie weit zu gehen - einkaufen - war auch nicht. Und so hat man sich irgendwie mit was, was gewachsen ist und vom Stall rausgekommen ist, ist man über die Runden gekommen. Brot wurde nur zweimal im Jahr gebacken und dann hatte man eigentlich immer nur hartes Brot. Drum hat man sehr viel im Fett ausgebacken damit es auch sättigend war. Dreimal die Woche mindestens wurden Knödel gekocht und jeweils mit Krautsalat oder Kartoffelsalat oder auch so eine Kartoffelsoße hat man gemacht. Jetzt, Fleisch gab es eigentlich nicht sehr viel, was möglich war, wurde geselcht, damit wurde dann Gerstensuppe gemacht."

    In den Hotels unten im Tal wird die Gerstensuppe als "typisch ladinische Vorspeise” serviert. Dabei wird die Gerste heute importiert. Zu aufwendig wäre der Anbau auf den abschüssigen Hängen. Wenn Erika Pitscheider mit ihren Gästen kocht, achtet sie auf Gerichte, die flott zubereitet sind.

    "Es sind immer alte Gerichte muss man sagen, aber irgendwie modernisiert. Hochkomplizierte Sachen erkläre ich den Gästen gar nicht, weil ich weiß genau, das sie das sowieso zu Hause nicht nachmachen und sie wollen eher was Praktisches. Drum, Kaiserschmarrn geht sehr gut, die Spätzle, die Knödel auch, die kann man auch ganz gut eingefrieren, das nützen sie dann aus, machen vielleicht mehrere und frieren sie ein."

    Nur ein paar Schritte vom Wohnhaus entfernt befindet sich der Stall. Vom Boden bis zur Decke ist er aus dunklem Lerchenholz gebaut und trotzt seit zwei Jahrhunderten Wind und Wetter. 20 Hühner, drei Kühe und ein Kalb hat Erika Pitscheider in ihrem Stall. Im Mai kauft sie noch ein paar Schweine dazu. Sie werden im Dezember geschlachtet. Die Kuhmilch verarbeitet sie zu Butter, Käse und Quark. Manches davon verkauft sie. Wenn es gut läuft, bekommt sie für ein Kalb oder einen Stier zwei Euro pro Kilo Lebendgewicht.

    "Unsere Tiere bekommen nur Heu und was auf dem Hof wächst, wir kaufen nichts zu. Und das ist ganz sicher ein gutes Fleisch aber wir bekommen genau den gleichen Preis wie die, was sie mit Spritzen groß kriegen. Das ist das Problem. Wenn die Leute das einsehen, wird es wahrscheinlich zu spät sein, weil die Kleinen, die müssen alle schließen langsam. Wir haben 3000, 4000 Euro im Jahr und arbeiten zu dritt, zu viert. Bis es noch Idealisten gibt, wird es halt weiter gehen, aber die Jungen, wenn sie mal weg vom Hof und sich einen Beruf erlernen müssen, dann ist große Angst dass sie nicht mehr zurückkommen."

    Erika Pitscheiders jüngste Tochter ist Lehrerin und arbeitet außerhalb des Gadertals. Viele junge Ladiner haben eine bessere Schulbildung als ihre Eltern oder Großeltern. Viele verlassen das Tal und suchen ihr Glück woanders, manche kommen zurück. Noch kleben die Höfe der Bergbauern an den Berghängen am Fuß der schroffen Felswände, im Winter eingebettet im Schnee, im Sommer umgeben vom sattem Grün der Wiesen.

    Diese Gebirgslandschaft inmitten der Südalpen ist die Ressource der Ladiner. Sie ist es, die ihnen Arbeit gibt. Früher in der Landwirtschaft, heute im Tourismus. Ein kostbares Gut. Der junge Musiker Jean Daniel Granruaz weiß um diese Kostbarkeit.

    "Ich bin einfach in die Berge verliebt irgendwie. Es ist wie ein Magnet. Das ist so ein Gefühl, wo ich irgendwie größer werde, wo ich die Grenzen überschreite mit meiner Fantasie auch."

    Er wird das Gadertal verlassen. Bisher hat er sich mit Gelegenheitsjobs etwas dazu verdient, mal als Privatskilehrer, mal als Bademeister. Auch einem poetischen Musiker verschafft der Tourismus sein Einkommen. Aber jetzt will er die Musik zum Beruf machen.

    " Hier zu leben und viel zu reisen, dann bräuchte ich einen Hubschrauber, und dann müsst ich einen Star sein, dass mein Manager mich abholt, und ich könnte irgendwie hinfliegen und singen und wieder zurückfliegen."

    Jean Daniel ist einer jener ladinischen Musiker um die dreißig, die selber komponieren und sich von den Strömungen moderner Musik inspirieren lassen. Er kombiniert Jazz und Pop, singt auf ladinisch oder englisch - so als wollte er mit seiner Musik eine Brücke schlagen zwischen Gestern und Heute.

    Die kleine ladinische Gesellschaft ist ein fragiles Gefüge. Ihr Bindeglied ist die gemeinsame Sprache und der Ort, an dem sie leben. Der Tourismus ist ihr Wirtschaftswunder. Er hat das Tal geöffnet - und verwundbar gemacht. Nicht allen hat er Wohlstand gebracht, aber vielen. Bei manchen hat er die Gier nach mehr geweckt.

    "Auf dem Grödnerjoch steht ein Spruch: "Verkauf`nicht Deine Heimat.” Das steht auf einer Mauer geschrieben, ganz groß. Die Ladiner sollten ein bisschen mehr schauen, dass sie einen gemeinsamen Weg finden."