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Autorin Katja Schneidt
"Ich bin definitiv keine Asylkritikerin"

Die Bestsellerautorin Katja Schneidt hat den Schauspieler Til Schweiger kritisierte, der sich jüngst mit deutlichen Worten gegen fremdenfeindliche Einstellungen ausgesprochen hatte. "Nicht jeder, der einfach mal Ängste äußert oder sich Sorgen macht über die Zukunft von Deutschland, ist gleich ein Nazi", sagte sie im DLF.

Katja Schneidt im Gespräch mit Mario Dobovisek | 04.08.2015
    Katja Schneidt (Autorin , Unternehmensberaterin). Zu Gast in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz"
    Katja Schneidt (Autorin, Unternehmensberaterin). Zu Gast in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" (imago / Michael Wigglesworth)
    Mario Dobovisek: Im Rathaus klingelt das Telefon, das Ministerium ist dran, "Morgen kommen 50 Flüchtlinge in die Stadt", dann muss alles ganz schnell gehen - Wohnungen, Container, Turnhallen, Feldbetten, Decken, doch das reicht nur für die ersten Tage. Die zunehmende Zahl an Flüchtlingen ist eine Belastung für die Städte und Gemeinden. Mettmann hat unter anderem deshalb bereits die Grundsteuern erhöht und das in einem entsprechenden Begleitschreiben auch so formuliert. Der Schauspieler Til Schweiger hat vor zwei Wochen auf seiner Facebook-Seite im Internet einen Spendenaufruf des "Hamburger Tageblatts"* für Flüchtlinge geteilt und wurde anschließend mit tausenden Kommentaren überhäuft - einige davon waren sehr kritisch, zum Beispiel, "Uns Deutschen hilft ja auch keiner, die wollen alle bloß die Kohle abgreifen, wo soll das noch enden?" Schweiger platzte der Kragen, noch am gleichen Tag antwortete er:
    Til Schweiger engagiert sich für Flüchtlinge und beschimpft seine Kritiker auch im Interview mit der ARD:
    "Das sind wohl offensichtlich mehr Menschen mit, sage ich mal, sehr rechtem Gedankengut als uns lieb ist. Aber es gibt ja wahnsinnig viele Menschen, die helfen. Es gibt ja nicht nur die, die rumpöbeln und sagen, die sollen wegbleiben, und so und überhaupt keine Fantasie haben, was das bedeutet, Flüchtling zu sein. Und dann haben wir natürlich eine Menge Leute, die nicht nachdenken, weil sie wie gesagt keine Fantasie haben und weil sie den ganzen Tag vorm Fernseher sitzen und in irgendwelchen Reality-Shows sehen, wie sich irgendwie stumpfe Leute gegenseitig beleidigen, runtermachen, dissen, und das prallt nicht an einem ab."
    Und Til Schweiger will auch weiterhelfen, engagiert sich für den Aufbau eines Flüchtlingsheimes in Osterode im Harz. Aber sind die kritischen Fans, die er beschimpft, durchweg Nazis? Die Autorin Katja Schneidt sagt Nein und antwortet Schweiger auf Facebook ausführlich Ende vergangener Woche und löst damit wiederum eine neue Debatte aus. Knapp 40.000 Mal wurde inzwischen ihr Post geteilt im Internet. Katja Schneidt schrieb den "Spiegel"-Bestseller "Gefangen in Deutschland" über ihre Partnerschaft mit einem gewalttätigen türkischen Mann, mehrere Sachbücher, humoristische und Liebesromane folgten, und aus Frankfurt ist sie uns zugeschaltet. Ich grüße Sie, Frau Schneidt!
    Katja Schneidt: Ich grüße Sie!
    Dobovisek: Warum sind Til Schweigers Fans Ihrer Meinung nach keine Nazis?
    Schneidt: Na ja, was heißt, es sind keine Nazis, sicherlich sind dort auch Menschen dabei, die eine rechte Gesinnung haben, aber ich kann nicht hergehen, wenn ich so eine Vorbildfunktion habe wie Herr Schweiger und kann pauschal über eine Millionen Fans, die ich habe, verurteilen für, ja, teilweise sind es ja auch nur mal Bedenken oder Ängste, die geäußert werden, und ich denke, er hätte differenzieren müssen.
    "Das Problem ist, dass wir aber fast 40 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge aus den Balkanländern haben"
    Dobovisek: Welche Ängste sind das?
    Schneidt: Man muss ja nur mal sehen, seit 2010 haben sich die Zahlen der Asylsuchenden verachtfacht. Wir werden in diesem Jahr fünf Milliarden Euro bereitstellen müssen, um das stemmen zu können. Im Gegenzug ist die Rentenerhöhung immer noch unter der Inflationsrate. Die Menschen haben auch Sorgen, die haben auch Nöte. Natürlich ist das nichts im Vergleich zu wirklichen Flüchtlingen, das ist gar keine Frage. Menschen, die von Tod, Krieg bedroht sind, die müssen hier geholfen bekommen, die müssen hier eine Aufnahme finden.
    Das Problem ist, dass wir aber fast 40 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge aus den Balkanländern haben und dass diese Menschen teilweise fünf, sechs Monate hier sind, bevor sie in ihre Heimatländer zurück abgeschoben werden, und das kostet den Staat auch Milliarden, und das ist natürlich Geld, was dann auch wieder fehlt.
    Dobovisek: In Ihrem Post sprechen Sie von Ungerechtigkeiten - würden Sie genau das auch als Ungerechtigkeit bezeichnen?
    Schneidt: Ja, es ist eine Ungerechtigkeit, wobei, man darf das nicht auf die Asylanten schieben, sondern hier geht der Schwarze Peter auch ganz klar in Richtung Regierung. Die Menschen fühlen sich von unserer Regierung im Stich gelassen. Die fühlen sich mit ihren Sorgen und Nöten alleine gelassen. Und wenn dann natürlich ein Herr Schweiger noch hergeht und ein Posting hinterhersetzt mit "Bäm!" - unser Vizekanzler hat mich angerufen und sich eine halbe Stunde meinen Frust angehört -, na ja, was macht er da - er zeigt der Gesellschaft einen Spiegel, dass wir hier sehr wohl eine Zweiklassengesellschaft haben, denn die Menschen wären auch froh, wenn man ihre Sorgen und Nöte und Frust sich einfach mal anhören würde.
    Dobovisek: Aber warum denken Sie, entlädt sich dieser Frust und der Hass dann ausgerechnet auf jene, die überhaupt nichts für die angesprochene Problematik können, nämlich die Flüchtlinge?
    Schneidt: Ich denke, das ist auch wieder viel zu pauschal gesagt. Man muss wirklich differenzieren, und das ist etwas, was mich auch sehr erschrocken hat - die Menschen scheinen in den letzten Monaten ganz plötzlich ihre Fähigkeit der Differenzierung komplett verloren zu haben. Nicht jeder, der einfach mal Ängste äußert oder sich Sorgen macht über die Zukunft von Deutschland, ist gleich ein Nazi.
    Und nicht jeder, der hergeht und sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, ist ein Gutmensch. Aber wenn ich so diese ganze Berichterstattung der letzten Monate, ob jetzt in den Medien oder in den sozialen Netzwerken sehe, dann scheint Deutschland nur noch aus Nazis und Gutmenschen zu bestehen, und da werden Sie mir doch recht geben, dass das Blödsinn sein muss.
    "Ich bin definitiv keine Asylkritikerin"
    Dobovisek: Und dazwischen liegt vielleicht der Begriff Asylkritiker - sind Sie eine Asylkritikerin?
    Schneidt: Nein, ich bin definitiv keine Asylkritikerin, weil ich sage, wenn das Asyl so gehandhabt wird, wie es gedacht ist, dann ist das einfach eine Menschenpflicht. Menschen aus Syrien, aus dem Irak, aus wirklich bedrohten Ländern, und den Menschen geht es dort sehr, sehr schlecht - und auch darüber habe ich ja im Übrigen auch ein Buch geschrieben -, denen muss hier geholfen werden, ohne Wenn und Aber und ohne Diskussion, natürlich müssen die hierherkommen und natürlich müssen die hier ein Zuhause finden. Da braucht man nicht drüber zu diskutieren. Wissen Sie, das ist so selbstverständlich, da muss ich mich auch nicht drüber profilieren.
    Aber ich kritisiere unsere Regierung einfach in dem Punkt, dass es immer noch fünf, sechs Monate dauert, bis Flüchtlinge, wo ganz klar ist, dass sie keine sind, wieder in ihre Heimatländer abgeschoben werden, denn die nehmen auch den wirklichen Flüchtlingen die Ressourcen, und dann müssen die im Endeffekt in irgendwelchen Zelten untergebracht werden, weil die Flüchtlingsunterkünfte voll sind mit - ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen - "falschen Flüchtlingen".
    Dobovisek: Daran arbeitet ja die Bundesregierung derzeit, eben die Länder des Balkans zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, damit die Prüfung des Asylantrages schneller vonstattengehen kann.
    Schneidt: Nein, ein Teil dieser Länder sind ja schon als sichere Herkunftsstaaten erklärt. Ein Großteil, das ist bereits passiert.
    Schneidt spricht sich für schnellere Asylverfahren aus
    Dobovisek: Was kritisieren Sie dann?
    Schneidt: Na ja, dass eben diese Prozesse nicht schneller gehen. Dass es eben fünf, sechs Monate dauert, bis diese Menschen wieder nach Hause kommen, und das kostet uns viel Geld und das kostet uns viel Zeit, und die Mitarbeiter, die dort ... Wissen Sie, wir haben im Moment 250.000 Asylanträge liegen, die einfach nicht bearbeitet werden können, und davon sind eben 40 Prozent von Menschen, wo ganz klar ist, dass es keinen Grund gibt, warum sie hier sind, und das finde ich auch den wirklichen Flüchtlingen gegenüber mehr wie ungerecht, denn die leiden dort auch drunter.
    Dobovisek: Was Sie sagen insgesamt bezogen auf die Skepsis, bezogen auf die Wut, auch auf die Angst, lässt sich ja dank der ARD-Kollegen und dem "DeutschlandTrend" auch ein Stück weit quantifizieren. Die Flüchtlinge aufzunehmen, da ist eine große Mehrheit immer noch dafür, das sei richtig, allerdings wollen 38 Prozent der Befragten weniger Flüchtlinge aufnehmen, die Aufnahme begrenzen. Es sind insgesamt 17 Prozentpunkte mehr als noch im Januar - die Skepsis, die wächst also. Tickt hier eine soziale Zeitbombe, deren Bedeutung die Politik nicht erkennt?
    Schneidt: Ich glaube nicht, dass die Skepsis wächst, ich glaube, dass die Angst wächst. Die Menschen haben Angst. Und wissen Sie, ich habe nicht nur - das muss man vielleicht auch mal interessanterweise sagen - Zuspruch bekommen von besorgten deutschen Mitbürgern, sondern ich bin auch von sehr vielen ausländischen Mitbürgern angeschrieben worden, aus Serbien zum Beispiel, aus Mazedonien zum Beispiel, die mir geschrieben haben: Frau Schneidt, wir wussten nicht, dass das bei Ihnen so ist, Sie warten ja in Deutschland länger auf einen Facharzttermin wie wir in Serbien. Das habe ich schriftlich vorliegen. Oder auch sehr viele ausländische Mitbürger, die eben schon lange hier leben und sagen, Frau Schneidt, Sie haben uns vergessen, das sind auch unsere Steuergelder, die dort sinnlos verprasst werden für Asylsuchende, die hier kein Asyl bekommen werden. Also ich glaube nicht, dass das eine Skepsis ist, ich glaube einfach, dass es Ängste sind, die die Menschen haben.
    Dobovisek: Existenzängste?
    Schneidt: Existenzängste, ganz klar, ja, und natürlich auch die Frage ... Wissen Sie, das ist ja ein Fass ohne Boden. Wenn da keine Lösung gefunden wird für eine ganz vernünftige Asylpolitik, dass Menschen, die eben unrechtmäßig hier Asyl beantragen, schnellstmöglich zurückgeschickt werden - und von schnellstmöglich rede ich von einem Zeitraum, der darf einfach nicht länger dauern wie vier Wochen. Alles, was darüber hinaus ist, ist zu lang. Und natürlich machen sich die Menschen darüber Gedanken.
    Dobovisek: Til Schweiger zeigte sich überrascht ob der heftigen Resonanz im Netz, ob des sogenannten Shitstorms, auch Ihr Post, Frau Schneidt, wurde ja tausendfach geteilt, wir haben es vorhin gesagt und kommentiert - haben Sie damit gerechnet?
    Schneidt: Nein. Also ich habe damit überhaupt nicht gerechnet. Ich habe das lediglich zufällig gelesen - ich schätze Herrn Schweiger sowohl als Schauspieler, wie auch als Mensch sehr und verfolge ja auch schon lange, was er so macht und was er so tut -, und das hat mich so geärgert in diesem Moment, wo ich gedacht habe, Til, du hast so eine Vorbildfunktion, und wenn du auch hergehst und da wirklich so pauschal auf die Menschen einprügelst, es kann doch nicht sein, dass jeder, der auch nur mal irgendetwas kritisch anmerkt, sofort in die Naziecke gestellt wird.
    "Wir haben auch extreme Gutmenschen, die eigentlich schon Anti-Deutschland eingestellt sind"
    Dobovisek: Nun gibt es aber trotzdem dieses rechte Gedankengut und auch durchaus in den Posts, die Herr Schweiger bekommen hat - offenbaren die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter jetzt all das, was sonst eher im Verborgenen gebrodelt hat?
    Schneidt: Ich denke mal, das ist doch ganz klar. Natürlich haben wir hier Nazis, natürlich haben wir hier Menschen mit einer rechten Gesinnung, das ist gar keine Frage. Wir haben auch extreme Gutmenschen, die eigentlich schon Anti-Deutschland eingestellt sind, auch das haben wir. Aber man kann das doch nicht als die Masse der Bevölkerung abbilden. Was wird denn da für ein Bild wiedergegeben? Das hat doch mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Und das ist einfach etwas, wo ich mich dagegen wehre, dass es plötzlich hier in Deutschland nur noch zwei Sorten Menschen geben soll, nämlich die Guten und die Bösen und dazwischen, da gibt es dann plötzlich gar nichts mehr, und das kann nicht sein, und das kann mir auch keiner erklären, der auch nur halbwegs intelligent ist, dass er das wirklich glaubt.
    Dobovisek: Die Autorin Katja Schneidt über Angst und Wut und die Vielzahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Schneidt: Bitte schön, sehr gerne!
    *Der Moderator spricht an dieser Stelle vom "Hamburger Tageblatt". Richtig ist allerdings "Hamburger Abendblatt" (Anm. d. Red.)
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Katja Schneidt wurde 1970 in Hanau am Main geboren. Sie ist Autorin und schrieb unter anderem den Bestseller "Gefangen in Deutschland: Wie mich mein türkischer Freund in eine islamische Parallelwelt entführte" und die Fortsetzung "Befreiung vom Schleier: Wie ich mich von meinem türkischen Freund und aus der islamischen Parallelwelt lösen konnte".