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Aus der Schatzkiste der Natur

Wie wenig wir über die Natur als Apotheke erst wissen und wie groß ihr Potenzial noch sein könnte davon erhält eine Ahnung, wer den Arzneimittelhersteller Bionorica besucht. Das Familienunternehmen aus Neumarkt in der Oberpfalz ist führend bei pflanzlichen Arzneimitteln und sucht ständig nach neuen Wirkstoffen aus der Naturapotheke.

Von Barbara Roth |
    Produktionsleiter Bernhard Hayr öffnet ein Fass. Der Inhalt: die Droge, wie ein pflanzlicher Rohstoff im Fachjargon heißt.

    "Hier haben wir solche sogenannten Drogen drin. Zum Beispiel geschnittene Enzianwurzel. Oder eine andere Sache: Holunderblüten. Die sind getrocknet."

    Enzian und Holunder sind wie Eisenkraut, Schlüsselblumen und Ampferkraut Bestandteile der wohl bekanntesten pflanzlichen Arznei, die Bionorica produziert: das Schnupfenmittel Sinupret.

    "Das erste Ziel von Bionorica ist, die Wirkstoffe aus diesen Drogen herauszuholen, die wir später in unseren Arzneimitteln haben wollen. Der Vorgang, die Wirkstoffe aus der Droge herauszubekommen, nennt man Extraktion."

    Was sich in einer Art Hightech-Kräuterküche abspielt: Ein Labyrinth aus Rohren, großen Edelstahl-Tanks und Pumpen. Drei Wochen muss die Pflanzenmischung reifen. Dann wird sie in kleine, braune Fläschchen abgefüllt, die später in den Apotheken stehen. Pro Jahr fließen fast 300.000 Liter Sinupret.

    Für ein Unternehmen wie Bionorica ist ein weltweiter Artenschutz überlebenswichtig. Die Schatzkiste der Natur sei immens groß, sagt Firmeninhaber Michael Popp. Er will sie nutzen.

    "Wir können nur schätzen, dass wir in der Lage sein müssten, noch Tausende von pflanzlichen Arzneimitteln aus der Natur entwickeln zu können. Und wenn man dem entgegenhält, dass wir bislang nur circa 100 Heilpflanzen wirklich einigermaßen gut erforscht haben, kann man abschätzen, welche Dimension der Menschheit verloren gehen könnte. Ich schätze, es ist ein Potential da von weiteren 20.000 oder noch mehr Heilpflanzen, die noch gar nicht wissenschaftlich untersucht sind, die kennt man noch gar nicht."

    Seine Mitarbeiter wälzen Bücher und Zeitschriften, machen sich auf Tagungen kundig, sie durchstreifen Urwälder in Asien oder Lateinamerika - ständig auf der Suche nach vielversprechenden Pflanzen. Ein langwieriger Prozess. Es kann bis zu sieben Jahre dauern, bis die Pflanze entschlüsselt und für die Heilmittelproduktion kultiviert ist.

    "Bestes Beispiel ist die Weide, die werden die meisten kennen, weil aus der Weidenrinde wurde durch einen chemisch-synthetischen Schritt so was wie Aspirin entwickelt. Diesen einen Wirkstoff, den Vorgängerwirkstoff von Aspirin, finden wir in manchen Weidenrinden in einem Gehalt von einem Prozent, in anderen von zehn Prozent. Das heißt, wir suchen für uns die beste Weide. Und diese eine Weide wird dann von uns vermehrt, diese Stecklinge bringen wir auf die Felder und haben es dann geschafft homogenes Pflanzengut zu haben."

    Über Jahre hinweg hat der deutsche Marktführer für Naturarzneien sein Saatgut und den Pflanzenanbau optimiert. Mit Erfolg: In den letzten drei Geschäftsjahren hat sich der Umsatz fast verdoppelt - auf 115 Millionen Euro 2007. Bionorica wächst vor allem im Ausland, weil deutsche Krankenkassen im Zuge der Gesundheitsreform pflanzliche Arzneimittel seit 2004 nicht mehr bezuschussen dürfen. Vor allem in Osteuropa boomt das Geschäft. Jetzt nimmt Popp die USA ins Visier. Sinupret wurde vor 75 Jahren von seinem Großvater, einem Apotheker aus Nürnberg, entwickelt. Ohne das Präparat wurde es das Unternehmen mit heute 750 Mitarbeitern nicht geben. Produziert wird ausschließlich im oberpfälzischen Neumarkt.

    "Wir untersuchen, warum wirkt diese Rezeptur, die mein Großvater entwickelt hat. Bei welcher Indikation wirkt sie am besten. Wir versuchen wirklich, jeder Pflanze im Arzneimittel auf die Spur zu kommen und herauszufinden, warum und wie es wirkt, um es zu optimieren und dann auch unsere Arzneipflanze zu optimieren."

    Popp versteht sich als Wissenschaftler. Sein Anspruch es ist, mit Hilfe modernster Technologie die Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln. Weidenrinde hilft bei Rückenschmerzen. Thymian und Efeu gegen Bronchitis. Mönchspfeffer bei Menstruationsbeschwerden. Das Portfolio an Medikamenten ist inzwischen vielseitig. Derzeit tüftelt seine Forscher in einer streng bewachten Abteilung mit Hanf - für Aids- und Krebspatienten.

    "Wir hoffen, das wir als erster in Deutschland ein Hanf-Präparat auf den Markt bringen können auch für schwerkranke Patienten. Wir wissen, dass beide Therapien Aids und Krebs ein hohes Nebenwirkungspotential haben: Übelkeit, Appetitlosigkeit. Und genau hier wissen wir, dass Inhaltsstoffe aus dem Hanf den Patienten das wieder zurückgeben können. Zugleich eine positive Einstellung, Lebensqualität, weil sie besser schlafen können und vieles mehr."

    15 Prozent seines Umsatzes steckt der Pharmazeut in die Forschung. Seine Präparate sind rezeptpflichtig und nur in Apotheken erhältlich. Und damit natürlich teurer als die Kräutermedizin, die im Supermarkt an der Ecke im Regal liegt.
    "Der Verbraucher denkt, Thymian ist gleich Thymian. Und Johanniskraut ist gleich Johanniskraut. Das ist ein Riesenproblem, weil die Produkte, die sie im Supermarkt finden, noch nie bewiesen haben, das sie wirken. Hier wäre es einfach, wenn die Politik entscheiden würde: die müssen deklarieren, für dieses pflanzliche Arzneimittel wurde kein Wirksamkeitsbeweis erbracht. Und für diejenigen, wie wir, die es gemacht haben, dass wir reinschreiben dürfen: dieses Arzneimittel wurde in klinischen Studien am Menschen geprüft und hat gezeigt, dass es wirksam und sicher ist."

    Doch im Bundesverbraucherschutzministerium trifft er mit seiner Forderung bislang auf taube Ohren.

    Link:
    bionorica.de