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Aufstand gegen Assad?

100.000 protestierende Menschen brachten am Freitag in Syrien zum Ausdruck, dass die Kabinettsumbildung vom Donnerstag noch lange nicht reicht. Anders als in einigen arabischen Nachbarländern kann die Opposition von der Protestbewegung kaum profitieren.

Von Ulrich Leidholdt | 16.04.2011
    Er galt als unerfahren, musste plötzlich und unerwartet die Präsidentschaft vom allmächtigen Vater übernehmen. Bis zum Sommer 2000 hatte Bashar Assad ganz andere Pläne. Mit 34 gerade in London zum Augenarzt ausgebildet lernte er dort seine Landsfrau Asma, eine Investmentbankerin, kennen. Ein Unfall des Bruders und der Tod von Vater Hafez änderte alles.

    "Da gab's schon Diskussionen im In- und Ausland, ob Bashar in der Lage sein würde, das Land zu regieren. Natürlich lernt man durch Erfahrung und Präsident Assad hat sie gemacht. Wenn man mit vielen Problemen konfrontiert ist, lernt man auch eine Menge."

    Der syrische Politikexperte Samir Seifan verfolgt den Weg des jungen Präsidenten. Der kündigte Reformen an, die er bis heute nicht einlöste - eine Ursache der plötzlichen Aufstände in Syrien. Bashar ist vor der alten Garde eingeknickt, die seinem Vater jahrzehntelang den Rücken frei hielt. Dennoch galt er jungen Syrern lange als Hoffnungsträger, wurde noch vor zwei Jahren bei einer US-Umfrage populärster Führer der arabischen Welt.

    "Er stellte sich gegen die Besetzung des Irak und Israels Angriff auf Gaza. Das ist normalen Arabern sehr wichtig. Deshalb ist er für sie die Nummer 1."
    Noch als Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten stürzten glaubte sich Assad fest im Sattel. Syrien könne das nicht passieren, er sei nah bei den Menschen. Was viele angesichts seiner Geheimdienste durchaus doppeldeutig verstanden.

    Lange hielten der Widerstand gegen Israel mit dem Staatsziel Nr. 1, Rückgabe der besetzten Golanhöhen, Syrien zusammen. Doch jeder dritte im Reich Assads lebt unter der Armutsgrenze - sozialer Sprengstoff, der jetzt zündet. Die internationale Ausgrenzung Syriens als Partner Irans, von Hamas und Hisbollah auf der Achse des Bösen ließ unter Obama nach. Der Westen sah in Damaskus den Schlüssel zur Wiederbelebung des blockierten Nah-Ost-Friedens.

    "Syrien ist ein wichtiger Faktor für die regionale Stabilität im Nahen Osten. Und deshalb ist Syrien für uns und unsere Partner sowie die anderen Akteure im Nahost-Quartett ein unerlässlicher Gesprächspartner. Wer eine positive Entwicklung in der Region möchte, muss und will mit Syrien im Gespräch sein."

    Außenminister Westerwelle vor zehn Monaten in Damaskus.
    Die Überwindung der Angst zeigt nun die Kehrseite von Syriens außenpolitischer Flexibilität. Bisher über 100 Tote sind Preis für Forderungen nach Parteienvielfalt, Pressefreiheit und Ende des Ausnahmerechts. Das versprach Assad jetzt nach 48 Jahren. Was vor Wochen wohl eine Sensation gewesen wäre, kann Syrer aber kaum noch überzeugen. Schließlich hatte der Präsident schon bei Amtsantritt vor elf Jahren ähnliche, doch folgenlose Versprechungen gemacht.

    Zuckerbrot und Peitsche sind Assads Mittel gegen die heimische Revolution. Ein bisschen soziale und demokratische Kosmetik garnieren sein Spiel auf Zeit ebenso wie arabische Legendenbildung.

    "Es ist ja kein Geheimnis, dass Syrien einer Verschwörung des Auslands ausgesetzt ist, die bei uns einige Anhänger findet. Die Begleiterscheinungen und das Timing haben mit den Vorgängen in der arabischen Welt zu tun."

    Vorwürfe statt Reformen prägten eine enttäuschende Parlamentsrede Assads. Als Angehöriger der Sechs-Prozent Minderheit der Aleviten, die Staat und Armee beherrscht, wirkt der Präsident eingemauert vom eigenen Apparat. Der kontrolliert die syrischen Sicherheitskräfte. Ihr Seitenwechsel hin zum Volk ist schwer vorstellbar.

    Assad, wir kommen. Syrer demonstrieren gegen ihr Regime. Seit dem 18. März durchlöchern überall im Land aufflammende Proteste die Mauer der Angst vor allgegenwärtigen Geheimdiensten und Sicherheitskräften.
    Es begann in Daraa, einem Ort nahe der jordanischen Grenze. Schüler hatten regierungsfeindliche Parolen auf Wände gesprayt und wurden verhaftet. Eine aufgebrachte Menge forderte ihre Freilassung. Schüsse fielen, es gab Tote. 20000 begleiteten tags drauf den Trauerzug. Mehr Menschen starben. Das entfachte überall in Syrien den Protest - in Lattakia, Homs, Douma und auch Damaskus. Und das, obwohl das Ein-Parteien-Regime das Entstehen einer Opposition seit jeher unterdrückt.

    ""Es gibt kein Parteiengesetz und deshalb keine echte Opposition erklärt Ammar Qurabi vom syrischen Menschenrechtsverein. Legal geht gar nichts."

    Stammesführer und ganz normale Bürger gingen als erste auf die Straße - nicht Intellektuelle, bekannte Dissidenten oder Islamisten. Studenten schlossen sich an, vor allem im Internet. Syrische Revolution 2011 heißt ihre bekannteste Bewegung. Sie ruft zu Demos auf, mal erfolgreich, mal weniger, kündigt eine Woche der Märtyrer an oder den Boykott aller Handybetreiber, nachdem die Netze angeblich wegen Überlastung tot waren.

    Den Muslimbrüdern trauen die wenigsten. Syriens offizielle Nähe zu Iran oder Terror nahe Gruppierungen wie Hamas und Hisbollah finden nur beschränkt Widerhall. Ein Gottesstaat steht nicht auf der Hitliste der Opposition. Dennoch ist die Muslimbruderschaft für das Regime eine ernst zu nehmende Bedrohung, die in der Vergangenheit unter Kontrolle gehalten und verfolgt wurde. Ihr Sprecher Mohammed Riad Shaqfeh kritisiert jetzt angekündigte Reformen.

    "Reformen werden doch schon seit 2005 versprochen, aber nichts ist passiert. Wieder mal nur Ankündigungen, nicht Greifbares. Und dann sagt Assad, er brauche mehr Zeit. In seiner Rede vor dem Parlament hat er sich zu nichts verpflichtet. Das frustriert die Leute. Das System ist reformunfähig."

    Das seit 48 Jahren geltende Ausnahmerecht gibt dem Staat weit reichende Macht: es schränkt die Versammlungsfreiheit ein, erlaubt willkürliche Festnahmen und Verhöre, Telefonkontrollen, Internet- und Pressezensur.
    Assad will nun das Ausnahmerecht aufheben, ein Parteien- und Pressegesetz vorlegen. Misstrauen ist die Antwort. Der Präsident verordnet Demonstrationen für sein Regime. Ausländische Verschwörer und bewaffnete Banden macht er für Unruhen und Todesschüsse verantwortlich.
    Normale Syrer wie dieser Kaffeehausbesucher sind sich dagegen sicher, dass Auslöser von oder Hilfe bei Veränderungen in Syrien nicht das Ausland sein kann.

    "Veränderungen in Syrien müssen von innen kommen, nicht aus dem Ausland. Hier muss es passieren."

    Was von außen kommt, sind Aufrufe der in die Hunderttausende gehenden syrischen Exilanten. Über Dubai stellen sie die ins Netz. Die Facebook-Seite "Syrische Revolution 2011" soll schon 100.000 Freunde zählen.

    Wer sie wirklich ist, die syrische Opposition, ist von außen schwer auszumachen. Ins Land gelassen werden Journalisten nicht. Selbst arabische Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters wurden erst inhaftiert, dann des Landes verwiesen. Eine feste Einheit -so wie Assad seine Bevölkerung gern sieht- ist die Opposition gegen ihn sicher nicht. Das verhindert sein Sicherheitsapparat. Nicht aber das Entstehen von Widerstandszellen, in denen junge Syrer die staatliche Zensur umgehen und mutig neue Medien nutzen, obwohl sie so jederzeit selbst zu den geschätzt 6000 politischen Gefangenen im Land gehören könnten.